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Tag 0: Ankunft

Gestern alles fertig gepackt, heute morgen dann in Ruhe mit der Möwe gefrühstückt und dann zum Bahnhof. Bis zum zweiten Mal Umsteigen waren die Anschlüsse knapp genäht, aber kein Problem. Erst beim letzten Zug kamen zehn Minuten Verspätung drauf, aber die musste dann halt der Abholer vom Hotel warten. In Waldshut bei der Ankunft waren es 19 Grad, unglaublich. Hier, 600 Meter höher, ist es aber auch noch warm, erst heute Abend wurde es frisch. Bis vergangene Woche soll hier dagegen noch Schnee gelegen haben.

Das Hotel ist äußerlich ein wenig in die Jahre gekommen, so ein typischer Ende-60er-Bau, aber innen ist alles ansehnlich und freundlich. Mein Einzelzimmer ist nicht groß, aber hat alles, was man braucht, das Personal ist nett und das Abendessen war schon mal okay. Nur ein anständiger Espresso wird mir vermutlich fehlen.

Mit mir sind heute ca. 50 andere Männer meiner Firma von allen möglichen Standorten angekommen, alle geschätzt zwischen Ende 40 und Ende 50. Ich dürfte tatsächlich einer der Jüngsten sein. Während andere sich schon in Grüppchen in der Hotellobby zum Bier zusammenfinden, ist meine Lust auf Konversation derzeit allerdings noch nahe Null. Wir werden sehen. Zeit für mich werde ich hier vermutlich recht viel haben, und das ist auch eine der Hauptsachen, auf die ich mich freue.

Mit der Möwe am Telefon mit einem Glas Prosecco angestoßen. Dieser Geburtstag ist irgendwie merkwürdig, aber dann auch wieder okay. Muss aber nicht jedes Jahr sein, dass man den Abend unter lauter Fremden verbringt.

Was übrigens ganz gut klappt: Statt Rechner oder Tablet diesmal nur das Handy als Internetgerät dabei, dazu die Bluetooth-Tastatur, die ich mir irgendwann mal angeschafft hatte, weil das Tippen auf dem Tablet so nervt und langsam ist. Auch die schwere Kamera musste diesmal zuhause bleiben, stattdessen habe ich die leicht defekte Canon-Knipse wiederbelebt, von der ich die Bilder mit SD-Karten-Adapter aufs Handy ziehen kann. Nachbearbeitung, d.h. vor allem Zurechtschneiden macht PhotoEditor (für mich die beste Android-Fotobearbeitung, die Pro-Version kostet n Appel und n Ei und verschluckt sich sogar nicht mal an 18-Megapixel-Bildern von der Spiegelreflex). Doof ist nur die gegenüber der Desktopversion reduzierte Funktionalität der mobilen WordPress-Administration; für die Einstellung eines schönen Fotokachelmosaiks muss man im Browser auf die Desktopansicht gehen.

Ich weiß jetzt schon, spätestens beim Anblick toller Vögel werde ich die Entscheidung mit der Kamera bereuen. Aber vielleicht auch eine Art, mal zu fasten: Tolle Eindrücke nicht immer gleich fotografisch festzuhalten. Und später vielleicht einfach „nur“ als Text-Fotos wiederzugeben.

#12von12, sonntags, text-only

[#1von12]
Blick aus dem Schlafzimmerfenster auf die Wiesen vorm Haus, zarter Reif in der Morgensonne, ein paar Krähen, Elstern und Wacholderdrosseln, die sonst viel befahrene Straße im Hintergrund angenehm sonntagsleer

[#2von12]
Selfie auf der Esszimmerbank im Schneidersitz, in ein Brötchen mit zerteiltem, weichgekochtem Ei beißend, vor mir eine Tasse Cappuccino

[#3von12]
Blick über den Fahrradlenker auf sonnige, frisch beackerte aber noch kahle Felder, im Hintergrund die angrenzende Wohnsiedlung

[#4von12]
Selfie mit Lesebrille am Ambo, konzentriert vorlesend, dahinter der Kirchenchor, gespannt auf seinen nächsten Einsatz wartend

[#5von12]
Zuhause auf dem Sofa, Handy mit Inoreader, Alle Artikel: 67 wollen gelesen werden

[#6von12]
Fernseher, darauf läuft eine 90-Minuten-Folge von Schnell Ermittelt, geschenkt von @jirjen

[#7von12]
Mandelreis im Auberginenmantel aus Türkei Vegetarisch, gekocht von der Möwe (nicht im Bild: mein offenstehender Mund beim Anblick)

[#8von12]
Wäschestapel, ein Haufen Schuhe und ein großer, aufgeklappter Koffer: probepacken für drei Wochen Gesundheitstraining ab Mittwoch

[#9von12]
Das grün-türkis leuchtende Außenbecken des Fürthermare im Dunkeln, darüber Dampfschwaden, im Hintergrund die Silhouette eines kahlen Baums, in dessen Zweigen ein sanft umnebelter Vollmond hängt

[#10von12]
Selfie mit Föhn vorm Schwimmbadspiegel mit kleinen Augen, nicht ganz klar ob Chlor oder wohlige Müdigkeit

[#11von12]
Notebook mit offener Google-Maps-Karte von Fort William und Fußgänger-Routenberechnung zwischen noch zu buchendem Hotel und der Autovermietung, daneben eine Tasse Espresso #urlaubsplanung

[#12von12]
Auf dem Sofa mit Sudoku zum langsamen Runterfahren Richtung Schlaf

11.03. – Bov, Feminismus, Zwiebeln

Am Mittwochabend haben wir bov bjerg zugehört, wie er im E-Werk in Erlangen aus Auerhaus vorgelesen hat. Erst habe ich mich über den blöden Raum (die Clubbühne mit ein paar ziemlich weit von der Bühne weg stehenden Sofas und Tischchen) und viel zu wenige Besucher (vielleicht zwei Dutzend) geärgert, aber von dem Moment des Vorlesens an war das egal und vergessen. Was sicher zu einem Teil an bovs sympathischer Art zu lesen liegt, an der lakonischen Erzählweise, aber natürlich auch an der Geschichte selbst. Das Städtchen, das alte Haus, die Leute, fragwürdige Parties, die schwermütige Atmosphäre der Jugendzeit in den 80ern, alles stand so präsent vor meinen Augen, ich war ganz gefesselt. Es steht noch eine ganze Reihe von Lesungen an. Große Empfehlung.

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Ich würde ein Leben leben so wie jetzt und eins das total auf Karriere ausgerichtet ist und eins als Hausfrau und Mutter mit so vielen Kindern wie möglich, eins als Bäuerin vielleicht, eins in einem handwerklichen Beruf und eins, in dem ich gar nichts mache, eins in dem ich trinke oder Drogen nehme (das hatte ich gestern noch ausgeschlossen wegen kein Interesse, aber andererseits, in so einer Situation: warum denn nicht?) und eins in dem ich spiele und vielleicht eins in dem ich Verbrecherin bin – Mörderin wollte ich erst schreiben aber das würde ich vermutlich nicht übers Herz bringen, wobei ich nicht weiß, nach wie vielen Leben man da abstumpfen würde. Als Entwicklungshelferin vielleicht eines, oder anderweitig wohltätig, eins in der Wissenschaft, eins mit ganz vielen Tieren, eins allein, eins mit einer Partnerin, eins mit einem Partner, eins in einer alternativen Wohnform und auf jedem Kontinent eines sowieso, ich würde das alles durchprobieren.

Novemberregen überlegt, welche anderen Leben sie ausprobieren würde, wenn man könnte.

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Wir brauchen keine fünfzig Prozent Frauen in Aufsichtsräten oder auf hohen Managementposten, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse ansonsten so ungerecht bleiben, wie sie sind. Es wäre kein Fortschritt, wenn Männer ebenso viel Care-Arbeit leisteten wie Frauen, dafür aber genauso schlecht bezahlt und wenig wertgeschätzt würden. Ungerechtigkeiten gleichmäßig auf alle zu verteilen, ist kein sinnvolles politisches Ziel.

Antje Schrupp schreibt, warum Feminismus so viel mehr ist als die traditionelle Gleichstellung von Frauen in der Arbeitswelt, und wie er mittlerweile zum Zugpferd für eine freiheitliche Gesellschaft ohne Diskriminierung insgesamt wird, so wie neulich beim weltweiten Woman’s March.

Die Frage, ob Frauen in jeder Hinsicht als gleichberechtigte, schutzwürdige, frei und autonom handelnde Menschen leben können, ist kein Luxus- oder Randgruppenthema oder irgendwas Überholtes aus dem letzten Jahrhundert, sondern für mich zum Knackpunkt jeder politischen Agenda geworden. Wer sie ernst nimmt, kommt um eine kritische Haltung und neue Antworten zu Wirtschaftssystem und Umgang mit Ressourcen, Teilhabe von Minderheiten, gesellschaftlichen Zusammenhalt bis hin zu kriegerischen Konflikten nicht herum. Umgekehrt ist es kein Zufall, dass die Rechtspopulisten dieser Welt kaum etwas so eint wie die Frauenfeindlichkeit ihrer Programme und die Glorifizierung zerstörerischer Männlichkeitsbilder.

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Die Librairie Mollat in Bordeaux belebt auf Instagram die alte Idee mit den Plattencovern neu, und es wird nicht langweilig.

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Mr. Karawahn teaches children how to burn things properly — how to hold a match, use a lighter, light candles and build small bonfires. He lets them play with fire openly, under adult supervision, so they can indulge their curiosity and learn about fire without feeling the need to do so in secret.

Die New York Times berichtet über einen Kurs in einer Berliner Kita, bei dem Kinder den Umgang mit Feuer lernen. Man kann jedem Satz die Ungläubigkeit anhören – so etwas widerspricht dem amerikanischen Verständnis von verantwortungsvoller Erziehung schon sehr, wie ja überhaupt in punkto Freizügigkeit.

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Kennen Sie das, sich von einem Glückskeks durchschaut zu fühlen?

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Die Möwe hat seit langem mal wieder Perlzwiebeln / Borettane ergattern können, die ganz wunderbar als Antipasti schmecken, geschmort und eingelegt in einem Honig-Balsamico-Sud. Die größte Arbeit ist das Schälen, aber zu zweit geht es flott und macht Spaß, auch wenn irgendwann die Tränen fließen.

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Manchmal ist Twitter surreal.

5.3. – Sportgeschäft, Far Breton, Kiebitze

Im Sportkleidungs-Outlet in Herzogenaurach einkaufen gewesen, um die ellenlange Checkliste benötigter Kleidung abzuarbeiten, die der Einladung zum Gesundheitstraining beilag. Ich bin in solchen Geschäften ja grundsätzlich überfordert. Ich bin kein Sportler, und alles, wofür ich sie bislang betreten habe, waren Wanderstiefel oder Regenjacken. Das Problem: Nichts von dem, was auf der Liste stand, findet man im Laden genau so beschriftet. Es gibt gefühlt 38 Sportarten und jede scheint ihre eigenen Hosen, Shirts, Schuhe und Jacken mitzubringen. Was genau muss ich kaufen, um Laufbekleidung / Funktionsbekleidung (Zwiebelschalenprinzip) abhaken zu können? Wie unterscheidet sich das vom Punkt Trainingsanzug, lange/kurze Trainingshosen und ausreichend Sport-T-Shirts – sind die dann keine Laufbekleidung? Hier ist ein Ständer mit Hosen, aber sind die gut zum Trainieren? Ach nee, das ist ja Outdoor. Obwohl, wenn ich draußen trainiere? Hallenschuhe ohne Abrieb – hm, über dem Regal steht Basketball an der Wand, das wäre ja schon mal ein Hallensport. Aber woran erkennt man, welche Schuhe Abrieb haben? …

Ich musste irgendwie an Anne Schüsslers Beitrag neulich denken – vermutlich fühlen sich Leute, die von sich sagen, sie könnten nicht kochen, ganz ähnlich wenn sie ein Rezept vor sich haben, das sie nachkochen sollen („glasig dünsten, hä?“). Letztlich haben wir Stunden in dem am Samstagnachmittag natürlich auch noch gerammelt vollen Laden zugebracht, bis wir erschöpft mit einer großen Tüte voller moderner, mir einigermaßen passender Kunststoffprodukte raus sind – mit denen ich hoffentlich demnächst nicht wie ein Depp dastehe, weil ich vielleicht doch irgendwas Ungeeignetes gekauft habe.

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Hier hat jemand die ersten 100 Wörter notiert, die sein Kind gesprochen hat. Ich finde das spannend, wie sich Alltag und Wichtigkeitsskala eines Kleinkindes wiederspiegeln, und wie nach und nach die verschiedenen Wortarten zusammenkommen.

My son’s first words in various scales

(Das Bild hinter dem Link kann man zoomen.)

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Habt ihr, als das damals rumging, auch wie ich zuerst den Kopf geschüttelt, wie man nur auf die Idee kommen kann, in Plastik verpackte, geschälte Orangen zu verkaufen? Warum das für manche Menschen durchaus eine gute Idee sein kann, erklärt ein Betroffener. (Schon ein Jahr alt, aber sehr aufschlussreich.) Vielleicht werde ich selbst einmal froh über solche Angebote sein, z. B. wenn im Alter nach einem Schlaganfall die Steuerungsfähigkeit meiner Hände eingeschränkt wäre? Das ist mal wieder so eine Perspektive, auf die man alleine vielleicht nie gekommen wäre, und wofür ich das Netz liebe.

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Jahaa! (Ich hatte vor vielen Jahren mal einen ganzen Blogeintrag zur Kreativität von Bäckereien bei der Benennung ihrer Waren, das Blog drumherum ist aber nicht mehr im Netz. Mein Fazit ging glaube ich in die Richtung, dass von den beworbenen 1000 Brotsorten in Deutschland in Wirklichkeit nur drei Dutzend oder so übrig bleiben, die nur von jeder Bäckerei anders benannt werden. Und dass ich seit langem nur noch ins Regal zeige, wenn ich Brot kaufe: „Das da oben rechts mit der Kruste bitte.“)

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Vom Kaninchen neulich war noch ein bisschen was im Eisschrank, hauptsächlich der Rücken. Den habe ich heute eintopfartig mit Peperonata (also geschmorten Paprika und Zwiebeln, kurzerhand erweitert um Kartoffeln) zubereitet, ebenfalls nach Rezept aus dem Silberlöffel, mit viel frischem Salbei und Rosmarin sowie einem Schuss Essig. Das Fleisch war wieder delikat, und ich kenne wenig Glücklichmachenderes als den süßlich-herzhaften Geschmack von in Olivenöl geschmorter Paprika mit Zwiebeln und Knoblauch.

Die Möwe hat außerdem wieder mal Far Breton nach Rezept von Aurélie gebacken (im Foto oben ein fluffiges Randstück; der eigentliche Kuchen ist die gelbe Schicht, eher feucht und fest). Beim letzten Mal hatten wir zuwenig Backpflaumen, diesmal vielleicht etwas zu viel, nächstes Mal wird’s sicher perfekt. Sehr lecker. Ach ja: wir hatten die Trockenpflaumen über Nacht in Pineau des Charentes eingeweicht (normalerweise nimmt man eher Portwein, aber ich glaube, das ist schnurz). Die entstandene, übriggebliebene Flüssigkeit nicht wegschütten! Ein Hammer von einem Pflaumenlikör.

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Nachdem der NABU dieses Jahr wieder zum Zählen der Kiebitze aufgerufen hat, wollte ich mal an ihrem traditionellen Brutplatz der letzten Jahre nachsehen, auf den Feldern ganz in der Nähe. So sind wir am Nachmittag im Knoblauchsland spazieren gewesen. Die Felder im Gegensatz zum letzten Mal noch komplett leer, dafür spross in den Gewächshäusern schon der Salat und viele Blumen. Die Luft war frisch und der Wind trug jede aufregende Situation des Lokalderbys aus dem wenige Kilometer entfernten Stadion, so konnte man natürlich auch eindeutig das Fürther Siegtor hören. Schon heute früh kamen wir mit dem Fahrrad nicht ohne Angabe unseres Fahrziels zur Kirche; das Wohnviertel rund ums Stadion war bereits an jeder Straßenkreuzung mit Gittern und bewaffneten Bereitschaftspolizisten abgesperrt, und der Polizeihubschrauber kreiste unablässig. (Ich hoffe sehr, nach den im Vorfeld z. T. gewalttätigen Eskalationen bleibt jetzt alles friedlich.)

Schließlich haben wir die Kiebitze angetroffen, ich habe mindestens 5 Paare gezählt, wie sie mit ihren hohlen Pfeif-Rufen über die Felder geflattert sind, außerdem den Silberreiher und einen Trupp Feldlerchen, und heute morgen schon zwei Fasanenweibchen in der Nähe vom Haus.

File under: Schöne Sonntage.