Nachdem der Januar mit Grau, Regen und Wind zuende ging und ich bis auf zwei Tage im Büro schon wieder wochenlang im Haus geblieben war, musste ich dringend an die frische Luft. Es sollte „trocken und bewölkt mit sonnigen Abschnitten“ werden, also ideal für eine kleine Vogel-Fototour. Da ich keine Lust auf lange Autofahrten hatte oder an windigen Seeufern mit ewig entfernten Vögeln zu stehen, ging es in einen nahen Wald bei Erlangen. Die Spechte hämmerten (Bunt-, Mittel-) oder lachten (Grün-) und alles war voller Meisen- und Kleiberrufe; man konnte fast meinen, es würde bald Frühling. Was wohl auch die vier Hasen vorm Haus dachten, die sich in der Morgendämmerung schon minutenlang im Kreis über die Wiese jagten.
Ich schlug die kleineren Wege ein, um dem schon um acht Uhr spürbaren Verkehr von Jogger*innen und Hundespaziergänger*innen auszuweichen, und auf einem dieser Pfade kam ich schließlich an einem Baumstumpf vorbei, wo eine gute Seele Vogelfutter gestreut hatte. So setzte ich mich einige Meter entfernt auf mein Sitzkissen und wartete mit der Kamera im Anschlag. Und wurde nicht enttäuscht. Ständig kamen Kleiber, Blau- und Kohlmeisen vorbei um zu fressen und auch andere Vögel ließen sich nach und nach rundherum blicken: Erlenzeisige, Rotkehlchen, Buchfinken, Tannenmeisen, Eichelhäher, Amseln und ein besonders stattlicher Buntspecht. Ich vergaß völlig die Zeit und ballerte die Speicherkarte voll. Am Ende müssen es wohl zwei Stunden gewesen sein, die ich dort auf dem Waldboden verbrachte. Haben die Vögel nicht großartige Farben? Vor allem diese Kombination Stahlblaugrau – Schwarz – Weiß zusammen mit dem warmen Ockerhellbraun der Kleiber könnte ich stundenlang anschauen.
Faszinierend fand ich einen herumliegenden Baum. Die Rinde fehlte komplett und man konnte sehen, wie Borkenkäfer (wie ich annehme) darunter im Lauf der Zeit alles voller verzweigter Gänge gefressen hatten, wie einen Linolschnitt einer Landschaft mit Bäumen.
Später sah ich dann noch meine ersten Hausrotschwänze des Jahres auf einer Wiese. Und während am Morgenrundenteich tote Hose blieb (ich hatte auf einen Eisvogel gehofft), traf ich auf einem Feld in der Nähe meinen ersten Kiebitz des Jahres – normalerweise kommen sie eigentlich erst gegen Ende Februar zurück zu uns. Ein schöner Morgen.
Mit der Pandemie und ihren Lockdowns und Heimbüro seit anderthalb Jahren, in denen ich in manchen Wochen das Haus außer zum Einkauf oder Mülltonnen-an-die-Straße-Stellen nicht verließ, habe ich ein Faible für Fotografie-Vlogs entwickelt. Insbesondere solche, in denen Leute nicht quatschend vor Webcams sitzen, sondern ihre Zuschauer*innen in die Natur mitnehmen, von ihren Herausforderungen erzählen, gerne ein bisschen Technik, Tipps und Tricks einstreuen, und natürlich auch tolle Fotos und Videos von Landschaften und Pflanzen oder ihren Begegnungen mit Tieren zeigen. Diese Youtube-Abos bedeuten für mich, mehrmals wöchentlich 10-20 Minuten in Gedanken irgendwo draußen sein zu können und nebenher Inspiration fürs Fotografieren in der eigenen Umgebung oder den nächsten Urlaub mitzunehmen (woraus zum Beispiel die Nachthimmel-Aufnahme am Lauwersmeer entstanden ist).
Im Sinne einer Vlogroll möchte ich ein paar davon empfehlen, jeweils mit einem beispielhaften Beitrag. Ich beschränke mich hier auf die, bei denen Draußen-in-der-Natur nicht zu kurz kommt (also nicht nur Ausrüstungsreviews oder Nachbearbeitungstutorials), und solche, die nicht zu clickbaitig oder, äh, großspurig sind. Vielleicht gefällt euch der eine oder andere Kanal, oder ihr habt umgekehrt auch welche, die ihr empfehlen könnt (vor allem auch welche, die nicht nur von Männern sind?). Schreibt mir’s in die Kommentare! *Youtuber-Geste*
Eine meiner ersten Entdeckungen und mit einer halben Million Follower*innen vermutlich einer der erfolgreichsten Fotografie-Vlogger auf Youtube, dessen on location Videos ich mehrere Jahre zurück verfolgt habe. Sympathischer, selbstreflektierender Brite mit oft großartigen Fotos aus aller Welt (Schwerpunkt Lake District und Schottland, wo er oft mit seinem eigens zum Camper umgebauten Toyota rumfährt), aber vor allem auch immer einer Geschichte, die neben dem Weg zu den einzelnen Fotos auch etwas über das Fotografieren an sich erzählt. Mit der Zeit ist er ein Meister der filmischen Umsetzung mit Schnitten zu B-Roll und Drohnenaufnahmen geworden. In irgendeinem Video sagt er sinngemäß, für sein Vlog würde er jeden Berg drei Mal besteigen, und man versteht bald, was er meint.
Zurückhaltender, freundlicher Brite, der mit seinem Hund durch die Wälder seiner Umgebung streift und magische Bilder davon macht. (In einem sehenswerten Interview erzählt er, wie er in einer schlimmen Phase seines Lebens mit Rückenproblemen seine Begeisterung dafür entdeckt hat, angetrieben durch seinen Hund.)
Älterer und (wie viele der anderen vorgestellten Vlogger) von der freundlichen, zurückhaltenden Sorte. Er gehört zu denjenigen, die sich aus Prinzip auch von unspektakulärer Umgebung und schlechtem Licht nicht demotivieren lassen, nach guten Motiven zu suchen.
Ein Fotograf*innen-Ehepaar aus Island, das gemeinsam durchs Land reist, um die spektakuläre Landschaft und Tierwelt zu fotografieren. Ich mag auch irgendwie ihren spröden, liebevollen Umgang miteinander.
Der einzige Deutsche in meinen Fotovlog-Abos bislang. Er macht nicht nur gute Aufnahmen hauptsächlich von Vögeln, er bringt als Biologe auch viel Wissen mit und zeigt, wie respektvolle Naturfotografie geht.
Viele haben vielleicht schon auf Twitter gesehen bzw. gehört, wie jemand zwei Baby-Eichhörnchen beim Futtern ein Mikrofon unter die Nase hält. Das stammt von ihr, und neben viel Eichhörnchen-Content filmt und fotografiert sie auch andere Tiere und Vögel.
Sehr quirliger Surfer-Typ aus Florida, der vor allem fantastische Fotos und Videos von Wasser- und Greifvögeln wie Pelikanen, Weißkopf-Seeadlern oder Fischadlern macht.
Naturfilmer mit beeindruckenden Aufnahmen von Bären, Adlern, Dachsen, Elchen und vielen anderen Tieren in den Nationalparks der USA. Und nützlichen Tipps, z. B. wie man bärensicher zeltet.
Zum Abschluss noch ein Kanal, der hier etwas aus der Reihe fällt. Sehr techniklastig, was Astrofotografie aber nun einmal mit sich bringt. Und neben den atemberaubenden Himmelsbildern macht wie bei den anderen Kanälen auch die Leidenschaft, die man für die Sache spürt, einen großen Teil des Spaßes aus.
Unsere Espressomaschine hatte wieder rumgezickt; so wie vor vier Jahren schon flog wenige Minuten nach dem Einschalten der FI-Schutzschalter raus. (Licht aus im ganzen Haus ist jetzt im Sommer nicht das Problem – aber das WLAN!) Damals musste der Dampfboiler getauscht werden, das wird vermutlich auch jetzt wieder der Fall sein, was aber für die seit zehn Jahren heißgeliebte und täglich vielgenutzte Maschine auch ein zweites mal okay wäre. Das Problem ist, dass nur wenige Werkstätten sie überhaupt reparieren können. Den liebenswerten, aber vollkommen chaotischen Italiener aus Nürnberg wollten wir nicht mehr engagieren, um nicht wieder drei Monate auf die Reparatur warten zu müssen. Gekauft hatten wir sie in einem spezialisierten Laden mit Werkstatt in der Pfalz, aber dahin hätten wir sie verschicken müssen, was bei 28 Kilogramm heißt: per Spedition, und erst einmal eine geeignete Transportverpackung finde. Zum Glück hatte die Möwe diese Woche übers Internet einen Kaffeeladen samt Werkstatt in der Oberpfalz aufgetan. Eine gute Autostunde ist noch machbar. Und wenn man schon mal dabei ist, kann man auch gleich einen Abstecher zu einem der ältesten Naturschutzgebiete Bayerns einplanen, wo ich bislang erst einmal war.
Gegen sechs Uhr von alleine wach geworden, decke ich mich in der Bäckerei mit Kaffee und einem Küchle zum Frühstück ein und fahre los. Gegen halb acht bin ich dort und bis auf wenige Jogger*innen praktisch für mich alleine. Der See empfängt mich mit leichten Nebelschwaden und dem ununterbrochenen Lärmen der großen Lachmöwenkolonie. Entenfamilien verschiedener Arten ziehen am Ufer entlang, Haubentaucher und Kormorane tauchen nach Fischen und ich sitze erst einmal lange Zeit am Wasser und genieße die Stimmung.
Rund um die Seen geht es durch den Wald und ich freue mich bei jedem Schritt über den gemulchten Weg. Im Murnauer Moos neulich war alles geschottert, dass man vor lauter Lärm der eigenen Schritte praktisch keine Natur mehr hörte. Grauenhaft. Auf einem Damm zwischen zwei Weihern setze ich mich auf eine Bank in die Sonne, die den Nebel inzwischen beiseite gewischt hat, und esse eine Kleinigkeit. Um mich herum rufen mal wieder zwei Kuckucke, und ich blicke direkt auf einen Baum, dessen obere Zweige eigentlich ideal für einen ihrer beständigen Standortwechsel sein müssten. Wie schön wäre das! Mit schussbereiter Kamera warte ich 20 Minuten, aber natürlich funktioniert das so nicht. Schließlich gehe ich weiter, komme an Seerosentümpeln vorbei, an Fingerhüten im Wald, an Pilzen und feinen Spinnweben, die in den Sonnenstrahlen aufleuchten. Von den im Vogelführer versprochenen Fischadlern und Blaukehlchen mal wieder keine Spur, aber das ist mir heute egal – ich bin nicht zum Artenfinden hier, sondern für diese Ruhe.
Da ich eine 8 um die Weiher laufe, komme ich ein zweites Mal an der Stelle mit der Bank vorbei und kann es kaum glauben: Der Kuckuck sitzt exakt auf dem Zweig, den ich zuvor in Gedanken für ihn ausgesucht hatte! Zwar bin ich jetzt weiter weg, als schön wäre, aber doch nah genug, dass er nicht nur als graugelber Fleck auf dem Foto landet. Jah-re-lang habe ich darauf gewartet! Nach einer Minute flattert er weiter, und glücklich laufe ich zum Wagen zurück.
In Weiden schleppe ich die Maschine in den Laden, wo sie die Angestellte mit der gleichen Freundlichkeit und Unkompliziertheit entgegennimmt, die sie schon zuvor in den Telefonaten gezeigt hatte. Zum ersten Mal in der Stadt, spaziere ich noch ein bisschen durch die hübsche Altstadt, wo zwischen Marktständen und außenbestuhlten Cafés jede Menge Leute versuchen, das Gefühl eines irgendwie normalen Sommers in der Stadt zurückzuerobern. Ich selbst auch, mit einem Spaghettieis zum Mitnehmen (erfolgreich).
Schließlich fahre ich in der Mittagshitze zurück, zufrieden über den schönen Sommermorgen und das Ende meiner Fehde mit dem Kuckuck. Ich muss nur zwischendurch auf einem Autobahnparkplatz halten und ein Viertelstündchen die Augen zumachen, weil die letzte Woche in der Arbeit wohl doch anstrengender war, als ich dachte.
Nachdem meine ganze Familie an Weihnachten wieder bei uns zu Gast war (für meine Eltern wurde es in den vergangenen Jahren zu anstrengend, die Feier auszurichten) und wir noch für kurze zwei Tage in Duisburg die Möwenfamilie besucht hatten, war es Zeit für ein paar Tage der Besinnung, die wir wieder in einem Kloster verbrachten. Diesmal allerdings nicht in Himmerod, sondern in Bamberg bei Franziskanerinnen. Die Schwestern, das Programm drinnen und draußen, die Gruppe, das Haus, alles war ganz wunderbar. Nach wie vor die schönste Art, einen Jahreswechsel zu begehen.
Jetzt sind wir wieder zuhause angekommen, die Espressomaschine heizt auch schon, und wir genießen die große Stille.