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11.02. – Rassismus, Trump, Kriminalistik

In den vergangenen Tagen sind mir jede Menge lesenswerte Beiträge vor die Füße gelaufen.

Die amerikanische Feministin Ijeoma Oluo mit einer flammenden Aufforderung an Weiße, sich endlich ihres eigenen Weiß-Seins und der damit verbundenen Kultur und Geschichte bewusst zu werden. Denn ein Hauptproblem weißer Kultur ist, dass sie sich selbst als so normal betrachtet, dass sie für Weiße nicht einmal als solche sichbar ist, und damit auch der Rassismus aus ihrer Wahrnehmung verschwindet.

Find yourselves white people. Find yourselves so that you can know what whiteness is. Find yourselves so that you can determine what you want whiteness to be. Find yourselves so that you can stop your loved ones from voting for a definition of whiteness that you no longer want to subscribe to. Find yourselves so that racism no longer surprises you.

Der Schweizer Bruno Ziauddin darüber, wie sich Rassismus in der Schweiz für ihn über die Jahrzehnte hinweg angefühlt hat, und nach einer Zeit beendet geglaubter Feindlichkeit offenbar wieder aufflammt. Sehr differenziert und nicht nur gegen rechts:

So wie es Antisemitismus von links gibt, gibt es auch Rassismus von links. Wobei Rassismus möglicherweise ein zu starkes Wort ist. Es geht eher um paternalistischen Dünkel. Um die sehr klare Vorstellung davon, wie eine Person mit Migrationshintergrund zu sein hat und welche Rollen ihr zustehen. Und um die ebenso klare Vorstellung, wie über Personen mit Migrationshintergrund geredet und geschrieben werden soll, wie diese in Filmen, Zeitungen und Büchern dargestellt gehören (wichtigste Regel: keine Witze, nichts Negatives). Im Zentrum dieser Vorstellung steht der Migrant als Opfer – als bedürftiges Wesen, dem es die Hand zu reichen gilt und der diese Hand doch bitte dankbar ergreifen möge.

Wehe aber, der Migrant weigert sich, den ihm zugeschriebenen Part zu übernehmen. Dann werden die besonders Rigorosen unter den Ausländerfreunden rasch aggressiv. Das habe ich bei eigenen Texten erlebt, die sich dem Opfernarrativ verweigerten, das erfahren derzeit deutschsprachige Autorinnen und Autoren mit muslimischem Hintergrund, die sich kritisch mit dem Islam auseinandersetzen und die hier lebenden Muslime für ihr Handeln und Sprechen in die Verantwortung nehmen, statt sie zu willenlosen Statisten und Opfern der Umstände zu degradieren.

Ein kleines Diagramm rassistischer Haltungen und Politiken, die nicht immer so offensichtlich wie N-Witze daherkommen.

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Auch in der vergangenen Woche kam man an Trump natürlich nicht vorbei, und weil sein autokratischer Regierungsstil grundlegende Fragen zu Demokratie, Staatsmacht und Minderheitenschutz berührt, wird sich das wohl auch nicht so bald ändern. So wenig die Person Trump selbst für Europa relevant genug sein mag, um sich ständig mit ihr zu beschäftigen, so sehr sind es doch die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen, für die er steht. Zum Beispiel halte ich den Rassismus, der sich z. B. im amerikanischen Justizsystem und dem Umgang mit Einwanderern und Flüchtlingen ausdrückt, alles andere als nur ein „interkulturelles Problem der USA“, wie man in deutschen Leitartikeln lesen darf, sondern als Symptome und Auswüchse von Haltungen und gesellschaftlicher Ordnung, wie sie im weißen Europa genauso existieren. Siehe oben.

Trumps Regierung ist nicht die Erste, die Minderheiten zu Sündenböcken macht, die Gewaltenteilung missachtet oder lügt. Sarah Kendzior in wütenden Worten:

But as Lincoln’s letter reminds us, this has always been America. We have always vacillated between lofty precepts on paper and the refusal of white men to apply them in practice. This refusal has resulted in slavery of African Americans, genocide against Native Americans, internment camps for ethnic minorities. It has also systematically denied most of the population the right to vote over most of our history, rationalized discrimination against and banning of immigrants on racial and ethnic lines, and shored up segregation and Jim Crow. Today, this same white male authoritarian outlook fuels a prison and police system that disproportionately targets non-white citizens.

Ein ruhiger Artikel im Atlantic listet ebenfalls auf, wie auch schon vergangene U.S.-Regierungen die Öffentlichkeit belogen, das Parlament umgangen oder das Justizsystem missachtet hatten und fährt fort:

Authoritarianism lies not in any individual presidential action but in the patterns of action that emerge over the course of a presidency. Lincoln and Eisenhower and all the others I’ve just named were committed small-d democrats. Their excesses were exceptional or occasional. Unlike Nixon, they did not engage in concerted efforts to undermine the integrity of the Constitution or the government. Moreover, and more important, when excesses did happen, the rest of the system usually pushed back, usually successfully. Whether any particular presidential action, or pattern of action, is authoritarian thus depends not just on the action itself but on how everyone else responds to it.

So betrachtet der Autor bei allem Ernst der Lage mit verhaltenem Optimismus, wie sich spätestens seit Nixon jede Menge zivile Strukturen gebildet haben, um amerikanischen Regierungen auf die Finger zu schauen und zuweilen auch in die Schranken zu weisen:

Nixon’s gift to American democracy was to inadvertently establish the infrastructure that will contain Trump. The harder he pushes to stretch or violate the law, the more he’ll be swarmed. As a result, where Nixon-style illegality or naked power grabs are concerned, I’m optimistic that the constitutional framework will hold.

Wo wir bei Trump sind, diese beiden Karikaturen zur vermuteten Abhängigkeit Trumps von seinem Berater Bannon sind einfach zu großartig: eins / zwei.
(Leider konnte ich die jeweiligen Urheber nicht finden.)

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Etwas ganz anderes: Kriminalistik. Da haben wir zunächst den Bericht über einen Mann, der unentdeckten Serienverbrechen mit Hilfe von Statistik-Software auf den Pelz rückt. Was die verantwortlichen Polizeidirektionen offenbar nicht immer so toll finden.

In 2004, Hargrove’s editors asked him to look into statistics surrounding prostitution. The only way to study that was to get a copy of the nation’s most comprehensive repository of criminal statistics: the FBI’s Uniform Crime Report, or UCR. When Hargrove called up a copy of the report from the database library at the University of Missouri, attached to it was something he didn’t expect: the Supplementary Homicide Report. “I opened it up, and it was a record I’d never seen before,” he says. “Line by line, every murder that was reported to the FBI.”

This report, covering the year 2002, contained about 16,000 murders, broken down by the victims’ age, race, and sex, as well as the method of killing, the police department that made the report, the circumstances known about the case, and information about the offender, if the offender was known. “I don’t know where these thoughts come from,” Hargrove says, “but the second I saw that thing, I asked myself, ‘Do you suppose it’s possible to teach a computer how to spot serial killers?’ ”

Und dann der Fall russischer Banden, die das „pseudo-“ in „pseudo-Zufallszahl“ für sich zu nutzen wussten und mit einer raffinierten Kombination aus Labor-Dauertests, unauffälligen Spielern und einer eigens programmierten App erfolgreich in die Lage kamen, die Ergebnisse bestimmter Glücksspielautomaten vorherzusagen. Sehr spannend.

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Wie man mit einer kleinen, nichts kostenden Entschuldigung eine Streitsituation entschärft: Deeskalation.

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Die Preisträger eines Drohnenfotografie-Wettbewerbs. Großartig. Hinter „Gallery“ verbergen sich noch mehr tolle Aufnahmen.

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Zum Abschluss ein Video fürs Herz. Könnte man sich vor Augen halten, wenn man gerade wieder dabei ist, Menschen in getrennte Schubladen zu sortieren, ob nun Land- vs. Stadtbevölkerung, soziale Schicht oder was auch immer:

5.2. – Reiher und Kaninchen

Quasi zwei Wochen nicht im Büro gewesen. Mal sehen, wie mein Biorhythmus ab morgen wieder mitspielt; an das Nickerchen am Nachmittag habe ich mich nämlich ziemlich gut gewöhnt. Und zwei Kilo abgenommen habe ich auch, einfach durch weniger Hunger. Erfahrungsgemäß ist das alles schnell wieder dahin, wenn ich mich den ganzen Tag konzentrieren muss und mein Hirn ständig Glukose will.

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Neben Hrn. Graureiher, der sich hier schon seit längerem täglich blicken lässt, staksen seit gestern auch zwei Silberreiher übers Feld, meist in Nähe des Bachs. Wenn ich Vogelbestimmungsbüchern und Wikipedia Glauben schenken darf, sind Silberreiher in dieser Gegend und Jahreszeit alles andere als gewöhnlich. Zumal wir nicht einmal einen See oder auch nur Weiher in der Nähe haben.

Ich liebe unsere Aussicht.

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Eine Kollegin der Möwe ist in Teilzeit Bäuerin mit ein wenig Gemüseanbau, ein bisschen Geflügel und neuerdings auch einer Handvoll Schweine. Die Tiere haben Auslauf, bekommen artgerechtes Futter, Zeit zum Wachsen und werden deswegen auch ganz unterschiedlich groß. Wenn wir auch seit der Fastenzeit vor drei Jahren kein Fleisch und keinen Aufschnitt mehr für uns kaufen (außer wir haben Besuch), so bekommen wir von dieser Kollegin jetzt 2-3 mal im Jahr ein Hähnchen, eine Ente oder an diesem Wochenende zum ersten mal ein Kaninchen. Nach dem Wälzen einiger Rezepte haben wir uns für Kaninchen in Weißwein-Senfsauce mit Kartoffelpüree aus dem Silberlöffel entschieden. Dummerweise waren unsere Kartoffeln alle, aber so konnten wir auch gleich mal den kleinen 24h-Hofladen ausprobieren: Eine Rohmilch-Tankstelle mit zwei Automaten, über die ein anderer, kleiner Bauernhof in der Nähe seine Kartoffeln, Eier, Wurst im Glas und andere Lebensmittel verkauft. Tolle Institution.

Das Fleisch war wunderbar zart, fest ohne trocken zu sein und hatte Geschmack. Köstlich.

2.2. – Highlands, Krankheit, Schallplatten

Chips aus Roter Bete, Süßkartoffeln und Möhren – so richtig gesund!
#sekundenschaf

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In den schottischen Highlands biken, auf menschenleeren Pfaden die Hügel hoch wandern, das kann man auch von zuhause aus, mit Ben Dolphin. Atemberaubende Panoramen, wunderbare Tierfotos und sehr sympathische Videoblogeinträge, kann ich nur empfehlen. (Man kann Ben auch auf Twitter folgen.)

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Am Montag die Krankheits-Folgebescheinigung abgeholt und meinen Chef angerufen. „Ich bin bis Freitag krankgeschrieben, das finde ich ja etwas übertr…“ – „Nichts da. Du kurierst dich aus. Ich will dich vor nächster Woche nicht im Büro sehen.“ – „Äh, okay.“ Nun denn. Aber die Hustenanfälle und nachmittäglichen Müdigkeitsattacken geben ihm schon auch recht.

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Nach dem Einmotten der CDs die kleinen Boxen aus dem Regal genommen und wieder richtig aufgestellt. Woah, ich hatte schon wieder ganz vergessen, wie gut die Anlage klingt. Und jetzt standen da noch die ganzen Schallplatten herum, nur leider war der alte Dual Plattenspieler längst hinüber. Einen neuen Spieler gekauft, ebenfalls Dual, der heute morgen geliefert wurde. Den ganzen Tag nur Platten gehört: Jazz-LPs von meinem Vibraphonidol David Friedman, New-Wave-Alben von der Möwe, 80er-Pop-Rock… So viel Musik, die ich teilweise seit Jahrzehnten nicht mehr gehört habe. Wunderbar. Davon werde ich natürlich auch einiges digitalisieren, aber im Moment freue ich mich zuallererst über die viele neue, alte Musik und den astreinen Sound.

27.1. – Emojis, Twitterdiplomatie, Urfaschismus

Ich: *hustet sich nen Wolf*
Wolf: *steht auf, schaut vorwurfsvoll und trottet kopfschüttelnd davon*

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mopsfidel, aber als Hundevioline

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Emojis. Zwei Quadratmillimeter Bedeutungsträger. In einer unzoombaren Handy-App, zumal wo ich unterwegs meist keine Lesebrille auf habe, oft unentzifferbar. Ich bin froh, dass man zumindest im Browser am Desktop die Webseiten bis auf Molekülgröße aufzoomen kann, so entdeckt man zum Beispiel, dass der Smiley mit… laufender Nase? in WIrklichkeit Wut schnaubt. Aber zur Sicherheit lieber nochmal per Mouseover das Tooltip befragen:

Nicht entzifferbares Emoji, soll "triumphierendes Gesicht" darstellen.

„Triumphierendes Gesicht“! Ernsthaft? Ach Kinder, seht mir einfach nach, wenn ich vielleicht mal merkwürdig oder sicherheitshalber gar nicht auf Emojis in euren Nachrichten reagiere. (Gibt es eigentlich ein Seufz-Emoji?)

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Twitter als der Volksempfänger, über den der Führer Staatsoberhäupter die Massen ganz direkt, ähm, informieren, das war natürlich pointierter Quatsch. Andererseits vielleicht auch nicht ganz. Schon als Trump stolz von Taiwans Wahlglückwünschen twitterte und damit China brüskierte, kam ernsthafte Besorgnis auf, dass sein unmittelbarer Zugriff auf dieses Medium noch Kriege auslösen wird. (Ganz abgesehen davon, dass es möglich ist, dass sein offenbar weitgehend ungesichertes Handy längst von fremden Geheimdiensten gehackt wurde.)

Jetzt erweitert sich diese neue Bühne internationaler Konflikte. Vicente Fox, früherer mexikanischer Präsident, versucht Trump in seiner eigenen Arena zu schlagen, und er ist gewieft. Er liefert sich Wortgefechte mit Trump zum Thema Mauerbau an der gemeinsamen Grenze, erfindet mit #FuckingWall einen Hashtag, den PR-Texter nicht griffiger hätten formulieren können, und befragt einfach selbst das amerikanische Volk:

Der frühere mexikanische Präsident Fox macht Twitterumfragen beim amerikanischen VolkDieser Tweet ist eine Lehrstunde in politischer Rhetorik und hat Unterhaltungswert, wie der ganze Schlagabtausch (wenn man kurz die realen Folgen ausblendet, die diese Mauer oder auch nur ein Handelskrieg zwischen den Ländern haben würden). Nur: Wie geht das weiter? Nicht genug, dass aller Voraussicht nach Social Bots und gefakte Profile in diesem Jahr mit Propaganda und Lügen versuchen werden, die Stimmung vor den Wahlen in Frankreich und Deutschland zugunsten von Demokratiefeinden zu beeinflussen, müssen jetzt auch noch hochrangige Politiker ohne mediale Pufferzone die Öffentlichkeiten ihrer Länder in Echtzeit aufwiegeln? Auch wenn es kurzzeitig Freude macht, wenn ein verhasster Politiker in einem Social Network zurechtgestutzt wird, die Entwicklung macht mir allergrößte Sorgen.

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Ja doch, ich lese schon wieder zu viel auf Twitter.

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Umberto Eco hielt 1995 anlässlich des 50. Jahrestags der Befreiung Europas eine Vorlesung, in der er zunächst seine ganz persönliche Erfahrung mit dem italienischen Faschismus erzählt, um schließlich in 14 Punkten Eigenschaften, Propagandaziele und Methoden zu beschreiben, die sich in der einen oder anderen Form in den meisten totalitären Regimen und Ideologien der Geschichte wiederfinden. Erschreckend zeitlos angesichts der momentanen politischen Entwicklungen, und daher ganz besonders am heutigen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus gut, es zu lesen:

„Urfaschismus“.