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15.9. – Polizeiberichte, Instagram, Büro

Vor einigen Tagen widmete sich Vice dem Fall einer Frau, die offensichtlich wegen eines Antifastickers in einem Münchener Park von jemandem beschimpft und bewusstlos geschlagen wurde – und dem Fehlen jeder Notiz darüber im Polizeibericht. Gleichzeitig werden andere Vorfälle in der Stadt, darunter auch vergleichbare Gewaltdelikte durchaus gemeldet, vor allem auch inklusive jeder nicht-deutschen Nationalität von Beteiligten. In der Antwort der Polizei auf die Frage, nach welchen Kriterien etwas Eingang in ihren Bericht findet, gibt sie selbst zu erkennen, welche Gewalt sie für berichtenswert und im öffentlichen Interesse betrachet und welche nicht, in welchen Fällen schwebende Ermittlungen ein Hindernis sind, während in anderen Fällen auch ohne ermittelten Hintergrund Meldungen rausgegeben werden.

Dieses Ungleichgewicht hat System, was dieser äußerst lesenswerte Hintergrundbericht von correctiv.org am Beispiel der Stadt Wien aufzeigt: Welche Vorfälle Polizeidienststellen auswählen, worüber sie fast gar nicht berichten, und wie das mit Hilfe der Medien, die meist 1:1 übernehmen, was gemeldet wird, die öffentliche Wahrnehmung von Sicherheit und Gewaltbedrohung formt. Zitat eines Kriminalsoziologen:

„Die Polizei hat es gern, wenn die Gesellschaft ordentlich und sauber ist. Nach dem Muster: Wir sind die Normtreuen, und dann gibt es am Rand der Gesellschaft die Bösen, die Handtaschen rauben oder mit Drogen dealen.“ Gewalt aus der Mitte der Gesellschaft, Rassismus oder Vergewaltigungen zum Beispiel, passe nicht in dieses Bild.

Besondere Probleme scheint die Polizei immer zu haben, Straftaten von rechts als solche zu erkennen und zu behandeln. Nicht nur die gefärbte Auswahl der Polizeiberichte, sondern sogar Verfahrensweisen von Polizei und Justiz sorgen oft dafür, dass sie gar nicht erst auftauchen. Also vom oben genannten Fall, wo erst ein Staatsanwalt einer Veröffentlichung zustimmen müsste (warum zum Teufel?), bis hin zu den Mordopfern des NSU, die auch jetzt, Jahre später und nach abgeschlossenem Prozess nicht als Opfer rechten Terrors auftauchen, weil – festhalten! – der Eingangsverdacht ein anderer war. So lässt die gleiche Blindheit für rechte Gewalt, die das jahrelange NSU-Morden überhaupt mit ermöglicht hat, auch heute noch die Opfer verschwinden.

Man muss sich immer bewusst sein, dass die Polizei eine Menge Hebel – vom Eingangsverdacht über Ermittlungswillen, Auswahl der berichtenswerten Meldungen, dem darin vermittelten Bild von Polizist*innen und anderen beteiligten Personen bis hin zur Statistik – in unserer medialen Wahrnehmung von Kriminalität in der Hand hält. Und bei allem Respekt für polizeiliche Arbeit agiert sie mit eigenem politischen Interesse und hat nach wie vor Probleme auf dem rechten Auge. Ich lese Polizeiberichte und darauf basierende Nachrichten (nicht zu vergessen auch Polizeitweets) deswegen schon seit Jahren nur mit Vorsicht.

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Zurückgekehrt auf Instagram. Um den Jahreswechsel hatte ich die Nase voll; man öffnete die App, sah ein Foto, wollte es womöglich kommentieren, in dem Moment aktualisierte sich die Timeline und man fand das Foto nie wieder. An Silvester wurden mir Fotos von Heiligabend-Bescherungen angezeigt. Zuweilen war jedes dritte Posting der Timeline Werbung, teilweise mit unaufgefordert loslaufenden Videos mit Ton.

Mit der Werbung ist es in der Zwischenzeit nicht besser geworden und chronologische Timelines sind auch nicht zurückgekehrt. Aber zumindest scheint der Algorithmus nur noch die letzten zwei Tage durcheinanderzuwürfeln und zeigt einem auch an, wenn man alles davon gesehen hat. Das Mitlesen hatte ich ohnehin nie ganz aufgehört, einfach weil mich eure Fotos und was ihr so den Tag über macht natürlich weiter interessiert haben (zumal bei denen, die nicht auch auf Twitter sind). Im Urlaub gab es außerdem das eine oder andere Foto, was ich gerne auf Instagram geteilt hätte. Nun, das hole ich jetzt ein wenig nach.

Dieser Anblick auf meiner Morgenrunde gab den letzten Anstoß:

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Auf Instagram fiel jemandem, der offenbar auf den Färöern Skuas beringt, eines meiner Skua-Fotos auf (alleine für soetwas ist Instragram cool) und er fragte, ob man den Ringcode auf dem Foto entziffern könne. Es stellte sich heraus, dass sie nicht zu „seinen“ Vögeln gehörte, aber ich habe ein wenig gegoogelt und eine Seite gefunden, auf der man Sichtungen farblich beringter Vögel melden kann, beziehungsweise die Kontaktperson des jeweiligen Beringungsprojekts finden. So habe ich diese Skua gemeldet und noch eine zweite mit Ring, deren Code man lesen konnte. Mal sehen, ob ich Feedback bekomme, wann und wo diese Vögel beringt wurden. Spannend.

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Überhaupt wächst in mir der Wunsch, irgendwann einmal für ein paar Tage mitzuhelfen, wilde Vögel zu beringen. Das stelle ich mir anstrengend, aber auch sehr glücklich machend vor.

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Auf der Arbeit läuft gerade alles auf einen wichtigen Meilenstein im Oktober zu, für den ich weitgehend mitverantwortlich bin, und wofür jetzt täglich aufgeregte Statusmeetings stattfinden und dutzende Mails mit Fragen, Aufgaben und Dokumentenreviews in meiner Inbox aufschlagen. Die Informationsflut fordert erste Opfer; was ich nicht sofort aufschreibe, ist im nächsten Moment weg, und ich bin nachts lange wach – (noch) nicht aus Angst, nicht mehr nachzukommen, aber weil mein Hirn nicht zur Ruhe kommt. Ich hoffe, ich halte das bis Ende Oktober, wenn der erste Gipfel bewältigt sein wird, einigermaßen durch. Außerdem habe ich in der ersten Novemberwoche vorsichtshalber schon zwei Urlaubstage für ein verlängertes Wochenende am Chiemsee genommen. So.

Schottland 2018, Tag 19-22: Letzter Tag Islay und Rückfahrt mit Hindernissen

Nach drei Tagen gutem bis herrlichem Wetter begann unser letzter Tag bedeckt und mit Schauern. Wir entschieden uns für eine Waldwanderung nahe Bridgend in der Mitte der Insel. Auf guten Waldwegen erreichten wir die Woolen Mill, einer kleinen Weberei in einem Gebäude aus dem 19. Jahrhundert, in der heute noch mit den alten Geräten Tweeds und andere Stoffe gewebt werden. Wir durften einen Blick hinter den Verkaufsraum in die Produktion werfen, wo zwei Männer arbeiteten: meine Herrn, Ordnung und Arbeitssicherheit schienen dort noch auf dem gleichen Stand wie Gebäude und Geräte zu sein. Alleine die Löcher im Fachwerkboden des oberen Geschosses… Wäre mir nicht selbst im Winter mit langärmeligem Hemd ohne Unterhemd schon beinahe zu warm im Büro, ich hätte mir vielleicht ein schönes Tweedhemd oder eine Weste gekauft. Aber so hübsch alles im kleinen Verkaufsraum aussah, irgendwie war nichts dabei, und ich fotografierte lieber draußen die vielen Sperlingsvögel am Futterspender.

Für den Weg zurück zum Ausgangspunkt lautete die Beschreibung:

When the route emerges from the trees at a track, go straight across through another gate into a band of woodland known as the Claggan Strip. Here the path can be very wet and there may be fallen trees to climb over. At a crossroads continue straight ahead on the narrow path.

Nun. Dass sich dahinter drei schier endlose, matschtriefende Kilometer eines eng bewachsenen Trampfelpfads im Wald ohne Aussichtspunkte auf irgendwas verbargen, kommt finde ich nicht so ganz rüber, zumal sonst jeder Stein am Wegesrand beschrieben wurde. Fluchend und erleichtert erreichten wir irgendwann endlich wieder richtige Wege und eine Brücke über ein malerisches Flüsschen im Sonnenschein mit reifen und wilden Himbeeren drumherum, als wäre das hinter uns nur ein schlechter Traum gewesen. Aus Faulheit, einzukaufen, aßen wir im nahe gelegenen Hotel an der Hauptstraße eine Kleinigkeit zu Mittag, wo man freundlicherweise die Küche für uns noch offen ließ. Nach einem Blick in die örtliche Mall (naja, ein kleiner Platz mit Geschäften drumherum, in denen es Whisky, Batikbilder, Quilte und Ähnliches zu kaufen gibt) fuhren wir zurück nach Hause und verbrachten den Nachmittag mit Lesen.

Was einem beim Autofahren auf Islay auffällt, ist die ausgesprochene Freundlichkeit. Dass man sich gegenseitig per Handzeichen bedankt, wenn man einander auf einer Single Track Road vorbeilässt, hatte ich in den vergangenen Jahren schon gelernt. Aber hier schien man sich grundsätzlich so zu begrüßen, bei jedem Auto, was einem auf der normalen Landstraße begegnete. Daran kann man sich schnell gewöhnen. Und wie frustrierend, wenn man dann zurück in Deutschland nicht einmal mehr ein Handzeichen bekommt, wenn man in einer engen Straße extra für den Gegenverkehr angehalten hat.

Was ich ansonsten an schottischen Straßen nicht verstehe ist, warum in einem so weiten und quasi leeren Land selbst die normalen Landstraßen kaum Platz für zwei sich begegnende Lastwagen lassen, und auch noch zusätzlich rechts und links der Fahrbahn ohne den kleinsten Streifen sofort Mauern oder Bäume stehen müssen (Beispiel siehe Foto).

Am frühen Abend fuhren wir noch mal los, um Kildalton Cross und noch ein wenig von der Landschaft hinter Ardbeg die Küste lang zu sehen. So gut wie völlig allein auf der Single Track Road fuhren wir zur Kirchenruine Kildalton, wo das steinerne Kreuz aus dem 8. Jahrhundert steht, und dann noch einmal weiter die Küste entlang bis zu einem Kieselstrand, um noch einmal etwas vom Anblick des Meers aufzusaugen.

Es war der Abend der totalen Mondfinsternis, und ich hatte schon Monate vorher herausgefunden, dass der Kupfermond über dem Meer vor unserer Bucht aufgehen würde, ideal, womöglich sogar für ein Foto mit der Burgruine im Vordergrund. Was im Nachhinein natürlich naiv war anzunehmen, man könne in Schottland überhaupt einmal abends einen freien Himmel am Horizont sehen, ohne Dunst und Wolken. Schade, so bleibt es bei meinen Fotos früherer Finsternisse, die zwar schön sind aber leider noch mit deutlich schlechter auflösendem Equipment, also unvergrößerbar.

Wir hatten abends schon alles gepackt, und so brauchten wir früh nur noch aus dem Bett zu fallen und waren um viertel nach sechs am nahe gelegenen Fährhafen. Der strömende Regen machte den Abschied von der Insel leicht. Aber sie bleibt uns als entspannter, überhaupt nicht überlaufener, freundlicher Ort mit wunderbarer Landschaft in Erinnerung, und wärmer als in den Tagen auf den nördlicheren Hebriden war es dort auch. Also selbst wenn einem Whisky und die vielen Distillerien völlig schnurz sind: große Empfehlung.

Runter von der Fähre und Fahrt im Regen zurück nach Oban. Nachdem wir den Mietwagen abgegeben hatten, blieben uns noch drei Stunden bis zur Abfahrt des Busses, die wir damit verbrachten, am Hafen entlang zu schlendern und uns ein köstliches, preiswertes Mittagsmenü im Fischrestaurant zu gönnen, mit Blick auf die Hjalmar Bjørge, die dort nach einer weiteren zwischenzeitlichen Tour darauf wartete, erneut abzulegen. Als wir rauskamen, trafen wir dann am Pier meine Arbeitskollegin. Sie war von meinen Reiseerzählungen letztes Jahr so angeschaltet, dass sie für sich und ihre Mutter ebenfalls die 9tägige Tour inklusive St. Kilda gebucht hatte, und war nun dabei, an Bord zu gehen. Natürlich hatte sie kein bisschen damit gerechnet, mich dort zu treffen. Sehr lustig.

Drei Stunden Busfahrt nach Glasgow, dann mit einem Stadtbus zum Hotel (habe ich dieses Jahr schon Google Maps gelobt?), und um zumindest noch einen kurzen Blick in die Stadt zu werfen, liefen wir bei stürmischem, kaltem Wind und Schauern zwei Meilen ins Zentrum, wo die Party People schon den Samstagabend einläuteten. Wir tranken nur irgendwelche Kaffee-Kakao-Kombinationen als letzte Gäste bei Starbucks und liefen wieder zurück. So recht haben wir kein Glück mit Glasgow, und ich weiß nicht, ob mir diese Stadt irgendwann noch einmal richtig gefallen wird.

Nach gemütlichem Frühstück mit dem deutlich billigeren Stadtbus zum Flughafen. Der Flug sollte wie auf dem Hinweg über Düsseldorf zurück nach Nürnberg gehen. Wir waren früh genug am Check-In (nur ein Schalter besetzt), aber dann ging alles schief. Das gleiche Eincheck-Problem wie beim Hinflug: Statt Tickets und Gepäck-Tags auszudrucken ein „Unexpected Error“. Ich sagte sofort, dass man uns beim Hinflug schließlich hatte neu einbuchen müssen. Aber die Mitarbeiterin rief erst einmal eine „Managerin“, um die Schlange nicht aufzuhalten. 10 Minuten später kam sie dann auch. Brauchte eine Viertelstunde, um sich einzuloggen, weil das Tagespasswort nicht zu gehen schien. Hörte meiner Erklärung überhaupt nicht zu. Redete nicht mit uns. Tippte minutenlang verloren in der Software rum. Schickte uns dann an einen anderen Schalter. Am anderen Schalter war der entsprechende Kollege gerade weggegangen. Die nächsten 10 Minuten rum. Dann tauchte er auf, ich erklärte, wie wir beim Hinflug zu Karten gekommen waren, aber das schien auch ihn nicht zu kümmern, jetzt tippten sie zu zweit rum, nebendran wurden alle anderen Passagiere eingecheckt, schließlich war der Schalter zu und irgendwann unser Flug weg. Der Herr sagte uns was von „was organisieren“ und „back in 5 minutes“, die Managerin verschwand und wir standen ganz alleine da. Nach einer Dreiviertelstunde, als wir längst dachten, man hätte uns ohne irgendetwas in der Hand zu haben einfach sitzen gelassen, kam er raus, drückte uns einen Zettel in die Hand mit dem Namen eines Hotels in Edinburgh und einer Parkdecknummer, wo uns gleich ein Taxi nach Edinburgh abholen würde. Wir wären jetzt am nächsten Tag nach München mit Lufthansa gebucht, um 17:45 Uhr.

Der Taxifahrer kam tatsächlich, wir mussten für die Dreiviertelstunde Fahrt nach Edinburgh nichts zahlen, und auch das Flughafenhotel war offenbar für uns bezahlt samt Essensgutscheinen. Immer noch ziemlich unter Strom durch die ganze Sache machten wir immerhin schon Pläne, den „geschenkten“ zusätzlichen Tag für einen Ausflug in die Stadt zu nutzen. Da ich aber noch keine Bestätigung über die Umbuchung von Eurowings hatte und es offenbar überhaupt keinen solchen Flug gab wie den uns genannten, rief ich erst einmal bei der Hotline an. Siehe da: Buchung nach München ja, aber mit Eurowings, und schon morgens um 8 Uhr. Na gut, das wir darüber gesprochen hatten. Ach ja, und Anschlussflug gäbe es nicht, aber ich könnte ja Zug fahren und die Fahrtkosten später einreichen. (seufz) Das Abendessen war allerdings sehr gut und das Hotel für Flughafenverhältnisse wirklich okay.

Morgens früh um sechs zum Check-In. Gleiches Spiel: „Unexpected Error“. Gnaa. Diesmal waren wir aber gottseidank an eine kommunikative wie smarte Mitarbeiterin geraten, die sofort auf die richtige Idee kam, die IT-Hotline in Deutschland anzurufen, und so hatten wir wenige Minuten später endlich unsere Tickets. Die restlichen Unannehmlichkeiten am Münchener Flughafen und der Zugfahrt bei weit über 30 Grad lassen wir mal unter den Tisch fallen, irgendwann um vier Uhr waren wir schließlich auch zuhause. Ich musste den Tag nachträglich noch als Urlaub nehmen (was ausgesprochen schmerzt), und jetzt warte ich auf die Rückerstattungen der Auslagen und den nach EU-Recht zustehenden Schadensersatz der Fluggesellschaft. Das war dann aber auch der einzige Wermutstropfen eines ansonsten tollen Urlaubs, von dessen Erlebnissen ich immer noch zehre. Mal sehen, ob wir es nächstes Jahr überhaupt schaffen, mal wieder anderswo Urlaub zu machen.

Schottland 2018, Tag 15-18: Islay

Der Montag begann mit Regen. Um den Tag nicht nur drinnen zu verbringen, sprachen wir das Mantra „Herrlichstes Islandwetter!“, schlüpften in regenfeste Kleidung und liefen bei dichtem Niesel die Küste Richtung Osten weiter. Bis nach Ardbeg führt von Port Ellen aus ein eigener, komfortabel ausgebauter Wanderweg, auf dem Alkoholfreunde, sicher getrennt von der Landstraße, die drei Distillerien Laphroig, Lagavulin und Ardbeg besuchen können. Hinter Ardbeg bleibt nur noch eine Single-Track-Road, allerdings fährt dort auch fast niemand mehr. Wir liefen bis zu einer verlassenen Bucht mit Felsen und ein paar Robben und beschlossen, dass das genug Wanderung für einen Regentag sei. Auf dem Rückweg machten wir im gut besuchten Ardbeg Café Halt, um bei einem Kaffee einen ausgesprochen leckeren Waffle Mountain zu verputzen. Den Rest des Tages verschlumpften wir lesend im Haus und liefen abends, als der Himmel etwas aufklarte, zur Ruine am Ende unserer Bucht und schauten aufs Meer.

Dienstagmorgen ging es zur Halbinsel The Oa, um im dortigen RSPB-Reservat (das ist der britische Vogelschutzbund) eine mehrstündige Führung mitzumachen. The Oa ist eines von zwei Reservaten auf der Insel, die dem RSPB gehören, und auf dem sie demonstrieren, wie sich die Förderung von Artenvielfalt mit profitabler und nachhaltiger Landwirtschaft verbinden lassen. Sie haben dabei verschiedene Vogelarten im Fokus, mit teilweise extrem unterschiedlichen Ansprüchen an ihr Habitat. Hier an den Ländereien nahe der Steilküste sind das vor allem Steinadler (Felsen), Alpenkrähen (kurz gefressene Viehweiden) und Wachtelkönige (hohe Gräser). Sie pflanzen Wildkräuterstreifen zwischen den Weiden und Feldern, schreiben dem angestellten Landwirt vor, wann und wie er welche Flächen mäht und er seine Rinder und Schafe grasen lässt, und versuchen mit vielen kleineren und größeren Maßnahmen, die gesamte Vielfalt an Pflanzen, Insekten bis hin zu Säugetieren und Vögeln zu steigern, wobei sie ihre Aktivitäten wissenschaftlich begleiten und so auch zum Vorbild für Landwirte und Artenschutzpolitik werden wollen. Das alles erklärte uns ein Volunteer während unserer kleinen Wanderung rund um die Halbinsel bis zum American Monument und zurück, wobei wir zwischendurch immer wieder stehen blieben, um die Wildziegen („die sind hier irgendwann eingewandert, wir lassen sie einfach machen und zählen sie nur einmal im Jahr“) zu betrachten, dem kratzenden Ruf des Wachtelkönigs zu lauschen oder – leider ohne Erfolg – nach den Steinadlern Ausschau zu halten. Ein lehrreicher Vormittag bei herrlichem Wetter, wo zwischen Schönwetterwolken immer wieder die Sonne hervorkam.

Nach einem Picknick mit Blick aufs Meer bis zur Küste Nordirlands und Irlands machten wir Stop am Flughafencafé von Islay, einem sehr knuffigen Flughafen, der die Insel mit einer Handvoll täglicher Flüge kleiner Maschinen mit Glasgow und ein paar anderen Orten der Highlands verbindet. Das Wetter wurde bedeckter und windiger, wir liefen noch etwas durch Bowmore und kauften dort ein, einschließlich eines gutes Steaks vom Inselmetzger, das wir am Abend zuhause mit Genuss zu Salat und Brot aßen.

Für den Mittwochmorgen hatten wir uns zu einer Führung in der Distillerie Bruichladdich angemeldet. Fr. Eeek als Whisky- und Islayexpertin hatte sie uns Neulingen empfohlen, weil man dort als eine der wenigen Distillerien noch mit richtig altem Equipment arbeite. Das war nicht gelogen; ein Großteil der Anlagen, in denen das Malz verarbeitet und schließlich der Whisky destilliert wird, stammen aus dem 19. Jahrhundert. Faszinierend, davor zu stehen und zu denken, dass die gesamte Produktion einer weltweit bekannten Marke durch die wenigen Geräte und Bottiche läuft, die man gerade betrachtet, mit Methoden wie vor mehr als hundertdreißig Jahren. Und überhaupt die tausend Faktoren, die alle den letztendlichen Geschmack beeinflussen, weswegen auch jeder Jahrgang, jede Charge wieder anders schmecken kann. Das ist ja eigentlich etwas, was moderne Qualitätssicherung um jeden Preis verhindern will, zugunsten immer gleicher, vorhersagbarer Resultate. Bei der anschließenden Verkostung probierten wir getorfte (also solche, wo das Malz über Torffeuer geräuchert wird) und ungetorfte Whiskys, aber wenn ich auch verstehen kann, was Whiskyliebhaber so begeistert, mir selbst schmeckt Whisky einfach nicht, ob getorft oder nicht. Was wir aber beide mochten und wovon wir auch ein Fläschchen mitnahmen, war der ebenfalls in der Anlage hergestellte Gin, der mit jeder Menge Wildkräutern der Insel aromatisiert wird und herrlich duftet.

Im benachbarten Port Charlotte besuchten wir das kleine, sehr sehenswerte Museum of Islay Life, in dem von den Funden der Steinzeit bis heute viele interessante Gegenstände gezeigt werden, die vor allem auch das einfache, ländliche Leben früherer Zeiten illustrieren. Besonders berührend ist die Geschichte des Jahres 1918, als Islay binnen weniger Monate Schauplatz zweier verheerender Kriegsschiffsunglücke wurde. Ein amerikanisches Schiff vor der Küste wurde von einem deutschen Torpedo getroffen, ein anderes sank nach einer Kollision, und jedesmal sah sich die Bevölkerung  der ansonsten abgeschiedenen Insel plötzlich mit hunderten Überlebenden und Toten konfrontiert, was sie bewunderswert und menschlich meisterten. Vielleicht am bewegendsten illustriert in der von den Frauen aus nach einem Lexikonfoto genähten, provisorischen amerikanischen Flagge zur Bestattung, und dem Notizbuch des Inselpolizisten, der die Toten am Strand ablief und zu jedem alle identifizierenden Merkmale aufschrieb, damit seine Angehörigen später Gewissheit haben könnten.

Es war inzwischen wärmer geworden als alle Tage zuvor, und so fuhren wir zur Saligo Bay, um dort einfach nur zu sitzen und Sonne zu tanken. Strandurlaub!

Den Donnerstag begannen wir mit einer Tour des zweiten RSPB-Naturreservats Loch Gruinart. Zwischen den zwei großen Inselteilen liegt eine flache, in früheren Erdzeiten überschwemmte Ebene, heute eine Moorlandschaft, wo der RSPB ebenfalls eine Farm betreibt, wie am Oa. Hier liegt der Fokus neben Kornweihen und Faltern vor allem darauf, den aus der Polarregion durchziehenden Watvögeln gute Rastmöglichkeiten zu geben und zehntausenden Weißwangengänsen ihr Winterquartier. Dadurch, dass frühere Generationen von Bauern Gräben und Deiche angelegt hatten, haben sie hier neben allen anderen Faktoren auch noch die volle Kontrolle über den Wasserstand und können so übers Jahr verteilt ideale Bedingungen für die jeweiligen Arten schaffen. Wir liefen durch Moorlandschaft mit flachen, knorrigen Bäumen, über Feuchtwiesen und durch einen echten kleinen Wald und dazu schien die Sonne bei stürmischem Wind. Wir sahen Rotwild am Horizont, jede Menge unterschiedlicher Falter und bunte Raupen.

Als wir die wieder einmal spannende und landschaftlich schöne Führung beendet hatten, fuhren wir noch etwas weiter hinauf nach Ardnave und machten dann eine längere Wanderung um die Landspitze. Die ganze Zeit blies der Wind konstant, die Sonne schien und der Meeresarm leuchtete in vollkommen unwirklichem Blau und Grün. Darüber, Richtung Jura und Colonsay, schwebten mittem im Sturm Lentikularis-Wolken, die ich noch nie im Leben bewusst gesehen hatte: Sie sehen aus wie kleine Ufos oder Porzellanscheiben, sind stationär (die Luft strömt durch sie hindurch), und sie entstehen, wenn die Luftschichten temperaturmäßig stabil sind und ein kräftiger Wind auf Berge trifft, die ihn nach oben katapultieren. Ein Nachmittag in geradezu surrealer Landschaft, in dem wir in Wind, Sonne und Farben nur so gebadet haben.

Schottland 2018, Tag 12-14: über Tarbert nach Islay

Nachdem wir in Oban an Land gegangen waren, mussten wir erst einmal mit unserem Gepäck im Regen zur Autovermietung laufen. Nach der ersten, nervösen Viertelstunde Fahrt mit einem unvertrauten Wagen hatte ich mich wieder einigermaßen an den Linksverkehr gewöhnt, nur der Regen war lästig. Auf dem Weg gen Süden hielten wir im hübschen Kilmartin auf einen Kaffee im archäologischen Museum an und fuhren aber ohne weitere Besichtigung durch bis nach Tarbert, wo wir vor zwei Jahren schon einmal waren, allerdings nur zu Fuß per Fähre für einen Nachmittag. Diesmal hatten wir ein recht heimeliges Bed-and-Breakfast ausgesucht, um am nächsten Tag mit der ersten Fähre vom nahe gelegenen Kennacraig nach Islay zu fahren, und da es inzwischen aufgehört hatte zu regnen, verbrachten wir den Rest des Tags mit ein wenig faulenzen und Spaziergängen rund um den kleinen, geschäftigen Hafen, an dem jede Menge Fisch und Meeresfrüchte verladen wurden.

Nach dem Frühstück ging es auf die Fähre, die uns in über zwei Stunden Fahrt an der Insel Jura vorbei nach Islay brachte, unserem Ziel für die Woche. Wir konnten unser Ferienhäuschen erst am Nachmittag beziehen, so schauten wir uns erst einmal im Hauptort Bowmore sowie Port Ellen um, wo wir auch schon Milch, Obst, Gemüse und was man sonst noch so braucht einkauften. Unser Haus lag in Lagavulin, noch einmal wenige Kilometer von Port Ellen entfernt, mit Blick auf die kleine Bucht mit der gleichnamigen Distillerie und der alten, sehr kleinen Burgruine Dunyvaig. Das Wetter war nicht mehr so wirklich verlockend, und so verbrachten wir den Abend mit Lesen, Essen und Zurück in die Zukunft III im britischen Fernsehen.

Am Sonntag fuhren wir bei diesigem Wetter zur Machir Bay an der Westküste. Wie bei den meisten Wanderungen auch schon in den vergangenen Jahren folgten wir einem Vorschlag von Walkhighlands, einer hervorragenden Webseite mit hunderten Wanderwegen in Schottland, samt detaillierter Beschreibung, Fotos, GPS-Daten, User-Bewertungen und vielem mehr. Hinter den Dünen, wo wir unter anderem seltene Alpenkrähen gesehen hatten, ein kilometerlanger, feinsandiger Strand, an dem sich nur wenige Menschen verliefen. Es war diesig und windig, doch anders als noch während unserer Schiffstour z. B. auf Lewis war die Luft richtig mild, und wir aßen in den Dünen sitzend ein Wanderpicknick wie früher auf Island mit Käsebrot und Tee.

Weiter nach Süden ging es über Port Charlotte bis Portnahaven an der südwestlichen Landspitze, immer um Loch Indaal herum, dem Meeresarm, der die westliche und östliche Halbinsel trennt. Wir waren dabei überrascht, wie überschaubar der Tourismus auf der Insel ist. Zum einen verteilten sich wirklich nur wenige Touristen über die ganze Insel, obwohl große Landstriche nicht einmal bewohnt sind und sich das Leben im Wesentlichen entlang weniger Straßen und Orte abspielt. (Vielen Leuten begegneten wir daher auch mehrmals während der Woche.) Zum anderen gibt es in den Örtchen auch kaum touristische Infrastruktur wie einen Supermarkt oder auch nur eigene Parkplätze, meist nicht einmal ein Café, so dass man sich schon überlegen muss, wann und wo man etwas essen oder trinken will. Immerhin haben die Hauptstraßen über die Insel fast durchweg zwei Fahrbahnen; auf dem Festland gibt es selbst bei größerem Verkehr oft nur Single-Track-Roads.

Im pittoresken Portnahaven wurden wir von Robben im Wasser begrüßt. Wir liefen eine kleine Runde über den Nachbarort Port Wemyss, von dem aus man auf eine vorgelagerten Felsen mit Leuchtturm schaut, und wo noch viel mehr von ihnen herumlungerten und zwischendurch traurig sangen. (Bedrückend war allerdings der Anblick einer großen, massigen Robbe, die am gegenüberliegenden Ufer auf einem Felsen chillte, mit einer Art Halskrause, einem grünen Plastiknetz, in das sie vermutlich irgendwann einmal ihren Kopf gesteckt hatte und wohl nicht mehr losgeworden war. )

Insgesamt schien das Leben hier zwei Gänge langsamer als anderswo zu laufen und dieses Gefühl übertrug sich auch langsam auf uns. Zurück am Haus liefen wir noch einmal um die kleine Bucht, und später machten wir uns Spaghetti mit Butter und Parmesan, schauten den Kaninchen im Garten zu und planten, was wir in der Woche unternehmen wollten.