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Auszeit, die erste Woche Lewis (und Harris)

Um von North Ronaldsay auf Orkney nach Stornoway auf Lewis zu kommen brauchten wir gut acht Stunden, die im Wesentlichen aus dem Warten auf Anschlüsse bestanden. In den vier Stunden Aufenthalt in Kirkwall fuhren wir mit dem Bus in die Stadt um zu frühstücken, wobei uns noch einmal auffiel, wie vertraut sie uns inzwischen geworden war. Auf dem kleinen Flughafen von Kirkwall wurde man früher durchaus verpflegt, doch dem Flughafencafé hatte nach der Coronazeit wohl die Inflation den Rest gegeben, jetzt nur dürftig ersetzt durch Snack- und Kaffeeautomaten. Erste Wahrnehmung, als wir auf Lewis ankamen: Es ist hier deutlich wärmer als auf Orkney. Und unser Ferienhäuschen direkt am (Stein-)Strand so schön wie das in Stromness; direkt am ersten Abend schauten draußen vor dem Fenster Robbenköpfe aus dem Wasser und ein Eistaucher zog vorbei. Wunderbar.

Wie schon auf Orkney haben wir keinen Stress oder besonderen Plan und überlegen meist tags zuvor, was wir machen wollen oder ob überhaupt. Und doch kommt im Rückblick schon wieder eine erstaunlich unternehmungsreiche Woche zusammen.

Der erste Ausflug galt Callanish, mehreren steinzeitlichen Felsstelen, die anders als der Ring of Brodgar auf Orkney viel dichter beisammen stehen. Sehr schön. Glück gehabt: Wir waren noch mit nur wenigen anderen auf dem Hügel; als wir gingen, waren schon ganze Busse angekommen. Dann ging es durch die typische malerische Landschaft von flachen, grün bewachsenen Granithügeln mit kleinen Lochs und einzelnen Häuschen zu einem ehemaligen, bis in die 70er bewohnten Dorf von Black Houses an der Küste. Heute ist es quasi Freiluftmuseum und Ferienunterkunft, wo unter anderem ein älterer, sehr sympathischer Weber die Arbeit an einem Tweed auf einem altertümlichen Webstuhl erklärte. Auf der Runde zurück machten wir noch an einem RSPB-Naturreservat Station, wo eine Handvoll der nur 50 britischen Paare von Odinshühnchen brüten. Ganz weit weg waren sogar welche auf dem See zu sehen, für mich zum ersten Mal (leider ohne Foto).

Neben den höheren Temperaturen fällt an Lewis sofort die andere Atmosphäre auf, was zu einem Teil auch an der Vegetation liegt. Zumindest rund um Stornoway gibt es deutlich mehr Bäume, sogar richtigen Wald, Nadel- wie Laubbäume in normaler Wuchshöhe. Einen solchen, wenn auch von Menschenhand geschaffenen Wald mit vielen auch exotischen Bäumen gibt es zum Beispiel beim Lews Castle, einem Herrenhaus auf einem Hügel direkt gegenüber dem Hafen von Stornoway. Die Anlage erstreckt sich mit Wald und Parks über mehrere Kilometer entlang der Küste mit einem sehr schönen Rundwanderweg. Während es auf meiner Sabbatical-Vogelartenliste sonst nur noch langsam vorangeht, kamen hier gleich 10 Arten auf einmal zusammen; unsere verbreiteten Arten wie Erlenzeisig, Mönchsgrasmücke, Waldbaumläufer, Zilpzalp, Tannenmeise usw. sind hier auf den äußeren Hebriden ganz schön selten.

Eine der wenigen schon lange gesetzten Aktivitäten war eine Bootstour, um wilde Tiere wie Seevögel und hoffentlich auch Wale oder Delfine zu sehen. Ein Anruf am Donnerstag ergab die Möglichkeit, direkt am Freitag an einer Fahrt mit Schlauchboot zu den Shiant-Inseln teilzunehmen, wo wir vor fünf Jahren schon einmal vorbeikamen. Erst ging es entlang der Küste vorbei an einigen Seeadler-Plätzen, wir konnten auch entfernt ein oder zwei sehen, die meisten waren aber wohl ausgeflogen. Auch die malerische Robbenbucht war recht verlassen, aber das machte nichts, allein bei schönem Wetter auf dem Wasser im Fahrtwind unterwegs zu sein, war schon großartig. Und dann setzten wir übers offene Meer zu den Shiants über, wo mit jedem Kilometer die Gruppen im Wasser dümpelnder und fischender Tordalken, Lummen und Papageitaucher immer größer werden, bis man an den Felsen angekommen nur noch inmitten tausender um einen herum schwimmender und über einem kreisender Vögel sitzt. Atemberaubend und glücklichmachend. Nach einer sehr windigen und auch etwas, ähm, spritzigeren Rückfahrt, auf der wir dann auch noch mehrere Seeadler sehen konnten (meist von Krähen oder Möwen in der Luft gemobbt), wurden wir in Stornoway von einer der dortigen Hafenrobben begrüßt und bis zum Steg begleitet, vermutlich hoffte sie auf einen Snack. So nah war ich noch nie einer gekommen. Wale sahen wir allerdings an diesem Tag nicht, nur eine Delfinflosse unterwegs für wenige Sekunden.

Am Samstag feierte die Möwe Geburtstag. Abends vorher kamen wir spät spontan auf die Idee, um 23 Uhr darauf anzustoßen (in Deutschland wäre es ja schon Mitternacht), doch der Kurzbesuch im bis null Uhr geöffneten Supermarkt blieb ohne Erfolg, weil man in Schottland nach 22 Uhr keinen Alkohol mehr kaufen darf. Schräg. Das holten wir dann am nächsten Abend im Restaurant nach. Zuvor verbrachten wir ein paar Stunden am sehr schönen Garry Beach nördlich von Stornoway, wo es so warm war, dass ich erstmals in Schottland längere Zeit im T-Shirt verbrachte und man sich einen richtigen Strandtag samt Badengehen vorstellen konnte, wie man es so weit nördlich im Atlantik nie für möglich gehalten hätte. Das Essen, wir hatten uns beide für Fisch und Meeresfrüchte entschieden, war Bissen für Bissen köstlich („The Boatshed“, Stornoway, große Empfehlung) und ein echtes Highlight am Ende eines schönen Geburtstags. Den Sonntag verbrachten wir dann lesend, Fotos sortierend und schlafend und verließen nicht einmal das Haus, außer um auf die spiegelglatte Bucht im Nebel zu schauen.

Gestern folgte ein Ausflug zur (mit Lewis eine einzige Landmasse bildende) Insel Harris im Süden. Man durchquert eine recht hohe Bergkette und kommt schließlich auf der Westseite von Harris an einen etwa 20 Kilometer langen Abschnitt mit einigen laut jährlichen Rankings schönsten Stränden des Vereinigten Königreichs. Es war anfangs noch neblig, die Schwaden zogen über die Küste, von einer Minute zur nächsten konnten Berge und Strände in der Sonne leuchten und im nächsten verschwunden sein und wieder auftauchen (wie auf zwei Panoramafotos unten gut zu sehen ist, im Abstand von 5 Minuten entstanden). Schließlich setzte sich die Sonne durch, während sich über den vorgelagerten Inseln wie Taransay oder den Bergen von Harris teilweise die Wolken türmten. Das klare, ruhige Wasser leuchtete in allen Abstufungen zwischen dunkelgraublau bis hellgrüntürkis, es war ein einziger, stundenlanger Farbenflash. Bei Luskentyre gingen wir auch an den Strand, diesmal vorsorglich mit Handtuch und Badezeug bewaffnet und gingen sogar richtig im vermutlich 12 Grad warmen/kalten Meer baden (Beweisfotos vorhanden). In der Sonne war es sommerlich warm bis heiß und wieder verbrachte ich einen ganzen Tag im T-Shirt. Leider war meine Haut darauf noch nicht vorbereitet, zumal die Luft mit Anfang zwanzig Grad auch keine Gefahr signalisierte, so dass ich mir unvorsichtigerweise sehr rote Unterarme zuzog, das erste Mal seit Jahren.

An den Fotos kann man vielleicht den Farbenrausch erahnen (in Farben und Kontrasten nicht nachbearbeitet):

Am Strand probierte ich ICM aus, Intentional Camera Movement: Man stellt eine längere Belichtungszeit wie z. B. eine 20stel Sekunde ein und löst dann viele Male aus, während die Kamera bewegt wird, am Strand natürlich horizontal hin und her. Die Szene wird dadurch abstrakt verwischt und reduziert sich auf die Essenz der Landschaft und ihrer Farben, wird gemäldeartig. Auch wenn natürlich die übergroße Zahl der Fotos Ausschuss wird, bin ich vom Ergebnis begeistert. Mit Stativ statt händischem Gehampel (möchte nicht wissen, was die anderen Strandgäste dachten) und per Graufilter besser kontrollierbarer Verschlusszeit lässt sich in Zukunft vielleicht noch mehr herausholen.

Auf dem Rückweg kaufte die Möwe in Tarbert noch ein paar Meter schönen Harris Tweed für eine geplante Winterjacke, und zurück in Stornoway beendeten wir einen der bislang schönsten Tage mit leckeren Fish and Chips am Hafen.

Auszeit, eine Woche auf North Ronaldsay

Seit wir vor vier Jahren einen Tagesausflug auf North Ronaldsay gemacht hatten, wollten wir noch einmal hierher. Wenn Orkney Mainland an sich ruhig und abgeschieden ist, dann ist die kleine und nordöstlichste der Inseln die Abgeschiedenheit im Quadrat: sieben Quadratkilometer groß und nur circa 60 Einwohner*innen, die im Wesentlichen von Rinder- und Schafzucht leben. Zwei- bis dreimal am Tag gibt es einen Flug mit einem Kleinflugzeug für maximal 8 Passagiere nach Kirkwall, ansonsten kommt zweimal wöchentlich die Fähre, von der alle größeren Güter inklusive möglicher Autos per Kran auf den Pier gehievt werden müssen. Entsprechend wenig touristische Infrastruktur findet sich, wovon allein die Vogelbeobachtungsstation schon die Hälfte abdeckt: eine Handvoll Unterkünfte, seit diesem Jahr immerhin ein zweiter Mini-Shop für Lebensnotwendiges, und zwei Cafés, die – sofern sie tatsächlich auf haben – wie praktisch alles auf der Insel von Bewohner*innen neben ihren anderen Jobs betrieben werden. Die Menschen hier sind freundlich, aber auch zurückhaltend. Es ist sicher nicht einfach, zum einen die Zukunft ihrer Insel zu sichern (was wohl nicht ohne ein paar dauerhaft Zuziehende sowie ein gesundes Maß an Tourismus gehen wird) und zum anderen den besonderen Charakter der Insel und ihre aufeinander angewiesene Gemeinschaft zu erhalten. Sie sind zumindest schon froh, dass es keine Campervans zu ihnen schaffen. Zum anderen freuen sie sich über jede Familie mit Kindern, die zuzieht, alleine schon, damit sie ihre Grundschule nicht mangels Schüler*innen schließen müssen, und die Orkney-Inselverwaltung und der schottische Staat gewähren einiges an Mitteln und Vergünstigungen, um Leute vom Festland zum Beispiel als Lehrer*in oder medizinische Fachkraft auf die Insel zu locken.

Eine ganze Woche haben wir nun in einem Cottage direkt unter dem Leuchtturm verbracht, in dem in früheren Zeiten die Wärter mit ihren Familien wohnten. Es war einsam, anfangs ziemlich windig bei Temperaturen von 8, 9 oder 10 Grad tags wie nachts, es regnete aber kaum und wurde in den letzten Tagen auch längere Zeit sonnig, wodurch man an windgeschützter Stelle schon kurze Zeit im T-Shirt sitzen konnte. (Eine Bewohnerin erzählte allerdings, dass es für die Landwirtschaft derzeit insgesamt zu wenig regnen würde; selbst Inseln im Nordatlantik sind offenbar nicht mehr davor gefeit.) Die Sicht wurde Ende der Woche so klar, dass man nicht nur die orkadischen Nachbarinseln, sondern sogar die 40 Kilometer enfernte Fair Isle sehen konnte. Leider blieb unser Cottage permanent fußkalt; wir waren froh, dass man seitens des Inselrats, dem die Cottages gehören, wenigstens Heizlüfter in den Räumen aufgestellt hatte. Das warme Wasser reichte auch nicht für ein echtes Bad. Zugleich sind die Zimmer gemütlich eingerichtet und die Küche vollständig. Sagen wir so: Es war eine außergewöhnliche und schöne Unterkunft, aber wir freuen uns schon auch auf die nächste.

Insgesamt eine sehr eindrückliche Woche, in der wir jeden Tag mit unseren Mietfahrrädern unterwegs waren, die verschiedenen Ecken der Insel besuchten, an steinigen wie auch südseehaft-weißsandigen Stränden liefen, Vögel, Schafe und Kaninchen zählten, den Leuchtturm bestiegen und uns vom letzten echten Wärter über dessen Geschichte erzählen ließen, die Möwe aus den wenigen im Shop verfügbaren Zutaten leckeres Essen zauberte, wir viel über das Leben und die Traditionen einer solchen Insel nachdachten und zwischendurch immer wieder einfach nur den Blick über das Meer schweifen ließen, nicht ohne insgeheim (vergeblich) auf vorbeiziehende Orkas oder Delphine zu hoffen. Und es war nicht verkehrt, sich in einer solchen Umgebung mal geballt mit seiner eigenen Unruhe konfrontiert zu sehen.

Die Vögel

North Ronaldsay ist aufgrund seiner exponierten Lage im Nordatlantik ein Hotspot seltener Vogelarten. Dort rasten nicht nur sämtliche arktischen Arten auf ihrem Herbst- oder Frühjahrszug, sondern es verweht auch immer wieder je nach Sturmrichtung asiatische oder amerikanische Vögel dorthin. Von den Raritäten haben wir – vielleicht im Gegensatz zu den Birdern, die die Insel täglich mit Ferngläsern ablaufen – zwar keine gesehen, aber dafür jede Menge der einheimischen. So wie die junge Rabenfamilie, die an jedem Tag woanders auftauchte, die Schmarotzerraubmöwe, die die Strände entlangstrich (stets unter Protest anwesender Seeschwalben oder Austernfischer), die Steinschmätzer, von denen man selten mehr als ihr weiß aufleuchtendes Schwanzfederband sah, weil sie immer sofort wegflogen, die permanent dramatisch trillernden Austernfischer, die blubbernden Brachvögel, die gutmütigen Eissturmvögel, die hier erstaunlicherweise nicht auf Felsen sondern auf dem Boden vorm Schafdeich brüten, die flötenden Sandregenpfeifer, Schwärme von herumwuselnden Steinwälzern im Tang, die kriekenden Küstenseeschwalben, die auf den Brachflächen brüten und im flachen Wasser nach kleinen Fischen stoßtauchen, viele andere Arten auch noch und nicht zu vergessen die Unmengen Stare, die in den Spalten der Trockenmauern ideale Nisthöhlen finden. (Puh, das waren viele Adjektive.)

Die Kaninchen

Die eigentlichen Herr*innen der Insel sind die Kaninchen. Ich habe noch nie so viele gesehen. Man kann nirgends stehen, ohne dass welche im Augenwinkel herumhoppeln, zu dieser Jahreszeit auch viele kleine. Ich blieb einmal stehen und zählte mit Fernglas alleine auf einem ca. 50×50 Meter großen Wiesenstück 85, auf der ganzen Insel sind es vermutlich tausende. Einmal saß sogar eines auf dem blanken Felsen an der Küste. Unglaublich.

Die Schafe

North-Ronaldsay-Schafe sind eine eigene Rasse, die schon seit Jahrtausenden auf der Insel lebt. Sehr klein, sehr robust, mit kleinen Hörnern und besonderer Wolle in allen möglichen Farben. Seit die Bewohner*innen sie im 19. Jahrhundert mit einer rundum laufenden Mauer an den Küstenstreifen verbannten, um das fruchtbare Inselinnere den ertragreicheren Rindern vorzubehalten, haben sie ihre Ernährung stark auf Seetang umgestellt. Damit einhergegangen ist sogar eine genetische Umstellung; sie dürfen mittlerweile nicht mehr allzuviel Gras fressen, weil sie dann eine Kupfervergiftung bekämen. (Die Kupferarmut des Tangs haben sie wohl durch eine extrem effiziente Verwertung kompensiert.) Lediglich Lämmer und ihre Mütter dürfen einige Zeit auf saftigen Wiesen verbringen. Ansonsten sieht man die Schafe tatsächlich stets an der Küste. Oder im Garten hinter unserem Cottage. Oder im Sonnenuntergang auf einem Steinwall am Meer (Herzchenaugenemoji).

Auszeit, die letzten Tage auf Orkney Mainland

Am folgenden Tag ging es auf die zweitgrößte Orkney-Insel Hoy, auf die wir täglich aus unserer Unterkunft blickten. Und wir hatten Glück – die Fähren muss man früh buchen, da sie nur wenige Autos mitnehmen können, und zu dem Zeitpunkt war alles andere als absehbar, dass wir einen Tag mit ausreichend schönem und nicht übermäßig windigem Wetter erwischen würden, um die Wanderung entlang der Steilküste zum Old Man of Hoy machen zu können. Der Old Man ist ein 137 Meter hoher Fels, quasi Helgolands Lange Anna mal drei, und stand schon seit unserem Urlaub vor vier Jahren auf der Liste der Dinge, die wir unbedingt sehen wollten.

Die Insel ist mit ihren fast 500 Meter hohen Hügeln, ausgedehnten Mooren und nur 400 Bewohnern sehr anders als alle anderen Orkney-Inseln: rau, bergig, einsam, karg und oft in Wolken gehüllt, insgesamt mehr Island als Schottland. Auf der Straße zum Ausgangspunkt der Wanderung kamen wir an Bettie Corrigalls Grab vorbei. Eine junge Frau, die sich um 1770 das Leben nahm, weil sie die Schande nicht ertrug, nachdem sich der Vater ihres unehelichen Kindes aus dem Staub gemacht hatte. Aufgrund des Selbstmords wurde ihr kirchlicherseits eine Bestattung in den Gemeindegrenzen verwehrt, weswegen sie draußen im Moor vergraben wurde. Im 20. Jahrhundert stieß man beim Torfabstechen auf ihren im Sarg völlig erhalten gebliebenen Leichnam und vergrub ihn wieder und stieß Jahre später wieder darauf, bis ihr schließlich ein eigens gekennzeichnetes Grab gegeben wurde, auf dem seit 1976 ein Stein mit minimaler Inschrift („Here lies Bettie Corrigall“) an sie erinnert. Immer noch mitten im Nichts. Was für eine bittere Geschichte.

Wir waren früh auf dem Wanderweg zum Old Man und hatten den Hinweg praktisch für uns alleine. Eine beeindruckende Landschaft, nur Felsen, Heide und Moor, abgesehen von wenigen Skuas und Schwarzkehlchen praktisch unbelebt. Der immer noch sehr starke Wind hielt uns davon ab, für bessere Fotos allzu nahe an den Rand der weit über hundert Meter hohen Klippen zu gehen. Der Ausflug hatte uns mit anstrengendem Weg, sehr viel Wind und Sonne ganz schön müde gemacht, weswegen wir den folgenden Tag herumschlumpfend zuhause verbrachten, bis auf das Highlight eines abendlichen (bislang einzigen) Restaurantbesuchs.

Am Wochenende fand im Ort das jährliche Orkney Folk Festival statt; vier Tage mit jeder Menge Konzerten und Livemusik (leider praktisch kaum auf der Straße), in denen das verschlafene Städtchen ungeahnt quirlig wurde. Einen Auftritt mehrerer Songwriter in der Townhall haben wir besucht und auch den nachmittäglichen Aufmarsch der zwei Dudelsack-Kapellen der Insel, die wirklich gut spielten. Den Sonntag verbrachten wir mit einem Spaziergang durch Kirkwall und dem Besuch des Orkney-Museums, dann hieß es aufräumen und für die nächste Etappe der Reise packen.

Auszeit, die nächsten zehn Tage

Mittlerweile sind wir den 22. Tag auf Orkney. Das Wetter hat sich grundlegend geändert, es kam deutlich häufiger die Sonne raus, teilweise auch für längere Zeit, und anhaltender Regen oder kräftiger Wind wurden zur Ausnahme. Fast jeden Tag haben wir etwas unternommen, sind an schon bekannten oder neuen Stellen gelaufen oder haben für uns noch unbekannte Orte besichtigt und fotografiert, so dass sich die Speicherkarten der Kameras fast schneller füllten als ich Fotos aussortieren oder bearbeiten konnte. Nach wie vor ist mein Gehirn in seiner Tiktokstakkatogedankenwelt (Buddenbohm) gefangen und an meinem Grundzustand, wenig mentale Energie für alles und kaum etwas zu erzählen zu haben, hat sich wenig geändert. Ich hoffe sehr, auch hier tritt irgendwann Erholung ein.

Landschaft und Meer, Geschichte, Tierwelt, ständig wechselndes Wetter, Licht und Farben – die Möglichkeiten draußen zu sein, zu laufen und immer andere Eindrücke aufzunehmen sind praktisch endlos. (Auch ganz konkret durch das schottische Jedermannsrecht.) Und selbst wenn man mit Orkney Mainland jemals fertig würde, wären immer noch die ganzen anderen Inseln übrig. So pickt man sich jeden Tag nach Wetter, Lust und Energie etwas anderes heraus und es ist schön. Unser ursprüngliches Ziel, jeden Tag mindestens eine halbe Stunde draußen zu sein, haben wir jedenfalls längst um ein Vielfaches übererfüllt.

Ein Küstenrundweg im Sonnenschein vorbei an Schafweiden und einem kleinen Wäldchen. Ein idyllischer Garten entlang eines Bachs, den sich ein Grundbesitzer im letzten Jahrhundert angelegt hatte und der jetzt von einer Initiative weitergepflegt wird, voller niedriger Bäume, unter denen Teppiche von Osterglocken und Blue Bells leuchten. Eine Landspitze im Süden, von der man aus das schottische Festland sieht und an der noch jede Menge Geschützstationen aus den Weltkriegen im Fels gebaut stehen (Wale und Delfine konnten wir von hier aus leider nicht sehen, kommen aber wohl oft vorbei). Die Gezeiteninsel Brough of Birsay (aus unerfindlichen Gründen die meistbesuchte Attraktion, von den neolithischen Monumenten abgesehen), an denen die Eissturmvögel und Skuas an den Klippen segeln und Uferschwalben in der Sandabbruchkante nisten.

Ein wunderbar entschleunigter Tag auf der Insel Stronsay, wo wir uns mit vielleicht 8 Touristen auf vielen Kilometern Insel, spektakulären Küstenfelsen und weißen Strandbuchten verteilten. Der Aufstieg und Blick vom Hügel unseres Orts auf Stadt, Bucht und Berge der Nachbarinsel.

Der Besuch einer kleinen Farm mit wunderschönem Garten, die vom 16. Jahrhundert bis in die 1960er Jahre bewohnt war und so belassen wurde. Eine tatsächlich noch rein mechanisch und traditionell genutzte Wassermühle, auf der im Winter Bere Barley gemahlen wird (eine alte Gerstenart, die tatsächlich schon in der Steinzeit auf der Insel angebaut wurde) und im Sommer kleine Besuchergruppen herumgeführt werden, samt Anlaufenlassen des Wasserrads und der Getriebe.

Spaziergänge durch die Hauptstadt Kirkwall und ihrer kleinen Geschäfte. Ein Sonnenuntergang an den neolithischen Standing Stones, an denen sonst tagsüber die Kreuzfahrttouristen busweise herumstapfen. Das war noch lange nicht alles, und ich merke erst jetzt beim Aufschreiben, wie viel wir allein in den letzten zehn Tagen unternommen haben, obwohl wir gefühlt die meiste Zeit gechillt zuhause saßen, immer wieder mit Blick aufs Meer und die Berge draußen.

Die letzte Woche auf Mainland ist angebrochen, vor uns liegen ein Wanderausflug auf eine Nachbarinsel, ein Abendessen im Restaurant (bislang haben wir uns praktisch nur selbst bekocht) und das lokale Folk Festival, auf dem wir eines der vielen Konzerte besuchen werden. Danach geht es weiter mit einer ganzen Woche auf der abgelegensten und kleinsten bewohnten Orkney-Inseln, wo uns noch weniger davon ablenken kann, einfach nur zu sein.

(Für die Tiere folgt ein eigener Eintrag.)