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Orkney – Tag 11 bis 12

Wolkenlos und windstill, so dass man dauerhaft im T-Shirt draußen sitzen konnte. Unglaublich. So haben wir den ganzen Tag im bzw. vor dem Cottage verschlumpft, lesend oder die Vögel auf dem See beobachtend. Am frühen Abend an den nächstgelegenen Strand gefahren, viele Wat- und andere Vögel getroffen sowie tatsächlich einen feschen Hermelin, der an der Böschung zum Strand entlang huschte. Später gegoogelt – Hermeline sind auf den Orkneys eine vom Menschen eingeschleppte Spezies, die den hier brütenden Vögeln in mehrfacher Hinsicht schaden. Zum einen direkt, weil sie Nester von Bodenbrütern plündern, und zum anderen, weil sie die Orkney-Wühlmaus jagen, die auch eine Hauptnahrungsquelle für die gefährdeten Kornweihen und Sumpfohreulen ist. Um für eine geplante Enthermelinisierung die nötigen Daten zusammenzubringen, gibt es eine eigene E-Mail-Adresse, wo man Sichtungen melden soll, was ich gleich tat. Abends gab’s wieder Nudeln mit geschmorter Paprika.

Nach ausschlafen und Frühstück ging es zum Brough of Birsay, einer kleinen Gezeiteninsel an der nordwestlichen Ecke von Mainland. In den Tagen zuvor hatten die Ebbezeiten nie so recht zur Tagesplanung gepasst; jetzt war das Wasser weit genug gesunken, um trockenen Fußes hinüberzukommen. Eine kleine Steilküste (mit Puffins, wie ich später erfuhr, aber wir sahen mal wieder keine), ein solarbetriebener Leuchtturm, das war es eigentlich schon. Aber sehr schön entlangzulaufen mit Blick bis nach Marwick Head, wo wir an einem der ersten Tage waren. Hier schien ausnahmsweise mal ein echter Touristen-Hotspot zu sein; so viele, wie in den folgenden Stunden auftauchten, sahen wir die ganzen zwei Wochen nicht an einem Fleck. (Und da sie im Wesentlichen mit eigenen Autos kamen, konnten es auch keine Kreuzfahrer sein, die regelmäßig zu Hunderten in Kirkwall für ein paar Stunden anlanden.)

Unterhalb des Parkplatzes zum allerersten Mal Uferschwalben gesehen, die in der sandigen Abbruchkante unterhalb der Straße ihre Bruthöhlen hatten. Und lange fast vergeblich versucht, sie irgendwie aufs Foto zu bekommen. Schwalben sind vogelfotografische Endgegner: so klein und in so erratischen Flugmanövern unterwegs, dass man praktisch keine Chance hat, sie scharf und einigermaßen formatfüllend zu erwischen. Zumal sie auch direkt in und aus ihren Höhlen herausflogen, ohne sich auch nur eine Sekunde Zeit für mein Foto zu nehmen.

Weiter die Küste mit tiefen eingeschnittenen Buchten entlang gelaufen, die früher als Slipanlagen für Boote dienten. Gepicknickt und über die Felder wieder zurück zum Ausgangspunkt, wobei wir am Ende eines Feldwegs unvermutet vor einem stacheldrahtbewehrten und mit viel Draht festgezurrten Tor standen. Es war nicht sofort erkennbar, wie wir das überwinden sollten, weswegen wir vor der Alternative standen, in der Mittagshitze einen großen Umweg zurück machen zu müssen. Glücklicherweise kam eine Frau aus einem nahegelegenen Haus und half uns, das Tor aus der Fixierung zu heben, wobei sie über den Landwirt schimpfte, der – wohl nicht zum ersten Mal – hier das Right to Roam verletzte, das Landeigner in Schottland verpflichtet, Wanderern keinesfalls die Passage zu versperren.

Auf dem Weg zum Parkplatz kurz im Augenwinkel einen Wal entdeckt, der mit irrer Geschwindigkeit springend durch die Bucht schoss. So eben noch mit der Kamera eingefangen. Auf dem Bild stellte sich der Wal allerdings als springende Robbe heraus. Hm. Aber hey, als planloser Wildlifeknipser nimmt man, was man kriegen kann! Eine beeindruckend große, etwas langweilige Palastruine besucht, in einem kleinen Supermarkt ein Orkney-Eis gekauft und vernichtet, und bei einem Abzweig zum Schilfsee in der Nähe aus dem Unterstand jede Menge Bilder eines niedlichen Zwergtauchers gemacht, der sich nur wenige Meter entfernt ausgiebig putzte. Wir wussten nicht so recht, was wir noch machen wollten, so fuhren wir auf gut Glück noch zum Broch of Gurness, einer Stätte aus der Eisenzeit. Die hätte aber Eintritt gekostet, und 6 Pfund pro Nase war uns das Rumlaufen zwischen alten Steinen an diesem Tag nicht mehr wert. Zurück über Dounby, in unserem Coop eingekauft und zuhause Hacksteak mit Bratkartoffeln und Salat gegessen, während der Wind draußen am Abend deutlich auffrischte.

Orkney – Tag 10

Ein weiterer Tagesausflug auf eine andere Insel stand an, wir hatten Tickets für die Fähre nach Westray, einer nordwestlichen Insel der Orkneys, diesmal mit Auto, weil die Insel schon etwas größer ist. Die Überfahrt führte gut anderthalb Stunden durchs Archipel, bis wir an der Südspitze Westrays ankamen. Unser erstes Ziel war ein nur wenige Kilometer entfernter Küstenabschnitt, mit dem vorgelagertem Felsen Castle O’Burrian, einem der erstaunlich wenigen Orte der Orkneys, an dem zuverlässig Papageitaucher brüten. Nun, es war später Vormittag, und auch wenn draußen auf dem Wasser ein paar von ihnen dümpelten, war von Puffins an Land fast nichts zu sehen. Ein Paar, das mit uns auf der Fähre war, klärte uns auf, dass sie hauptsächlich früh morgens oder abends zu sehen seien, wenn sie noch an ihrer Höhle oder nach Fischfang wieder zurück an Land wären. Ich nehme an, sobald ihre Jungen geschlüpft sind, würde auch tagsüber mehr Betrieb herrschen. Immerhin konnten wir ein paar von ihnen mit dem Fernglas beobachten, aber wie letztes Jahr schon befürchtet, hatten die uns die Flannan Isles in punkto Puffin-Erlebnis wohl für immer versaut.

Wir fuhren weiter zum landschaftlichen Höhepunkt von Westray, den Klippen von Noup Head, einer der größten Seevogelkolonien Großbritanniens. Für den mehrstündigen offiziellen Wanderweg entlang der Küste war die Zeit etwas knapp, so fuhren wir mit unserem Mietauto in Richtung des Leuchtturms. Auf dem Weg wurde die Schotterstraße immer welliger, so dass nicht nur die Steinchen in den Radkästen prasselten, sondern wir irgendwann sogar mit dem Unterboden aufsetzten. Da unser kleiner Seat Mii recht neu und die Mietwagenfirma offenbar recht pingelig war, wollten wir nichts weiter riskieren und gingen die letzten zwei Kilometer zu Fuß. Nach einem Picknick am Leuchtturm liefen wir die Felskante entlang, um an jeder Ecke Blicke auf die gewaltige Seevogelstadt zu werfen können: Tausende von Basstölpeln, Lummen, Dreizehenmöwen und Tordalken, die auf den schmalen natürlichen Balkons der bis zu 75 Meter hohen Felsen hockten, balzten, stritten, Nester bauten und sich fortpflanzten. Was für ein Erlebnis.

Der Weg zurück zum Auto war länger als gedacht, auch weil wir erst zurück zum Leuchtturm und dem Kissing Gate mussten, wenn wir nicht über Stacheldrahtzäune steigen wollten. Jetzt wäre ein Kaffee gut gewesen, aber irgendwie gab es nirgends eines, nicht einmal im Hauptort Pierowall. Überhaupt war die Atmosphäre der Insel völlig anders als North Ronaldsay drei Tage zuvor, irgendwie verschlossen, abweisender. Es blieb noch eine Stunde Zeit bis zur Abfahrt der Fähre, was uns zu knapp schien, um noch mal bei den Papageitauchern vorbeizuschauen. Daher fuhren wir durch bis zum Hafen, wo man immerhin in einem urigen Laden auch einen Kaffee bekommen konnte. Dort unterhielten wir uns ganz hervorragend mit dem kauzigen Inhaber, einem Fotografen, bis schließlich die Fähre kam.

Die Rückfahrt verbrachte ich komplett an Deck, in einer windgeschützten Ecke bei Abendlicht unter Wolkenschleiern, und offen für Vögel (oder sogar Delfine..?) die uns unterwegs begegnen würden. Naja, Delfine gab es keine, aber dafür jede Menge Seeschwalben und andere Vögel und schließlich kurz vorm Ziel auch ein seit Tagen erhoffter Eistaucher mit seinem 50er-Jahre-Dekor.

Am Hafen in Kirkwall ganz hervorragende Fish&Chips gekauft und auf der Mauer in der Abendsonne verspeist. Zurück nach Hause und noch eine Weile aus den hunderten Fotos des Tags schon mal jede Menge gelöscht.

Orkney – Tag 9

Ausgeschlafen und in aller Ruhe gefrühstückt, anschließend in die 11-Uhr-Messe in Kirkwall. Die kleine, heimelige Kirche war komplett voll. Der Pfarrer hatte uns eine Woche zuvor schon erzählt, dass die Gemeinde zu einem großen Teil aus Zugezogenen besteht. Ein bisschen Diaspora-Gefühl, so als Katholik in der Minderheit, was aber sicher auch die Bindung innerhalb der Gemeinde erhöht. Nach der Messe wurden wir vom Pfarrer, der uns sofort wiedererkannte, sehr freundlich zu Kaffee und Tee eingeladen, was wir aber ebenso freundlich ablehnten – uns war irgendwie nicht nach vielen fremden Leuten. Beim Rausgehen fiel mir ein Plakat mit unabhängigen Kontaktstellen für Opfer und Zeugen von Misshandlung oder sexuellem Missbrauch auf. Etwas Ähnliches hatte ich auch schon in Krankenhäusern in England gesehen. In Deutschland noch nie, weder in Gemeinden noch Krankenhäusern. Oder kennt ihr so etwas? Ich finde das gut; nicht nur praktisch wegen der genannten Anlaufstellen, sondern auch weil es deutlich macht, dass die Einrichtung, die das aufhängt es ernst meint mit dem Kampf gegen (sexualisierte) Gewalt, anstatt die Kontrolle über ihr Image behalten zu wollen.

Am Nachmittag fuhren wir zur unserem Cottage nächstgelegenen Meeresbucht, wo Skara Brae liegt, eine große frühsteinzeitliche Ausgrabungsstätte mit angeschlossenem Museum. Um die originalen und auf Wällen rundherum zu besichtigenden Kugelhäuser des Dorfs nicht zu belasten, hat man eines neben dem Museum nachgebaut – sehr beeindruckend zu sehen, dass Menschen vor 5000 Jahren nicht viel anders gehaust haben als zu unserer Zeit: Eine Feuerstelle in der Mitte des Raums, Bettkojen rundherum, ein Regal für dekorative und wichtige Gegenstände. Oder ganz ähnlichen Schmuck hatten wie Halsketten mit Tierknochen… Interessant auch, dass man keine Waffen gefunden hat, wenn man von den Werkzeugen absieht, die man für den Tier- und Fischfang brauchte. Warum die Siedlung nach einigen Jahrhunderten aufgegeben wurde und irgendwann von Sand und Dünen bedeckt Jahrtausende in Vergessenheit geriet, ist ungeklärt.

Zur Eintrittskarte gehörte auch die Besichtigung eines benachbarten Guts, in dem der adelige Entdecker der Siedlung wohnte (und seine Nachfahr_innen noch bis in die 90er Jahre). Ein bisschen Downton-Abbey für Arme. Aber hübsch, so ein Anwesen am Meer.

Wenige Kilometer weiter südlich bei Yesnaby liegt ein besonders malerischer Abschnitt der Westküste Mainlands, mit natürlichen Höhlen, Bögen und einer stehen gebliebenen Felsnadel mit dem Namen Yesnaby Castle. Wir wanderten ein Weilchen dort entlang und machten eine Pause mit Tee aus der Thermoskanne. Zurück am Auto fuhren wir noch ein bisschen im Abendlicht durch bislang noch nicht gesehene Gegend, bevor wir einigermaßen hungrig zurück zuhause ankamen. Es gab Lammscheiben vom Orkney-Lamm und Gemüse.

Orkney – Tag 7

Als sich im Lauf der Woche abzeichnete, dass am Freitag gutes Wetter herrschen würde, beschlossen wir, den Tag auf North Ronaldsay zu verbringen, der nordöstlichsten Orkneyinsel, etwa 50 Kilometer von Kirkwall entfernt. Dazu hatten wir Tickets gekauft für eine kleine Propellermaschine (8 Plätze), die täglich mehrfach zwischen den Inseln verkehrt. Sowohl über North Ronaldsay als auch diese Fluglinie hatten wir schon vor Jahren eine Doku gesehen, wo es um die Besonderheiten und Schwierigkeiten des Lebens auf einer so abgelegenen, kleinen Insel mit gerade mal 50 Einwohnern ging. Wir waren beide noch nie in so einen fliegenden Landrover gestiegen, das war wirklich spannend. Sowohl der ultrakurze Start („oh Gott, gleich hört die Startbahn au… oh, wir sind schon in der Luft“) als auch die Viertelstunde Flug mit Blick über die Inseln und die genauso kurze Landung waren faszinierend. Durch irgendeine Security muss man für die Flüge zwischen den Inseln übrigens nicht; man läuft vom Warteraum direkt aufs Flugfeld und steigt ein. Fertig.

Am „Flughafen“ der Insel stiegen die wenigen anderen Gäste aus und waren schnell verschwunden. Übrig blieb nur ein freundlicher alter Mann, mit dem sich die Möwe ein bisschen unterhielt (nicht wirklich, weil sein Dialekt oder vielleicht auch nur Genuschel praktisch nicht zu verstehen waren), und als das Flugzeug wieder gestartet war, blieben schließlich nur noch Stille und Vogelzwitschern übrig. Auch die Bediensteten des Flughafens sind letzlich normale Inselbewohner_innen, von denen jede_r noch mehrere andere Jobs und Aufgaben hat. Wir nahmen zwei Mietfahrräder aus der Hütte, schrieben der Besitzerin dazu eine SMS, und dann fuhren wir gemächlich auf den Fahrrädern die nur wenige Kilometer lange Insel entlang, erst bis zur einen Landspitze mit dem Leuchtturm (und Café, leider noch geschlossen), dann zur anderen mit dem Vogelobservatorium (Hostel, Café und winziger „Supermarkt“, glücklicherweise geöffnet). Zwischendurch hielten wir oft an, warteten mal einen Schauer ab, lauschten den Vögeln, machten Picknick, besuchten das Heimatmuseum in der alten Kirche, betrachteten die Schafe (eine ganz eigene Rasse, die sich hauptsächlich von Seetang ernährt), saßen am Strand und schauten den Robben, Steinwälzern (Erstsichtung!) und Sanderlingen zu… Diese Insel war ein Traum, komplett entschleunigt und irgendwie heimelig und freundlich. So vergingen die Stunden, und obwohl wir sehr früh angekommen waren, war es plötzlich fortgeschrittener Nachmittag und wir mussten zurück zum Flugfeld („10 minutes before departure is enough“).

Wie klein diese Insel ist, zeigte sich noch einmal, als die Maschine ankam. Es war Freitag Nachmittag, eine junge Frau stieg aus und die Möwe hatte sie sofort erkannt – samt Vornamen – als eines der Mädchen aus der TV-Doku, damals noch Teenie, die jetzt vermutlich von ihrer Ausbildungswoche auf Mainland zurückkam. Zurück in Kirkwall hatten wir keine Lust zu kochen und aßen stattdessen einen Burger am Hafen. Rechtschaffen müde ging es nach Hause zurück. Das war jetzt schon der sechste Tag in Folge mit Sonnenschein, und sicher einer der schönsten Tage des ganzen Urlaubs.