Archiv der Kategorie: Gesellschaft

Nicht zu wissen, …

… wie ich mit der Pandemie umgehen soll, gehört nach wie vor zu den Dingen, die mich kirre machen. Ich spreche nicht von den praktischen Aspekten wie: Kontaktvermeidung, Abstand und Masken, Wochen-Essenspläne, Homeoffice tagein, tagaus. Ja, mir fehlt die Möglichkeit, Freunde zu treffen, mit der ganzen Familie zu kochen, mich zieht die Aussicht runter, dass unser schon deutlich reduzierter und um ein Jahr verschobener Urlaub im Mai schon wieder flachfallen könnte, ich hasse meine „Frisur“, und ich würde so liebend gerne auf ein Konzert gehen, oder einfach mal Abends durch die Altstadt schlendern und irgendwo lecker essen. So weit, so normal. Was aber tiefer geht, ist mein Fremdeln mit der Welt.

Wenn es eine zentrale Erkenntnis gibt, die eine globale Seuche vermitteln könnte, dann: Ich kann nur so gesund sein wie die Menschen um mich herum. Das gilt im unmittelbaren Lebensumfeld von Familie, Nachbarn, Kolleg_innen und Freund_innen, aber auch auf jeder anderen Ebene, vom Stadtviertel bis zu ganzen Kontinenten. Das Virus besiege ich nicht, indem ich die einen schütze und die anderen nicht. Es hat sich nicht darum gekümmert, dass man Arbeiter_innen aus Osteuropa, die in hiesigen Fabriken unter fragwürdigen Bedingungen schuften, nicht als Teil der Bevölkerung sieht. Die Inzidenzzahlen werden nicht runtergehen, wenn nur die mit den entsprechenden Ressourcen in ihren Eigenheimen abgesichert im Homeoffice sitzen während viele andere unter Körpereinsatz und Präsenz direkt oder indirekt die Wirtschaft am laufen halten sollen. Covid19 wird nur verschwinden, auch in Deutschland, wenn alle Länder den gleichen Zugang zu Impfstoffen erhalten, und so weiter. Es geht nur mit Solidarität.

Stattdessen? Kurzsichtiger Egoismus auf allen Ebenen. Ich will das nicht alles aufzählen. Aber die permanente Denunziation von Verantwortung als „Panik“ und Angriffe auf Pflegepersonal in Krankenhäusern oder Anschläge auf Impfzentren gehören sicher zu den allerunerträglichsten Auswüchsen.

Wie schön wäre es, in meiner Kirche Diskurse und Antworten auf die existenzielle Krise unserer Welt zu finden! Eigentlich hätte sie alles, was man dazu bräuchte. Stattdessen auch dort Klammern an alten Verhältnissen und weitgehende Sprachlosigkeit. In meiner Gemeinde versuchen alle brav, die Regeln einzuhalten (immerhin), aber Corona als Thema der Auseinandersetzung mit dem Glauben und der Welt findet nicht einmal in dem momentan verbliebenen Rest an Gemeindeleben statt, dem sonntäglichen Gottesdienst unter strengen Auflagen. Ein Blick auf die Weltkirche? Hier dürfen wir ohnmächtig zuschauen, wie die Institution Katholische Kirche die Gewaltopfer ihres eigenen Klerus nach wie vor verachtet und auch sonst hauptsächlich damit beschäftigt ist, sich in panischer Angst vor Bedeutungsverlust und eigenständig glaubenden Menschen an den selbst geschaffenen Türsteherjob vor Gottes Reich zu klammern.

Nein, ich weiß nicht, wie ich mit der Welt gerade umgehen soll. Klar, ich könnte und sollte selbst etwas tun, aber fühle mich die meiste Zeit wie gelähmt. Hinzu kommt der neue Job seit letzten Mai (immer noch eine der besten Entscheidungen des Jahres!), der mir mehr Konzentration und Energie abverlangt, als ich übrig habe, wenn mir die Weltlage wie so eine Handy-App im Hintergrund schon permanent die Batterie leerzieht. Wenigstens sind die bürgerkriegsartigen Entwicklungen in den USA wieder etwas in den Hintergrund gerückt.

Was spendet Trost? Ich binge fast jeden Abend Youtubevideos z. B. von einem sympathischen Landschaftsfotografen, wie er im Lake District, Schottland oder irgendwo sonst auf der Welt wandert und fotografiert und träume davon, auch irgendwann wieder in solcher Landschaft unterwegs zu sein. Gutes Essen – wobei die Möwe noch deutlich mehr als ich kocht, backt und neue Rezepte probiert (und wir nach weit über 300 Tagen Essensplan und Homeofficekantine schon auch davon träumen, irgendwann einen Urlaub zu machen, in dem wir uns nur bekochen lassen). Ich nutze jede Gelegenheit am Wochenende, mit meiner tollen neuen Kamera auf die Pirsch zu gehen, sei es auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz in der Nähe, im Stadtpark oder wie gestern im nahen Aischgrund auf der (leider vergeblichen) Suche nach Sumpfohreulen. Überhaupt die Vögel rund ums Haus natürlich, von denen ich hoffe, dass sie bald das von der Möwe zu Weihnachten geschenkte Bruthäuschen mit Webcam entdecken. Das neue Album von The Notwist, das wie immer melancholisch, warm und tröstlich ist. Und letztlich ist wohl auch die Wiederbelebung des Blogs ein Versuch, meinem Leben wieder etwas mehr Selbstbestimmungsgefühl zu geben. Wir werden sehen.

16.10. – Wahlhelfer, Arbeit, Dota

Durch Fr. Kaltmamsell und später Fr. Gröner auf die Idee gebracht, meldete ich mich bei der Stadt im Sommer 2017 ebenfalls als Wahlhelfer für die damals anstehende Bundestagswahl, bekam aber auf meine Bewerbung nie eine Antwort. Bis vor knapp drei Monaten, als mich die Stadt anschrieb, ob ich für die bayerische Landtags- und Bezirkstagswahl am 14. Oktober zur Verfügung stünde. Ich sagte zu, als Beisitzer für die Nachmittagsschicht in einem Wahllokal in meinem Stadtviertel. Auf normale Angestellte schien man im Wahlamt eher nicht eingestellt zu sein, jedenfalls war die Einführungsveranstaltung in der Stadthalle neulich an einem Donnerstag um halb drei zeitlich eher schwierig. Aber gut, immerhin hatte die große Nachbarstadt einen Foliensatz im Netz, der Abläufe und Auszählungsregeln sehr gut erklärte. (So gut, dass ich am Sonntagabend neben dem Wahlvorstand der Einzige von den neun Helfern war, der z. B. wusste, dass mehrfache Zweitstimmen unter Umständen gültig waren und wie sie gezählt würden.)

Der Morgen begann mit Lektorendienst um halb elf in der Kirche, danach frühstückten die Möwe und ich ausgiebig im Bäckereicafé eine Ecke weiter, schließlich würde ich für den Rest des Tages nurmehr mitgebrachtes Studentenfutter bekommen. Gegen zwanzig vor Eins stand ich im Wahllokal der ebenfalls benachbarten Grundschule. Als Neuling bekam ich einen der beiden einfachen Jobs: am Eingang zum Klassenzimmer die mitgebrachte Wahlbenachrichtigung checken („Ah ja, hier sind Sie richtig. Nein danke, Personalausweis brauche ich nicht.“) und die vier Wahlzettel aushändigen. Beziehungsweise wenn jemand ohne Benachrichtigung kam, ihn/sie an den Tisch mit dem Wählerverzeichnis zu verweisen. Der andere einfache Job ist übrigens, die Urnen zu überwachen und nur nach erfolgreichem Wählerverzeichnis-Check am Nachbartisch zuzulassen, dass die zwei blauen (Bezirkstag) und weißen (Landtag) Zettel eingeworfen werden.

Der Sonntagnachmittag war schön, draußen auf dem Schulhof leuchteten die Bäume in allen Farben, die Fürther Kirchweih einen Kilometer entfernt hatte ihren letzten Tag, und so wurde es nach einem größeren Andrang zwischen ein und zwei Uhr, wo tatsächlich Leute Schlange standen, am Nachmittag sehr gemächlich. Der Rest des Teams schien sich seit langem als solches zu kennen, also immer wieder zusammen eingesetzt zu werden. Ich war vermutlich der Jüngste, ein Ehepaar knapp drüber, der Rest der Leute eher Ende 50 und in den 60ern, und man duzte sich. Interessant fand ich, dass zwei der Wahlhelfer mit deutlichem Akzent sprachen (einmal italienisch, einmal osteuropäisch), der sie als eingebürgert verriet. So wie überhaupt auch viele der Wählenden türkische oder osteuropäische Namen hatten – einfach ein schön buntes Viertel. Besonders in Erinnerung ist mir eine Frau, schätzungsweise Ende 20 mit arabischem Namen, begleitet von ihrem nicht wählenden Vater, die so frisch eingebürgert war, dass man ihren Eintrag im Wählerverzeichnis erst nach einer Weile fand. Wie aufgeregt und stolz sie war, ihre Stimme abzugeben!

Nach Wahlende um 18 Uhr begann dann eine vierstündige Papierorgie ohne Pause, in der die zusammen anderthalb Tausend kleinen und großen Zettel entfaltet, gecheckt, sortiert, gestapelt, gezählt und wieder gestapelt wurden, ein nicht enden wollender Lärm aus Papierknistern und -flattern, vor sich hin gemurmelten Zahlen und vereinzelten Rufen („Hat schon jemand die V³-Partei?“, „Wo sind denn die Freien Wähler, die lagen doch eben noch hier?“). Es war anstrengend, aber auch schön, als schließlich alle Zählungen passten, also die Zahl der abgehakten Wähler im Verzeichnis übereinstimmte mit der Strichliste neben der Urne mit der Zahl der Stimmzettel mit der Zahl der ermittelten Kandidatenstimmen. Wobei es durchaus einen Moment gab, in dem ich mich ganz undemokratisch darüber freute, dass die Wahlbeteiligung in unserem Wahllokal nur bei 40% lag. Inzwischen weiß ich, dass unser „Dienstschluss“ um kurz vor zehn Uhr auch durchaus nicht spät war, wenn man so hört, wie es in München lief. Wobei ich allerdings auch nicht nachvollziehen kann, warum man das enorm aufwändige Zweitstimmenverfahren unbedingt auch beim Bezirkstag braucht, einem offiziell nur 24 Abgeordnete starken Gremium (diesmal wurden es wegen Überhangmandaten 33) mit sehr klar umrissenen Aufgaben hauptsächlich im Bereich Bildung, Kultur und Soziales.

Aber insgesamt war es spannend und hat Spaß gemacht. Ich mag diese langweilige, deutsche Demokratie mit ihren unspektakulären Wahlen, in Klassenzimmern unserer Schulen, die ja auch gleich schon mal einen wichtigen Ort unseres Gemeinwesens darstellen, für den wir Steuern zahlen und auf den unsere Entscheidungen Auswirkungen haben. Und mitzuerleben, mit welchen einfachen Mitteln sichergestellt wird, dass Wahlmanipulationen größeren Stils praktisch nicht möglich sind, finde ich ausgesprochen beruhigend. Weswegen ich auch entschieden gegen zentralisierte, rein elektronische Systeme bin.

Ich hoffe, zu den Europawahlen nächsten Mai werde ich wieder rekrutiert.

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Auf dem Heimweg mit dem Fahrrad begann zufällig gerade, als ich die große Wiese mit der freien Sicht aufs Zentrum passierte, das Abschlussfeuerwerk der Fürther Kärwa. So konnte ich zum ersten Mal quasi auf einem fernen Logenplatz und in voller Länge alles anschauen, wovon ich in den vergangenen Jahren immer nur das Geknatter mitbekommen hatte. Wusstet ihr, dass es inzwischen Raketen gibt, die Smilies und Herzen an den Himmel werfen?

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Das Projekt, für das ich im Büro jetzt zwei Monate lang verstärkt reingekloppt habe, hat gestern Abend mit einer Präsentation vorm unlängst ausgewechselten Management seinen wichtigsten Meilenstein passiert. Die neuen Chefs waren ausgesprochen angenehm, ihre kritischen Nachfragen absolut in Ordnung, wir bekamen unsere Unterschriften, und schließlich gab es große Gratulation von allen Seiten. Und nicht zu vergessen, wir haben ein klasse Produkt gemacht, das jetzt Zug um Zug intern und extern gelauncht wird. Darin steckt noch jede Menge weitere Arbeit, aber das wichtigste Etappenziel ist genommen. Allerdings war ich nach dem Vortrag so vollkommen groggy und hinüber, dass ich mir für heute einen freien Tag genommen habe, was mir sehr gut getan hat. Abgesehen davon wäre mein Hirn im Büro heute ohnehin nicht produktiv gewesen.

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Irgendwann vor Jahren hatte ich im Netz schon mal Dota Kehr entdeckt, vermutlich auf tvnoir oder in den Küchensessions, dann aber wieder aus den Augen verloren. Nun hat sie vergangenen Monat ein neues Album („Die Freiheit“) rausgebracht, und es ist großartig. Gute Texte zwischen Liebesliedern und Gesellschaftskritik, von unbeschwert bis hintergründig-böse, von Milliardären, die den Planeten verlassen, unverbindlichen Liebschaften, Sexismus, Zuversicht vermittelnden Schwangeren im Baumarkt, Überwachungsstaat, … Klare Stimme, ungewohnt schöne, ohrwurmige Melodien und knackige Arrangements – so viel Freude an einer neuen Entdeckung hatte ich schon lange nicht mehr. Große Empfehlung!

Anspieltipps:

21.09. – Medizinversagen, USA-Reisen und der Blick ins Universum

Ich fürchte, es wird heute etwas monothematisch. Aber man sucht sich die Themen nicht aus.

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„Rebecca continues to be paranoid“ – was eine Ärztin halt so notiert, als eine ehemalige Krebspatientin sie aufsucht, besorgt wegen Schwellungen an den Beinen. Sie wird beschwichtigt, nicht weiter untersucht, und vier Wochen später, als die Schmerzen nicht mehr auszuhalten sind, stellt man schließlich fest, dass sie Metastasen im ganzen Körper hat. Dabei wurde schon der ursprüngliche Gebärmutterhalskrebs, den sie überlebt hatte, viel zu lange nicht erkannt, sondern für eine Infektion gehalten.

I am here now as a poor substitute to share her message: You know your body. You know when something is wrong. Trust yourself. We are all afraid of falling through the cracks. And we ought to be, because it happens.

Ihre Schwester hat die traurige und zornig machende Geschichte aufgeschrieben.

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Dass Ärzt*innen Patient*innen nicht immer ernst nehmen, hat sicher auch mit Ausbildungen zu tun, in denen Patientengespräche und Sozialwissenschaften nicht so wichtige Lehrinhalte sind, und mit einem primär auf reibungslose Abläufe und Finanzen optimierten Medizinbetrieb. Aber wie in vielen Dingen wirken hier noch zusätzlich die gesellschaftlichen Gefälle. Frauen wird weniger geglaubt als Männern, ihre Schmerzen und Symptome werden als weniger relevant eingeschätzt, und ihre Krankheitsbilder zudem schlechter erforscht und verstanden:

Der Grund, warum wir weibliche Herzinfarktsymptome wie Übelkeit, Müdigkeit oder Schulterschmerzen als »atypisch« bezeichnen, meint Dusenbery, liege eben daran, dass die Mediziner die »typischen« Symptome am Prototyp Mann lernen. Bei Frauen tendieren Ärzte nachweislich eher dazu, psychologische Ursachen zu vermuten: Stress, Überlastung, Angst. »Beruhigen Sie sich mal wieder«, ist ein Satz, den Frauen häufiger hören.

In die gleiche Kerbe schlägt dieser etwas frühere Artikel: Medicine Has a Sexism Problem, And It’s Making Sick Women Sicker.

Vor einigen Wochen gab es eine Menge von Tweets – leider ohne verbindenden Hashtag, so weit ich mich erinnere – in denen viele Frauen hanebüchene Geschichten von verkannten Diagnosen, jahrelangem Leiden oder lebensgefährlichen Notfällen und von Ärzten abgebügelten Bedenken oder Nachfragen erzählten. Erschreckend.

Gut Immerhin, dass das Thema mittlerweile in der öffentlichen Wahrnehmung anzukommen scheint.

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Besonders frustrierende, teils erniedrigende und zuweilen verantwortungslose Behandlung im Medizinbetrieb erfahren Dicke. Dieser lange, lesenswerte Artikel befasst sich mit dem Versagen der Medizin und Mediziner*innen, seit Jahrzehnten aufgehäufte wissenschaftliche Erkenntnisse über die Nutzlosigkeit von Abnehmdiäten und die Unabhängigkeit von Gewicht und Gesundheit umzusetzen. Und mit strukturellen Faktoren: wie z. B. Versicherungen und Politik Dicke auch ihrerseits krank machen, zusätzlich zum ohnehin schon täglichen Bullying durch Mitmenschen. Krank im Wortsinn, denn zum Einen scheuen viele den Gang in die Arztpraxis oder das Krankenhaus, weil sie zu Recht befürchten müssen, anstatt ernst genommen zu werden wieder nur zu hören, dass alle Probleme mit ihrem Gewicht zu tun haben und sie sich nur mal zusammenreißen müssten. Krank auch zum Anderen, weil Diskriminierung von Dicken sozusagen amtlich abgesegnet ist, und permanente Ablehnung psychischen Stress und Leid erzeugt.

“It borders on medical malpractice,” says Andrew (not his real name), a consultant and musician who has been large his whole life. A few years ago, on a routine visit, Andrew’s doctor weighed him, announced that he was “dangerously overweight” and told him to diet and exercise, offering no further specifics. Should he go on a low-fat diet? Low-carb? Become a vegetarian? Should he do Crossfit? Yoga? Should he buy a fucking ThighMaster?

“She didn’t even ask me what I was already doing for exercise,” he says. “At the time, I was training for serious winter mountaineering trips, hiking every weekend and going to the gym four times a week. Instead of a conversation, I got a sound bite. It felt like shaming me was the entire purpose.”

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Ob Frauen, Dicke, Schwarze, Intersexuelle, Arme, Behinderte – als Patienten werden viele Bevölkerungsgruppen im Schnitt schlechter versorgt als wir bürgerlichen, normgewichtigen, weißen, nichtbehinderten Cis-Männer. Was ja nicht zufällig der vorherrschenden Demographie der Ärzteschaft entspricht. Diversität ist vielleicht kein Allheilmittel, aber es ist verdammt noch mal Zeit, den Beruf weit zu öffnen.

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Auf unserer Bucketlist für große Sehnsuchtsreisen steht neben Zielen wie „Kanada“ und „Neuseeland!!1!“ immer noch „USA“, was aber erst einmal auf Wiedervorlage in ein paar Jahren gesetzt wurde, aus Gründen. Dabei scheinen interessanterweise viele Touristen weniger Probleme mit der Willkommenskultur in den Vereinigsten Staaten zu haben als ich oder meine private Filterbubble. Zwar hat sich wohl die Länderzusammensetzung verschoben, aber tatsächlich sind laut amtlichen Statistiken die Besucherzahlen insgesamt gewachsen.

Jedenfalls ist Muserine derzeit im Südwesten der USA unterwegs und ihre Bilder auf Instagram erinnern mich daran, dass ich schon irgendwann noch selbst im Monument Valley stehen oder einen Sonnenaufgang im Antelope Canyon erleben möchte.

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Mein nächster Trip in die Staaten steht nichtsdestoweniger fest: Ende November für eine Woche nach Chicago. Allerdings wie immer rein beruflich. Für Späße ist die Stadt Ende November ohnehin zu kalt und windig.

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Ein Text, den die wunderbare Katie Mack, twitternde Astrophysikerin, gestern Nacht angesichts des Sternenhimmels geschrieben hat:  Disorientation: A Twitter Poem.

I want you to taste the iron in your blood and see its likeness in the rust-red sands on the long dry dunes of Mars, born of the same nebular dust that coalesced random flotsam of stellar debris into rocks, oceans, your own beating heart

Auf dass uns der Blick ins Universum schwindlig machen möge.  (Tolles Foto auch.)

15.9. – Polizeiberichte, Instagram, Büro

Vor einigen Tagen widmete sich Vice dem Fall einer Frau, die offensichtlich wegen eines Antifastickers in einem Münchener Park von jemandem beschimpft und bewusstlos geschlagen wurde – und dem Fehlen jeder Notiz darüber im Polizeibericht. Gleichzeitig werden andere Vorfälle in der Stadt, darunter auch vergleichbare Gewaltdelikte durchaus gemeldet, vor allem auch inklusive jeder nicht-deutschen Nationalität von Beteiligten. In der Antwort der Polizei auf die Frage, nach welchen Kriterien etwas Eingang in ihren Bericht findet, gibt sie selbst zu erkennen, welche Gewalt sie für berichtenswert und im öffentlichen Interesse betrachet und welche nicht, in welchen Fällen schwebende Ermittlungen ein Hindernis sind, während in anderen Fällen auch ohne ermittelten Hintergrund Meldungen rausgegeben werden.

Dieses Ungleichgewicht hat System, was dieser äußerst lesenswerte Hintergrundbericht von correctiv.org am Beispiel der Stadt Wien aufzeigt: Welche Vorfälle Polizeidienststellen auswählen, worüber sie fast gar nicht berichten, und wie das mit Hilfe der Medien, die meist 1:1 übernehmen, was gemeldet wird, die öffentliche Wahrnehmung von Sicherheit und Gewaltbedrohung formt. Zitat eines Kriminalsoziologen:

„Die Polizei hat es gern, wenn die Gesellschaft ordentlich und sauber ist. Nach dem Muster: Wir sind die Normtreuen, und dann gibt es am Rand der Gesellschaft die Bösen, die Handtaschen rauben oder mit Drogen dealen.“ Gewalt aus der Mitte der Gesellschaft, Rassismus oder Vergewaltigungen zum Beispiel, passe nicht in dieses Bild.

Besondere Probleme scheint die Polizei immer zu haben, Straftaten von rechts als solche zu erkennen und zu behandeln. Nicht nur die gefärbte Auswahl der Polizeiberichte, sondern sogar Verfahrensweisen von Polizei und Justiz sorgen oft dafür, dass sie gar nicht erst auftauchen. Also vom oben genannten Fall, wo erst ein Staatsanwalt einer Veröffentlichung zustimmen müsste (warum zum Teufel?), bis hin zu den Mordopfern des NSU, die auch jetzt, Jahre später und nach abgeschlossenem Prozess nicht als Opfer rechten Terrors auftauchen, weil – festhalten! – der Eingangsverdacht ein anderer war. So lässt die gleiche Blindheit für rechte Gewalt, die das jahrelange NSU-Morden überhaupt mit ermöglicht hat, auch heute noch die Opfer verschwinden.

Man muss sich immer bewusst sein, dass die Polizei eine Menge Hebel – vom Eingangsverdacht über Ermittlungswillen, Auswahl der berichtenswerten Meldungen, dem darin vermittelten Bild von Polizist*innen und anderen beteiligten Personen bis hin zur Statistik – in unserer medialen Wahrnehmung von Kriminalität in der Hand hält. Und bei allem Respekt für polizeiliche Arbeit agiert sie mit eigenem politischen Interesse und hat nach wie vor Probleme auf dem rechten Auge. Ich lese Polizeiberichte und darauf basierende Nachrichten (nicht zu vergessen auch Polizeitweets) deswegen schon seit Jahren nur mit Vorsicht.

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Zurückgekehrt auf Instagram. Um den Jahreswechsel hatte ich die Nase voll; man öffnete die App, sah ein Foto, wollte es womöglich kommentieren, in dem Moment aktualisierte sich die Timeline und man fand das Foto nie wieder. An Silvester wurden mir Fotos von Heiligabend-Bescherungen angezeigt. Zuweilen war jedes dritte Posting der Timeline Werbung, teilweise mit unaufgefordert loslaufenden Videos mit Ton.

Mit der Werbung ist es in der Zwischenzeit nicht besser geworden und chronologische Timelines sind auch nicht zurückgekehrt. Aber zumindest scheint der Algorithmus nur noch die letzten zwei Tage durcheinanderzuwürfeln und zeigt einem auch an, wenn man alles davon gesehen hat. Das Mitlesen hatte ich ohnehin nie ganz aufgehört, einfach weil mich eure Fotos und was ihr so den Tag über macht natürlich weiter interessiert haben (zumal bei denen, die nicht auch auf Twitter sind). Im Urlaub gab es außerdem das eine oder andere Foto, was ich gerne auf Instagram geteilt hätte. Nun, das hole ich jetzt ein wenig nach.

Dieser Anblick auf meiner Morgenrunde gab den letzten Anstoß:

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Auf Instagram fiel jemandem, der offenbar auf den Färöern Skuas beringt, eines meiner Skua-Fotos auf (alleine für soetwas ist Instragram cool) und er fragte, ob man den Ringcode auf dem Foto entziffern könne. Es stellte sich heraus, dass sie nicht zu „seinen“ Vögeln gehörte, aber ich habe ein wenig gegoogelt und eine Seite gefunden, auf der man Sichtungen farblich beringter Vögel melden kann, beziehungsweise die Kontaktperson des jeweiligen Beringungsprojekts finden. So habe ich diese Skua gemeldet und noch eine zweite mit Ring, deren Code man lesen konnte. Mal sehen, ob ich Feedback bekomme, wann und wo diese Vögel beringt wurden. Spannend.

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Überhaupt wächst in mir der Wunsch, irgendwann einmal für ein paar Tage mitzuhelfen, wilde Vögel zu beringen. Das stelle ich mir anstrengend, aber auch sehr glücklich machend vor.

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Auf der Arbeit läuft gerade alles auf einen wichtigen Meilenstein im Oktober zu, für den ich weitgehend mitverantwortlich bin, und wofür jetzt täglich aufgeregte Statusmeetings stattfinden und dutzende Mails mit Fragen, Aufgaben und Dokumentenreviews in meiner Inbox aufschlagen. Die Informationsflut fordert erste Opfer; was ich nicht sofort aufschreibe, ist im nächsten Moment weg, und ich bin nachts lange wach – (noch) nicht aus Angst, nicht mehr nachzukommen, aber weil mein Hirn nicht zur Ruhe kommt. Ich hoffe, ich halte das bis Ende Oktober, wenn der erste Gipfel bewältigt sein wird, einigermaßen durch. Außerdem habe ich in der ersten Novemberwoche vorsichtshalber schon zwei Urlaubstage für ein verlängertes Wochenende am Chiemsee genommen. So.