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Lauwersmeer

Nach einem ruhigen Zwischentag zuhause ging es direkt weiter. Noch einmal 700 km mit dem Auto, nur in die genau entgegengesetzte Richtung. (Sagte ich schon, dass unsere Planung etwas kopflos war?) Ziel war eine Feriensiedlung am Lauwersmeer, einem Ende der 60er Jahre durch einen Damm vom Meer abgetrennten Binnengewässer und Feuchtgebiet, das wegen seiner ökologischen Bedeutung inzwischen ein Nationalpark ist. Immerhin war die Fahrt erstaunlich reibungslos, wenn man mal nicht über die A3 fahren muss wie sonst, wenn wir unsere Familien in Duisburg besuchen, sondern über Kassel, Osnabrück und verschiedene 30er-Autobahnen im Nordwesten rollt.

Die Unterkunft war hier ausschlaggebend für das Reiseziel: Wir hatten nach einem gemütlichen Ferienhäuschen mit kleiner Terrasse direkt am Wasser gesucht. Und die Wahl zahlte sich direkt aus; die ersten Tage waren sehr windig, meist dunkel und der See schlug laute Wellen ans Ufer, so dass man drinnen um so gemütlicher sitzen und rausschauen konnte, wie die Schmetterlinge den Wasserdost heimsuchten oder zu jeder Tageszeit Möwen, Kormorane und Seeschwalben vor dem Fenster entlang zogen. (Merkwürdigerweise immer nur in eine Richtung. Vielleicht flogen sich ja nachts wieder zurück? Oder einmal um die Erde?)

Erst am Dienstag wurde das Wetter besser und wir machten einen Ausflug nach Groningen, eine sehr freundliche, lebendige Stadt, wo wir über den appetitmachenden Wochenmarkt liefen oder einen Kaffee tranken und dem ununterbrochenen Strom von vorbeifahrenden Fahrrädern zuschauten. Abends klarte es ganz auf, so dass ich zum ersten Mal versucht habe, die Milchstraße zu fotografieren; der Nationalpark ist nämlich auch ein Dark Sky Park, d.h. ein Ort mit wenig Lichtverschmutzung und großartigem Sternenhimmel.

Am nächsten Tag setzten wir mit der Fähre nach Schiermonnikoog über, der nächstgelegenen Insel im Wattenmeer. Was für eine toller Ort. Ein bis zu 1,5 km breiter Strand (vom Wasser zu den Dünen!), kleine Wäldchen, Watt, Moore, Heidelandschaft, ein bisschen Landwirtschaft mit Rindern und Schafen, ein schmuckes Dörfchen und kein Autoverkehr bis auf ein paar Einheimische. Wir blieben viele Stunden bis zur letzten Fähre auf der Insel, radelten schwitzend mit geliehenen Fahrrädern einmal herum (die Dünenlandschaft ist hügeliger als man denkt) und machten immer wieder Pause an schönen Stellen.

Auch für Vogelbegeisterte ist die Insel ein Traum. Das Wattenmeer plus die vielen verschiedenen Habitate auf kleinstem Raum ziehen jede Menge Arten an, ob als Brutvögel oder auf dem Zug vor oder nach der Überquerung der Nordsee. Löffler brüten hier, und je nach Gezeiten kann man unzählige Watvögel wie Steinwälzer, Pfuhlschnepfen und Rotschenkel teilweise nur 15-20 Meter entfernt sehen. Hierher wollen wir definitiv wieder zurück, am besten zur Zugzeit im Frühling oder Herbst. Sicher schöner als das zu dieser Zeit von Birdern überlaufene, kleinere Helgoland.

Den folgenden Tag verschlumpften wir „zuhause“, wo der See durch Windstille wunderbar glatt geworden war. Dazu versorgten wir uns vom nahe gelegenen (12km) Restaurant wieder mit Kibbeling und Pommes. Sehr lecker übrigens.

Der Ausflug nach Schiermonnikoog tat so gut, dass wir gleich noch so einen Inseltag einlegten, diesmal zum ebenfalls nahe gelegenen Ameland. Wieder mit geliehenem Fahrrad (diesmal allerdings E-Bike) und auch sehr schön, wenn auch durch massig mehr Tourist*innen und richtigem Autoverkehr nicht mit Schiermonnikoog vergleichbar. Wir aßen Poffertjes zum Cappuccino, machten eine Bootstour zu einer „Muschelbank“ zum Aussteigen (naja, das war dann mehr eine Sandbank voller hässlicher, grauer Austern- und Muschelschalen) und zu den Robben (natürlich ohne Aussteigen, aber: hach!) und saßen danach noch lange am kühlen Strand, bevor wir eine der letzten Fähren zurück nahmen.

Am folgenden Samstagmorgen packten wir zusammen und fuhren – erneut ohne jeden Stau – in aller Ruhe wieder heim. Ein schöner, wenn auch wettermäßig eher schlechter und zeitlich zu kurzer Urlaub. Aber ich will mich nicht beschweren, trotz Corona hatte mal alles geklappt, und es tat meinem Kopf sehr gut, rauszukommen.

Die Weiher im Sommer

Mitte August ist sicher nicht die beste Zeit, um rauszufahren und Vögel zu beobachten. Das Brutgeschehen weitgehend vorbei, die meisten Reviergesänge vereinzelten Verständigungsrufen gewichen, die Seen oft leergefegt, die im Frühjahr noch vor Enten, Lachmöwen und Blässhühnern wimmelten, die Ufer komplett zugewachsen, die ersten Zugvögel unterwegs Richtung Afrika und der Herbstzug durch unsere Gegenden z. B. aus Skandinavien noch nicht recht begonnen.

Aber natürlich war es trotzdem eine gute Idee, in der Frühe für ein paar Stunden zu meinen Lieblingsweihern zu fahren. Zuzuschauen wie der Dunst über dem Wasser wabert und sich allmählich auflöst. Zum ersten Mal junge Nachtreiher zu sehen. Einen fünfminütigen Staring Contest mit einem Schwan zu gewinnen (er stand mitten auf dem Weg und dachte, er müsse seine Familie im Gras nebenan vor mir verteidigen). Eine halbe Stunde lang konzentriert versuchen, Libellen im Flug zu fotografieren. Lange einfach nur an einer der wenigen offenen Uferstellen im Gras zu sitzen und das einsame Haubentaucherpaar mit Jungem auf dem Wasser oder die dösenden Kormorane in ihrem Schlafbaum zu betrachten. Praktisch keinem Menschen zu begegnen.

Ich bin erschöpft und zähle die Tage bis zum Urlaub. (sechs)

Ein Morgen mit Nachtigallen

Urlaub. Das waren drei Wochen Costa Rica geplant für Mai 2020, dann umgewandelt in zwei Wochen Lewis & Harris im Mai 2021, dann Anfang des Jahres umgewandelt in je eine Woche Ferienhaus im Allgäu und am Bodensee, dann vor zwei Wochen wg. Beherbergungsverbot gekürzt in eine Woche zuhause. Die geplanten Fahrradtouren zu zweit zerfleddert gerade der Sturm. Ich weiß, das ist verglichen mit vielen anderen ein Luxusproblem, aber wir beide hätten die Erholung wirklich, wirklich nötig, und die ist in den eigenen Wänden gering, wenn der einzige Unterschied zu sonst das Nichteinschalten des Arbeitsrechners ist.

Gestern morgen war zumindest das Wetter noch schön. Die Möwe musste leider doch noch arbeiten, weil Corona ihre Arbeit gerade nicht in Ruhe lässt, so plante ich einen Vogelmorgen am Obermain. Fünf Uhr morgens war ich nach nicht mal fünf Stunden Schlaf knallwach, also los ins eine Autostunde entfernte Naturschutzgebiet Mainaue zwischen Bamberg und Schweinfurt, wo ich kurz nach Sonnenaufgang ankam und von Hasen auf den Feldern im Gegenlicht und einem vollen Vogelkonzert begrüßt wurde. Darunter mit als erstes ein Wendehals. Bis letzte Woche hatte ich noch nie bewusst einen gesehen oder gehört, am Samstag war ich dann gezielt zum nahegelegenen ehemaligen Truppenübungsplatz gefahren um welche zu finden – erfolgreich, siehe Foto – und seitdem ist ihr Ruf für mich klar mit ihnen verbunden. Früher habe ich ihn vermutlich unter Buntspecht oder so verbucht. Wie es so ist, wenn man etwas Neues lernt: Plötzlich nimmt man es überall wahr.

Was mich den Morgen nicht mehr verlassen würde war Nachtigallengesang. Um den ganzen See herum und später noch an zwei anderen Stellen war alles voll von ihren Trällern und Seufzern, alle hundert Meter die nächste. Oft so laut, dass man kaum die anderen Vögel hören konnte. Ich habe noch nie so viele an einem Tag gesehen und gehört. Wunderbar.

4 Minuten Gesangsvortrag (mit dem Handy aufgenommen), begleitet vom Zilpzalp, Gänsen und ein paar anderen Statisten

Am Ende habe ich beachtliche 58 Arten gezählt, die mir begegnet sind, darunter Rohrweihe, Pirol, Schwarzmilan, Mauersegler, ein ganzer Baum mit brütenden Kormoranen (auf dem Foto sieht man links schon eine Fütterung), ein ungleiches Gänsepaar aus Kanada- und Saatgans, Knäkenten und ansonsten allem, was der Mai bei uns an Arten dieser Landschaft bietet. Dabei fehlten noch jegliche Watvögel; vermutlich wusste ich aber nur nicht, wo schlammige Flachwasserflächen zu finden gewesen wären.

Und dann war da noch der Kuckuck. Wo Schilf ist, sind Kuckucke oft nicht weit; Teichrohrsänger gehören zu ihren bevorzugten Wirtsvögeln. Seit Jahren versuche ich vergeblich, einen nicht nur als verschwommenen kleinen Fleck aufs Foto zu bekommen. Sie flattern pausenlos von einer Warte zur nächsten, nicht vorhersagbar wo sie sich niederlassen, sind scheu und wenn sie mal in Fotografierweite sitzen, dann verdeckt hinter Zweigen. Ich hatte es mir ein Weilchen am Ufer des kleinen Sees bequem gemacht, um die Kanadagänse zu beobachten, da hörte ich ihn unmittelbar hinter mir ganz nah und ohne den üblichen Hall der Landschaft rufen. Ich wusste, wenn ich mich jetzt umdrehe, nimmt er mich wahr und haut ab. Ich versuchte es in Zeitlupe. Aus dem Augenwinkel saß er vier Meter weiter auf einem Ast, aber dann war er auch schon wieder weg. Irgendwann krieg ich dich, Freundchen!

Schöner Tag. Ich mag diese Landschaft sehr: Schilf, kleine Seen und Teiche, stille Flussarme, Wiesen, Hecken und kleine Auwälder, ganz ähnlich wie z. B. das Donauries bei Günzburg oder die Regentalaue bei Cham. Der kühle Wind ließ einen fast vergessen, wie kräftig die Sonne schon ist. Und im Gegensatz zu anderen Vogel-Hotspots wie z. B. der Goldbergsee in Coburg oder gar die Altmühlseeinsel bleibt man sogar weitgehend ungestört von anderen Spaziergängern, Radlern oder Joggern.