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Auszeit, zwei Wochen Bretagne

Nach acht Wochen in Schottland waren wir erstmals wieder zuhause. In der Zwischenzeit hatte eine Freundin dann und wann nach der Post geschaut, ansonsten waren Haus und Garten sich selbst überlassen, und das zur Hauptwachstumszeit. Herrje, sah das fürchterlich aus. Alles vor und hinter dem Haus war mannshoch gewuchert und zum Teil schon wieder vertrocknet. Immerhin blühten noch die Kamille, ein paar Kornblumen und etwas Klatschmohn dazwischen. Zumindest den zuvor einmal sichtbaren Weg, die Grenzen zu den Nachbarn sowie den Vorgarten schnitt ich halbwegs frei, den Rest müssen wir nach unserem Urlaub angehen. Auch generell brauchen wir wohl mal eine Beratung zur Gestaltung.

Nach drei Tagen packten wir den frisch gewarteten Corsa und fuhren in die Bretagne mit einem mehrtägigen Zwischenstopp bei unseren Eltern in Duisburg. Früher hatten wir gemeinsam bei meinen oder ihren Eltern übernachtet und die andere Seite besucht. Heute leben nur noch die Mutter der Möwe und mein Vater; beide brauchen viel mehr Unterstützung und Gesellschaft, so dass wir die Zeit praktisch komplett getrennt verbringen und uns nebenher auch ein bisschen um den Haushalt kümmern. Seit wir vor ein paar Jahren begriffen haben, dass die Zeit mit ihnen nicht mehr ewig sein wird, versuchen wir ohnehin so einmal im Monat ein Wochenende in Duisburg zu sein. Aber auch für den Urlaub bot sich der Zwischenstopp an: Die restlichen 850 Kilometer in die Bretagne sind anstrengend, aber machbar. Die kompletten 1200 Kilometer an einem Tag zu fahren ist dagegen aus Erfahrung grauenhaft und unvernünftig.

Nach so langer Zeit an mehr oder weniger entlegenen Orten hatten wir in der Bretagne diesmal nicht Meerblick als erstes Kriterium für die Unterkunft gesetzt, sondern Fußläufigkeit und lebendige Umgebung. Unsere Wohnung im (Austern-)Fischerort Cancale war dafür perfekt, genau auf halbem Weg zwischen dem Hafen mit seinen dutzenden Restaurants und dem Ortskern mit kleinen Geschäften.

Für mich ist der Ort und seine Umgebung praktisch wie zuhause; seit meiner Kindheit waren wir immer wieder dort im Urlaub, inzwischen auch mit der Möwe schon ein paar Mal. So lag der Schwerpunkt auch eher auf dem Dortsein als auf Erkundungen unbekannter Gegend. Natürlich gehören Saint-Malo, Dinan, Dol und Cap Frehel zum Pflichtprogramm (der Mont-Saint-Michel eigentlich auch, aber der ist in der Hochsaison unerträglich). Darüber hinaus fanden wir aber auch ein paar hübsche Stellen zum Laufen an der Küste, die ich noch nicht kannte.

Ein großes Highlight war die Bootstour, die die Möwe ausfindig gemacht hatte. Ich wusste bis dahin nicht einmal, dass in der Bucht ganzjährig Delfine leben. Und wir hatten tatsächlich das Glück, auf einer mehrstündigen Tour eines Naturschutzvereins in eine mindestens siebenköpfige Schule Großer Tümmler zu geraten, die zwanzig Minuten lang immer wieder um unser Schlauchboot herum auftauchten und (leider nur ein-zwei mal) in die Luft sprangen. Wunderbar.

Ansonsten verbrachten wir die Tage entspannt, mehrmals auch am kleinen Lieblingsstrand, kauften auf Märkten und im Supermarkt ein, kochten selbst (die Bretagne ist ein Paradies für gute Lebensmittel) oder gingen Galettes und Crepes oder auch mal im Restaurant essen, kauften Stoffe z. B. für den Bezug eines alten, aber noch gut brauchbaren Ikea-Schlafsofas, liefen abends an der Hafenpromenade entlang, schauten den Seidenreihern auf den Muschelbänken zu oder bestaunten die unfassbaren Meeresfrüchte-Etageren auf den Tischen der Restaurants mit ihren riesigen Krebsen und anderem Getier. Die Fenster der Ferienwohnung zur Straße waren gottseidank sehr gut schallgedämmt, denn lebendig ist der Ort zur Hauptsaison auf jeden Fall, manchmal bis tief in die Nacht. Aber so hatten wir es ja gewollt.

Ein schöner Höhepunkt gegen Ende der Reise war das Feuerwerk am Vorabend des Nationalfeiertags. Tausende Menschen versammelten sich am Hafen und schauten sich das viertelstündige Feuerwerk über der Mole an. Das war großartig, im Sand sitzen und so eine Show in komplettem Breitwandformat sehen zu können.

Am Freitagabend gingen wir noch einmal essen und am Samstagmorgen schließlich verabschiedete uns die Bretagne mit Wind und Regen. An den Ständen am Hafen kauften wir noch drei Dutzend frisch geerntete Austern für unsere Eltern und fuhren die neuneinhalb Stunden zurück nach Duisburg. Morgen geht es von hier endgültig nach Hause. Dann bleiben noch zwei Wochen Sabbatical übrig, bevor der Arbeitsalltag wieder übernimmt – ich kann mir noch nicht vorstellen, wie das wieder geht.

Auszeit, die letzten zwei Wochen Lewis (und Harris)

In den letzten knapp zwei Wochen auf Lewis ließen wir es etwas ruhiger angehen, auch weil das ungewöhnliche Sommerwetter tatsächlich nicht immer Lust machte, in der kräftigen Mittagssonne unterwegs zu sein. Wir verbrachten noch einmal einen Morgen am Garry Beach, diesmal bei Ebbe, wodurch einige vorgelagerte Felshügel am Strand freigelegt waren und man auf dem Sand durch Höhlen und Bögen spazieren konnte.

Draußen vor der Küste schienen große Fischschwärme zu ziehen, was hunderte von Basstölpeln zu einer ihrer frenetischen Jagden animierte, bei denen sie ununterbrochen torpedoartig ins Wasser hinabstoßen (Zeitlupe, ohne Ton):

Nicht weit entfernt (via Luftlinie, aber sehr wohl über Straßen) erlebten wir den Butt of Lewis, offiziell stürmischster Ort des Vereinigten Königreichs, nahezu bei Windstille – zuerst bei klarer Sicht, dann innerhalb kürzester Zeit vernebelt, wie später auch das hübsche Port of Ness.

An mehreren Abenden fuhren wir zum Tiumpan Head, einem Kap nicht weit von unserer Unterkunft, wo man praktisch einen 270°-Blick aufs offene Meer hat. Mehrmals konnte man Delfine und Zwergwale sehen, wenn auch leider nur sehr weit draußen. Unsere Hoffnung auf Orcas (die dort tatsächlich an einem der Tage Stunden zuvor gesichtet wurden) oder zumindest ein paar Delfine in Ufernähe erfüllte sich leider nicht. Dennoch ein schöner Ort, wenn die See glatt ist und abends eine sanfte Brise die Tageshitze wegweht.

Ein größerer Tagesausflug führte in den entlegenen Südwesten von Lewis. Zunächst zum Reef Beach, einem idyllischen, kilometerlangen Strand, den wir vor Jahren schon auf einer unserer Bootstouren vom Wasser aus kennengelernt hatten. Beim ersten Halt hörte man innerhalb von Minuten Wachtelkönig, Goldregenpfeifer und Kuckuck rufen, wie wunderbar! Wie damals tauchten Sterntaucher direkt am Strand, so nah habe ich sie nirgends sonst gesehen. Weiter ging es zum Gallan Head, einem Kap, von dem aus die Royal Air Force und zuletzt die NATO jahrzehntelang den Atlantik abhörte. Nach dem Abzug des Militärs wurde das Gelände von einer lokalen Initiative aufgekauft und seitdem nach und nach begeh- und bewohnbar gemacht wird. Die verlassenen, auf dem ganzen Kap verteilten Armeebaracken geben dem Ort ein sehr morbides Lost-Place-Flair. Auch hier ist ein idealer Beobachtungspunkt für Meeressäuger, und ich sah neben Rundkopfdelfinen auch meine ersten Weißschnauzendelfine draußen springen. Schließlich fuhren wir noch etwas weiter bis Uig Sands, einer Bucht, die sich bei Ebbe in einen kilometerweite Sandebene verwandelt. Nahezu unwirklich.

Ein Ausflug Richtung Harris führte am Aline Woodland vorbei, einem kleinen Waldgebiet direkt an der Hauptverbindungsstraße, das wir aber nach einer kleinen Runde über Bohlenwege wieder fluchend verließen, denn bei Windstille warteten jede Menge Bremsen offenbar nur darauf, unser Blut anzuzapfen. Weiter ging es über eine der abenteuerlichsten Single-Track-Roads der Inseln nach Hushinish, einer Landzunge mit schönem Strand, von der aus man die unbewohnte Insel Scarp sehen kann, auf der wir auf den vergangenen Bootstouren schon jeweils einmal angelandet waren. Leider auch ein beliebter Ort für Camper, obwohl am Ende der Straße nur ganz wenige Wohnmobile Platz finden. Ihnen auf der nur 2,50 Meter breiten Straße durch die Felslandschaft zu begegnen, die oft nur 20-30 Meter Sicht zur nächsten steilen Kurve oder Kuppe lässt, macht wenig Spaß. Aber die Landschaft war den Weg wert, und dass man an einer Stelle nahezu durch ein Schloss hindurchfährt, eine schöne Überraschung.

In der letzten Woche ließ das Sommerwetter etwas nach, es wurde wieder etwas kühler und nach mehreren praktisch trockenen Wochen kamen endlich ein paar Schauer und Gewitter, was uns in der Unterkunft nicht nur den Ausblick auf dramatische Wolken, sondern auch auf einen doppelten Regenbogen bescherte. Bei mehr Wind und mit Mückenspray ausgerüstet holten wir unsere kleineren Woodland Walks nach, einmal in den Bergen von Harris, und einmal den schon begonnenen Trail hinuter zu einem Loch (der hier wie oft als See daherkommt, aber eigentlich ein Meeresarm ist). Sehr schön, und wie so oft fast ganz für uns.

Als letztes Highlight der Reise stand noch ein Konzert an. Wir lieben Peter Gabriel, der 20 Jahre nach seinem letzten Studioalbum seit einiger Zeit monatlich neues Material veröffentlicht und seit einigen Wochen auf Tour ist. Zu den Terminen in Deutschland hätten wir ihn nicht sehen können, und da der Mann mittlerweile 73 Jahre alt ist, möchte ich nicht wetten, ob es überhaupt noch einmal eine Tour geben wird. Glücklicherweise stand aber auch ein Auftritt in Glasgow an, der in unseren längst gebuchten Urlaub passte. So verließen wir Lewis für einen Tag und eine Nacht in Glasgow und hatten sogar eine günstige Unterkunft in Fußnähe der Arena. Bislang kannten wir die Stadt nur von Durchreisen, wo wir jeweils mit Rollkoffern und/oder bei Regen unterwegs waren und den vielbeschworenen Charme der Stadt nicht sonderlich nachvollziehen konnten. Schön, dass wir diesmal etwas mehr Zeit und auch gutes Wetter hatten. Ein Kulturschock war es dennoch, nach sieben Wochen einsamer Inseln plötzlich in einer unwahrscheinlich lauten und lebhaften Umgebung zu sein. Was für eine chaotische Stadt. Gebäude aller Baustile und -zeiten stehen dort beziehungslos nebeneinander, dazwischen Brachflächen, überall Baustellen und Presslufthämmer, Verkehr, sehr viele Menschen. Uff. Andererseits sind viele Gebäude und Ecken auch sehr schön: die Kathedrale mit ihren unteren Kirchen, die Nekropolis mit Blick über die Stadt, das Rathaus mit seinen prunkvollen Räumen und Treppenhäusern, die Universität, die mit ihren gotischen Bauten nicht nur aussieht wie ein Kloster, sondern am Graduiertentag voller Student*innen im akademischen Dress war, was dem Campus einen Hauch von Hogwarts gab. Und die Stadt scheint vor kulturellen Angeboten, Straßenmusik und Ausstellungen nur so zu sprühen. Ich kann ihr jetzt nach den anderthalb Tagen mehr abgewinnen, auch wenn sie sicher kein Lieblingsort werden wird. Die Idee, das Zentrum anhand des „Mural Trail“ mit den starken Wandgemälden abzulaufen kann ich jedenfalls sehr empfehlen. Das Konzert abends war toll (auch wenn solche Arenen wie z. B. auch die Mercedes-Arena in Berlin, vormals O2, fürchterliche Stimmungshemmer sind). Mehr als zweieinhalb Stunden Musik und Show mit alten und neuen Songs, es war großartig.

Nun sind wir nach einem langen Reisetag wieder zurück in Deutschland und versuchen, uns an vergleichsweise tropische Temperaturen zurückzugewöhnen. Die unterwegs irgendwo liegen gebliebenen Koffer haben heute auch noch hergefunden, und wir werden ein paar Tage Kleinkram erledigen, bevor wir zur letzten Reise der Auszeit aufbrechen. Bis hierher erst einmal herzlichen Dank für die freundliche Begleitung und eure vielen Likes und Kommentare hier und auf Mastodon.

Auszeit, eine Woche auf North Ronaldsay

Seit wir vor vier Jahren einen Tagesausflug auf North Ronaldsay gemacht hatten, wollten wir noch einmal hierher. Wenn Orkney Mainland an sich ruhig und abgeschieden ist, dann ist die kleine und nordöstlichste der Inseln die Abgeschiedenheit im Quadrat: sieben Quadratkilometer groß und nur circa 60 Einwohner*innen, die im Wesentlichen von Rinder- und Schafzucht leben. Zwei- bis dreimal am Tag gibt es einen Flug mit einem Kleinflugzeug für maximal 8 Passagiere nach Kirkwall, ansonsten kommt zweimal wöchentlich die Fähre, von der alle größeren Güter inklusive möglicher Autos per Kran auf den Pier gehievt werden müssen. Entsprechend wenig touristische Infrastruktur findet sich, wovon allein die Vogelbeobachtungsstation schon die Hälfte abdeckt: eine Handvoll Unterkünfte, seit diesem Jahr immerhin ein zweiter Mini-Shop für Lebensnotwendiges, und zwei Cafés, die – sofern sie tatsächlich auf haben – wie praktisch alles auf der Insel von Bewohner*innen neben ihren anderen Jobs betrieben werden. Die Menschen hier sind freundlich, aber auch zurückhaltend. Es ist sicher nicht einfach, zum einen die Zukunft ihrer Insel zu sichern (was wohl nicht ohne ein paar dauerhaft Zuziehende sowie ein gesundes Maß an Tourismus gehen wird) und zum anderen den besonderen Charakter der Insel und ihre aufeinander angewiesene Gemeinschaft zu erhalten. Sie sind zumindest schon froh, dass es keine Campervans zu ihnen schaffen. Zum anderen freuen sie sich über jede Familie mit Kindern, die zuzieht, alleine schon, damit sie ihre Grundschule nicht mangels Schüler*innen schließen müssen, und die Orkney-Inselverwaltung und der schottische Staat gewähren einiges an Mitteln und Vergünstigungen, um Leute vom Festland zum Beispiel als Lehrer*in oder medizinische Fachkraft auf die Insel zu locken.

Eine ganze Woche haben wir nun in einem Cottage direkt unter dem Leuchtturm verbracht, in dem in früheren Zeiten die Wärter mit ihren Familien wohnten. Es war einsam, anfangs ziemlich windig bei Temperaturen von 8, 9 oder 10 Grad tags wie nachts, es regnete aber kaum und wurde in den letzten Tagen auch längere Zeit sonnig, wodurch man an windgeschützter Stelle schon kurze Zeit im T-Shirt sitzen konnte. (Eine Bewohnerin erzählte allerdings, dass es für die Landwirtschaft derzeit insgesamt zu wenig regnen würde; selbst Inseln im Nordatlantik sind offenbar nicht mehr davor gefeit.) Die Sicht wurde Ende der Woche so klar, dass man nicht nur die orkadischen Nachbarinseln, sondern sogar die 40 Kilometer enfernte Fair Isle sehen konnte. Leider blieb unser Cottage permanent fußkalt; wir waren froh, dass man seitens des Inselrats, dem die Cottages gehören, wenigstens Heizlüfter in den Räumen aufgestellt hatte. Das warme Wasser reichte auch nicht für ein echtes Bad. Zugleich sind die Zimmer gemütlich eingerichtet und die Küche vollständig. Sagen wir so: Es war eine außergewöhnliche und schöne Unterkunft, aber wir freuen uns schon auch auf die nächste.

Insgesamt eine sehr eindrückliche Woche, in der wir jeden Tag mit unseren Mietfahrrädern unterwegs waren, die verschiedenen Ecken der Insel besuchten, an steinigen wie auch südseehaft-weißsandigen Stränden liefen, Vögel, Schafe und Kaninchen zählten, den Leuchtturm bestiegen und uns vom letzten echten Wärter über dessen Geschichte erzählen ließen, die Möwe aus den wenigen im Shop verfügbaren Zutaten leckeres Essen zauberte, wir viel über das Leben und die Traditionen einer solchen Insel nachdachten und zwischendurch immer wieder einfach nur den Blick über das Meer schweifen ließen, nicht ohne insgeheim (vergeblich) auf vorbeiziehende Orkas oder Delphine zu hoffen. Und es war nicht verkehrt, sich in einer solchen Umgebung mal geballt mit seiner eigenen Unruhe konfrontiert zu sehen.

Die Vögel

North Ronaldsay ist aufgrund seiner exponierten Lage im Nordatlantik ein Hotspot seltener Vogelarten. Dort rasten nicht nur sämtliche arktischen Arten auf ihrem Herbst- oder Frühjahrszug, sondern es verweht auch immer wieder je nach Sturmrichtung asiatische oder amerikanische Vögel dorthin. Von den Raritäten haben wir – vielleicht im Gegensatz zu den Birdern, die die Insel täglich mit Ferngläsern ablaufen – zwar keine gesehen, aber dafür jede Menge der einheimischen. So wie die junge Rabenfamilie, die an jedem Tag woanders auftauchte, die Schmarotzerraubmöwe, die die Strände entlangstrich (stets unter Protest anwesender Seeschwalben oder Austernfischer), die Steinschmätzer, von denen man selten mehr als ihr weiß aufleuchtendes Schwanzfederband sah, weil sie immer sofort wegflogen, die permanent dramatisch trillernden Austernfischer, die blubbernden Brachvögel, die gutmütigen Eissturmvögel, die hier erstaunlicherweise nicht auf Felsen sondern auf dem Boden vorm Schafdeich brüten, die flötenden Sandregenpfeifer, Schwärme von herumwuselnden Steinwälzern im Tang, die kriekenden Küstenseeschwalben, die auf den Brachflächen brüten und im flachen Wasser nach kleinen Fischen stoßtauchen, viele andere Arten auch noch und nicht zu vergessen die Unmengen Stare, die in den Spalten der Trockenmauern ideale Nisthöhlen finden. (Puh, das waren viele Adjektive.)

Die Kaninchen

Die eigentlichen Herr*innen der Insel sind die Kaninchen. Ich habe noch nie so viele gesehen. Man kann nirgends stehen, ohne dass welche im Augenwinkel herumhoppeln, zu dieser Jahreszeit auch viele kleine. Ich blieb einmal stehen und zählte mit Fernglas alleine auf einem ca. 50×50 Meter großen Wiesenstück 85, auf der ganzen Insel sind es vermutlich tausende. Einmal saß sogar eines auf dem blanken Felsen an der Küste. Unglaublich.

Die Schafe

North-Ronaldsay-Schafe sind eine eigene Rasse, die schon seit Jahrtausenden auf der Insel lebt. Sehr klein, sehr robust, mit kleinen Hörnern und besonderer Wolle in allen möglichen Farben. Seit die Bewohner*innen sie im 19. Jahrhundert mit einer rundum laufenden Mauer an den Küstenstreifen verbannten, um das fruchtbare Inselinnere den ertragreicheren Rindern vorzubehalten, haben sie ihre Ernährung stark auf Seetang umgestellt. Damit einhergegangen ist sogar eine genetische Umstellung; sie dürfen mittlerweile nicht mehr allzuviel Gras fressen, weil sie dann eine Kupfervergiftung bekämen. (Die Kupferarmut des Tangs haben sie wohl durch eine extrem effiziente Verwertung kompensiert.) Lediglich Lämmer und ihre Mütter dürfen einige Zeit auf saftigen Wiesen verbringen. Ansonsten sieht man die Schafe tatsächlich stets an der Küste. Oder im Garten hinter unserem Cottage. Oder im Sonnenuntergang auf einem Steinwall am Meer (Herzchenaugenemoji).

Auszeit, die letzten Tage auf Orkney Mainland

Am folgenden Tag ging es auf die zweitgrößte Orkney-Insel Hoy, auf die wir täglich aus unserer Unterkunft blickten. Und wir hatten Glück – die Fähren muss man früh buchen, da sie nur wenige Autos mitnehmen können, und zu dem Zeitpunkt war alles andere als absehbar, dass wir einen Tag mit ausreichend schönem und nicht übermäßig windigem Wetter erwischen würden, um die Wanderung entlang der Steilküste zum Old Man of Hoy machen zu können. Der Old Man ist ein 137 Meter hoher Fels, quasi Helgolands Lange Anna mal drei, und stand schon seit unserem Urlaub vor vier Jahren auf der Liste der Dinge, die wir unbedingt sehen wollten.

Die Insel ist mit ihren fast 500 Meter hohen Hügeln, ausgedehnten Mooren und nur 400 Bewohnern sehr anders als alle anderen Orkney-Inseln: rau, bergig, einsam, karg und oft in Wolken gehüllt, insgesamt mehr Island als Schottland. Auf der Straße zum Ausgangspunkt der Wanderung kamen wir an Bettie Corrigalls Grab vorbei. Eine junge Frau, die sich um 1770 das Leben nahm, weil sie die Schande nicht ertrug, nachdem sich der Vater ihres unehelichen Kindes aus dem Staub gemacht hatte. Aufgrund des Selbstmords wurde ihr kirchlicherseits eine Bestattung in den Gemeindegrenzen verwehrt, weswegen sie draußen im Moor vergraben wurde. Im 20. Jahrhundert stieß man beim Torfabstechen auf ihren im Sarg völlig erhalten gebliebenen Leichnam und vergrub ihn wieder und stieß Jahre später wieder darauf, bis ihr schließlich ein eigens gekennzeichnetes Grab gegeben wurde, auf dem seit 1976 ein Stein mit minimaler Inschrift („Here lies Bettie Corrigall“) an sie erinnert. Immer noch mitten im Nichts. Was für eine bittere Geschichte.

Wir waren früh auf dem Wanderweg zum Old Man und hatten den Hinweg praktisch für uns alleine. Eine beeindruckende Landschaft, nur Felsen, Heide und Moor, abgesehen von wenigen Skuas und Schwarzkehlchen praktisch unbelebt. Der immer noch sehr starke Wind hielt uns davon ab, für bessere Fotos allzu nahe an den Rand der weit über hundert Meter hohen Klippen zu gehen. Der Ausflug hatte uns mit anstrengendem Weg, sehr viel Wind und Sonne ganz schön müde gemacht, weswegen wir den folgenden Tag herumschlumpfend zuhause verbrachten, bis auf das Highlight eines abendlichen (bislang einzigen) Restaurantbesuchs.

Am Wochenende fand im Ort das jährliche Orkney Folk Festival statt; vier Tage mit jeder Menge Konzerten und Livemusik (leider praktisch kaum auf der Straße), in denen das verschlafene Städtchen ungeahnt quirlig wurde. Einen Auftritt mehrerer Songwriter in der Townhall haben wir besucht und auch den nachmittäglichen Aufmarsch der zwei Dudelsack-Kapellen der Insel, die wirklich gut spielten. Den Sonntag verbrachten wir mit einem Spaziergang durch Kirkwall und dem Besuch des Orkney-Museums, dann hieß es aufräumen und für die nächste Etappe der Reise packen.