Archiv der Kategorie: Gedichte

21.09. – Medizinversagen, USA-Reisen und der Blick ins Universum

Ich fürchte, es wird heute etwas monothematisch. Aber man sucht sich die Themen nicht aus.

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„Rebecca continues to be paranoid“ – was eine Ärztin halt so notiert, als eine ehemalige Krebspatientin sie aufsucht, besorgt wegen Schwellungen an den Beinen. Sie wird beschwichtigt, nicht weiter untersucht, und vier Wochen später, als die Schmerzen nicht mehr auszuhalten sind, stellt man schließlich fest, dass sie Metastasen im ganzen Körper hat. Dabei wurde schon der ursprüngliche Gebärmutterhalskrebs, den sie überlebt hatte, viel zu lange nicht erkannt, sondern für eine Infektion gehalten.

I am here now as a poor substitute to share her message: You know your body. You know when something is wrong. Trust yourself. We are all afraid of falling through the cracks. And we ought to be, because it happens.

Ihre Schwester hat die traurige und zornig machende Geschichte aufgeschrieben.

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Dass Ärzt*innen Patient*innen nicht immer ernst nehmen, hat sicher auch mit Ausbildungen zu tun, in denen Patientengespräche und Sozialwissenschaften nicht so wichtige Lehrinhalte sind, und mit einem primär auf reibungslose Abläufe und Finanzen optimierten Medizinbetrieb. Aber wie in vielen Dingen wirken hier noch zusätzlich die gesellschaftlichen Gefälle. Frauen wird weniger geglaubt als Männern, ihre Schmerzen und Symptome werden als weniger relevant eingeschätzt, und ihre Krankheitsbilder zudem schlechter erforscht und verstanden:

Der Grund, warum wir weibliche Herzinfarktsymptome wie Übelkeit, Müdigkeit oder Schulterschmerzen als »atypisch« bezeichnen, meint Dusenbery, liege eben daran, dass die Mediziner die »typischen« Symptome am Prototyp Mann lernen. Bei Frauen tendieren Ärzte nachweislich eher dazu, psychologische Ursachen zu vermuten: Stress, Überlastung, Angst. »Beruhigen Sie sich mal wieder«, ist ein Satz, den Frauen häufiger hören.

In die gleiche Kerbe schlägt dieser etwas frühere Artikel: Medicine Has a Sexism Problem, And It’s Making Sick Women Sicker.

Vor einigen Wochen gab es eine Menge von Tweets – leider ohne verbindenden Hashtag, so weit ich mich erinnere – in denen viele Frauen hanebüchene Geschichten von verkannten Diagnosen, jahrelangem Leiden oder lebensgefährlichen Notfällen und von Ärzten abgebügelten Bedenken oder Nachfragen erzählten. Erschreckend.

Gut Immerhin, dass das Thema mittlerweile in der öffentlichen Wahrnehmung anzukommen scheint.

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Besonders frustrierende, teils erniedrigende und zuweilen verantwortungslose Behandlung im Medizinbetrieb erfahren Dicke. Dieser lange, lesenswerte Artikel befasst sich mit dem Versagen der Medizin und Mediziner*innen, seit Jahrzehnten aufgehäufte wissenschaftliche Erkenntnisse über die Nutzlosigkeit von Abnehmdiäten und die Unabhängigkeit von Gewicht und Gesundheit umzusetzen. Und mit strukturellen Faktoren: wie z. B. Versicherungen und Politik Dicke auch ihrerseits krank machen, zusätzlich zum ohnehin schon täglichen Bullying durch Mitmenschen. Krank im Wortsinn, denn zum Einen scheuen viele den Gang in die Arztpraxis oder das Krankenhaus, weil sie zu Recht befürchten müssen, anstatt ernst genommen zu werden wieder nur zu hören, dass alle Probleme mit ihrem Gewicht zu tun haben und sie sich nur mal zusammenreißen müssten. Krank auch zum Anderen, weil Diskriminierung von Dicken sozusagen amtlich abgesegnet ist, und permanente Ablehnung psychischen Stress und Leid erzeugt.

“It borders on medical malpractice,” says Andrew (not his real name), a consultant and musician who has been large his whole life. A few years ago, on a routine visit, Andrew’s doctor weighed him, announced that he was “dangerously overweight” and told him to diet and exercise, offering no further specifics. Should he go on a low-fat diet? Low-carb? Become a vegetarian? Should he do Crossfit? Yoga? Should he buy a fucking ThighMaster?

“She didn’t even ask me what I was already doing for exercise,” he says. “At the time, I was training for serious winter mountaineering trips, hiking every weekend and going to the gym four times a week. Instead of a conversation, I got a sound bite. It felt like shaming me was the entire purpose.”

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Ob Frauen, Dicke, Schwarze, Intersexuelle, Arme, Behinderte – als Patienten werden viele Bevölkerungsgruppen im Schnitt schlechter versorgt als wir bürgerlichen, normgewichtigen, weißen, nichtbehinderten Cis-Männer. Was ja nicht zufällig der vorherrschenden Demographie der Ärzteschaft entspricht. Diversität ist vielleicht kein Allheilmittel, aber es ist verdammt noch mal Zeit, den Beruf weit zu öffnen.

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Auf unserer Bucketlist für große Sehnsuchtsreisen steht neben Zielen wie „Kanada“ und „Neuseeland!!1!“ immer noch „USA“, was aber erst einmal auf Wiedervorlage in ein paar Jahren gesetzt wurde, aus Gründen. Dabei scheinen interessanterweise viele Touristen weniger Probleme mit der Willkommenskultur in den Vereinigsten Staaten zu haben als ich oder meine private Filterbubble. Zwar hat sich wohl die Länderzusammensetzung verschoben, aber tatsächlich sind laut amtlichen Statistiken die Besucherzahlen insgesamt gewachsen.

Jedenfalls ist Muserine derzeit im Südwesten der USA unterwegs und ihre Bilder auf Instagram erinnern mich daran, dass ich schon irgendwann noch selbst im Monument Valley stehen oder einen Sonnenaufgang im Antelope Canyon erleben möchte.

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Mein nächster Trip in die Staaten steht nichtsdestoweniger fest: Ende November für eine Woche nach Chicago. Allerdings wie immer rein beruflich. Für Späße ist die Stadt Ende November ohnehin zu kalt und windig.

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Ein Text, den die wunderbare Katie Mack, twitternde Astrophysikerin, gestern Nacht angesichts des Sternenhimmels geschrieben hat:  Disorientation: A Twitter Poem.

I want you to taste the iron in your blood and see its likeness in the rust-red sands on the long dry dunes of Mars, born of the same nebular dust that coalesced random flotsam of stellar debris into rocks, oceans, your own beating heart

Auf dass uns der Blick ins Universum schwindlig machen möge.  (Tolles Foto auch.)

#fischgedicht

fish

Ich glaube der @grindcrank hatte damit angefangen, jedenfalls gibt es ein kleines Twitter-Mem namens #fischgedicht, das ein paar andere und mich reizt, immer noch ein Gedicht dranzuhängen. Und Gedicht-Meme sind beste Meme, da muss man noch nicht mal die Twittergedichte von Fr. Holofernes bemühen.

So mancher tolle Hecht
Riecht nach zwei Tagen schlecht

Oh, wie ich diese Brasse
hasse!
Einzig die Makrele
spricht mir aus der Seele!

Ich winke der Dorade
Doch sie schwimmt weiter. Schade.

Der Hammerhai schwört vor Gericht
„Das mit dem Plattfisch war ich nicht!“

Frau Hering ward das Herz so warm
(sie hatte einen neuen Schwarm)

(wird ggf. fortgesetzt)

Bodo Wartke

Wie das meiste, was ich in den letzten Jahren an guten und tollen Leuten, Musik, Filmen usw. kennengelernt habe, kannte ich Bodo Wartke bis vorgestern auch nur aus dem Internet – in diesem Falle von Youtube; die Möwe hatte den Pianisten mit seinen hinreißend komischen Liedern und Balladen irgendwann zufällig dort entdeckt.

Am Sonntag spielte er in der Stadthalle Fürth, und wir hatten schon seit Februar Karten, um ihn auch mal live und am Stück zu erleben. Und wurden nicht enttäuscht. Das eine oder andere Lied seines aktuellen Klavierkabarettprogramms „Klaviersdelikte“ kannten wir natürlich schon, aber sehr viele eben noch nicht, ganz zu schweigen von Texteinlagen und Erzählrahmen.

Da gab es Lieder über deutsche Nachkriegsarchitektur, das Leben in einer WG (Die WG des Herrn ist unergründlich), das Defizit der deutschen Sprache, schön und unvulgär über Geschlechtsteile zu reden, inkompatible Frühlingsgefühle, ein benutzerdefiniertes Liebeslied (im Publikum fand sich kein Frauenname, für den er nicht schon eine Strophe getextet hatte – angeblich schon über 700 insgesamt, die er demnächst auf seine Webseite zum download stellen will), ein erotisches Lied mit vier nach Altersfreigabe gestaffelten Enden, oder eine Version des Papageno von Mozart, gesungen und mit Mundharmonika, in der auch verschiedene Vögel aus bekannten Vogel-Volksliedern gewaltsam zu Tode kommen. Ohne Bruchstelle schaffte er es sogar, nach all den Krachern ein paar ernste Balladen unterzubringen, darunter eine sehr bewegende über eine Schwester, die nur einen Monat alt wurde und die er selbst nie gesehen hatte.

Aber auch wenn mir sein Witz und seine Lieder nicht gefielen, ich würde immer noch sein Dichten bewundern: Mann, kann der Mann reimen! Und er beweist, dass das nur zum Teil mit sich reimenden Wörtern zu tun hat, aber dafür ganz viel mit Rhythmus. Was ich sagen will: Das war ein fantastisch guter Abend, das Publikum war begeistert, und nach über drei Stunden Auftritt (inkl. Pause) und drei Zugaben fuhren wir bestens gelaunt mit dem Rad nach Hause.

Hier noch ein Beispiel seiner Reimkunst; andere Sachen könnt ihr ja selbst ergoogeln oder auf seiner Webseite finden. Aber besser noch, ihr schaut ihn euch live an.