Nach dem Frühstück zwei Brötchen mehr geschmiert, zum Mitnehmen in den Rucksack gepackt, und in der Morgensonne eine Stunde ins Tal nach gewandert, um wieder die Messe im Dom zu besuchen. Diesmal wurde eine ehemals christlich-orthodoxe junge Familie aus Syrien in die Gemeinde aufgenommen, das heißt, sie ist konvertiert. Dazu reichte ein mündliches Bekenntnis zum Katholizismus (andere Sakramente wie die Taufe sind ja bereits anerkannt). Habe ich auch zum ersten Mal miterlebt.
Nach der Messe mit Bus – Bummelbahn – Bus (hervorragend stündlich getaktet, auch am Sonntag) am Schluchsee vorbei zum Feldberg. Die Restpisten nur noch spärlich von ein paar Eltern mit ihren Kindern befahren, und auch sonst nur ruhiger Saisonende-Betrieb. Steil durch den Wald hinab gelaufen, teils durch breite Schmelzwasserbäche, teils auf 30-40 cm dicken, angeeisten Schneeflächen eiernd hinunter zum Feldsee, der noch zum größten Teil mit Eis bedeckt ist. In der Sonne sitzen ein paar Pärchen, ansonsten kaum jemand unterwegs. Nach einer Pause auf einem anderen, längeren Weg wieder hinauf. Nichts zu hören außer Vögeln und dem Rauschen, Plätschern und Tropfen des Schmelzwassers überall.
Mit dem Bus zurück zur Bahnstation, dort wegen reichlich Zeit draußen in einem Café gesessen, Cappuccino und ein köstliches Stück hausgemachter Schwarzwälder Kirschtorte genossen. Am Modelleisenbahn-Bahnhof (die ganze Gegend sieht aus wie die Modelleisenbahnlandschaft schlechthin) auf dem Bahnsteig Richtung Freiburg stehen Snowboard-Jungs, Wandererpärchen mittleren und älteren Jahrgangs, Familien mit sonnenmüden Kindern. In der Gegenrichtung steige nur ich zu. Zurück nach Seebrugg, dann mit dem Bus bis ins Tal unterhalb unseres Orts, von dort aus zu Fuß nochmal die letzten zwei Kilometer den Berg hoch.
Einen ganzen Tag unterwegs, ganz für mich, voller Sonne und Luft, trotz schmerzender Waden insgesamt 13 Kilometer und mehrere hundert Höhenmeter überwunden, so viel wie seit Ewigkeiten nicht mehr gelaufen, sitze ich jetzt hier, ein bisschen glücklich, mit angenehm schwerem Körper und Farbe im Gesicht, während draußen langsam die Sonne untergeht.
In den vergangenen Tagen sind mir jede Menge lesenswerte Beiträge vor die Füße gelaufen.
Die amerikanische Feministin Ijeoma Oluo mit einer flammenden Aufforderung an Weiße, sich endlich ihres eigenen Weiß-Seins und der damit verbundenen Kultur und Geschichte bewusst zu werden. Denn ein Hauptproblem weißer Kultur ist, dass sie sich selbst als so normal betrachtet, dass sie für Weiße nicht einmal als solche sichbar ist, und damit auch der Rassismus aus ihrer Wahrnehmung verschwindet.
Find yourselves white people. Find yourselves so that you can know what whiteness is. Find yourselves so that you can determine what you want whiteness to be. Find yourselves so that you can stop your loved ones from voting for a definition of whiteness that you no longer want to subscribe to. Find yourselves so that racism no longer surprises you.
So wie es Antisemitismus von links gibt, gibt es auch Rassismus von links. Wobei Rassismus möglicherweise ein zu starkes Wort ist. Es geht eher um paternalistischen Dünkel. Um die sehr klare Vorstellung davon, wie eine Person mit Migrationshintergrund zu sein hat und welche Rollen ihr zustehen. Und um die ebenso klare Vorstellung, wie über Personen mit Migrationshintergrund geredet und geschrieben werden soll, wie diese in Filmen, Zeitungen und Büchern dargestellt gehören (wichtigste Regel: keine Witze, nichts Negatives). Im Zentrum dieser Vorstellung steht der Migrant als Opfer – als bedürftiges Wesen, dem es die Hand zu reichen gilt und der diese Hand doch bitte dankbar ergreifen möge.
Wehe aber, der Migrant weigert sich, den ihm zugeschriebenen Part zu übernehmen. Dann werden die besonders Rigorosen unter den Ausländerfreunden rasch aggressiv. Das habe ich bei eigenen Texten erlebt, die sich dem Opfernarrativ verweigerten, das erfahren derzeit deutschsprachige Autorinnen und Autoren mit muslimischem Hintergrund, die sich kritisch mit dem Islam auseinandersetzen und die hier lebenden Muslime für ihr Handeln und Sprechen in die Verantwortung nehmen, statt sie zu willenlosen Statisten und Opfern der Umstände zu degradieren.
Ein kleines Diagramm rassistischer Haltungen und Politiken, die nicht immer so offensichtlich wie N-Witze daherkommen.
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Auch in der vergangenen Woche kam man an Trump natürlich nicht vorbei, und weil sein autokratischer Regierungsstil grundlegende Fragen zu Demokratie, Staatsmacht und Minderheitenschutz berührt, wird sich das wohl auch nicht so bald ändern. So wenig die Person Trump selbst für Europa relevant genug sein mag, um sich ständig mit ihr zu beschäftigen, so sehr sind es doch die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen, für die er steht. Zum Beispiel halte ich den Rassismus, der sich z. B. im amerikanischen Justizsystem und dem Umgang mit Einwanderern und Flüchtlingen ausdrückt, alles andere als nur ein „interkulturelles Problem der USA“, wie man in deutschen Leitartikeln lesen darf, sondern als Symptome und Auswüchse von Haltungen und gesellschaftlicher Ordnung, wie sie im weißen Europa genauso existieren. Siehe oben.
Trumps Regierung ist nicht die Erste, die Minderheiten zu Sündenböcken macht, die Gewaltenteilung missachtet oder lügt. Sarah Kendzior in wütenden Worten:
But as Lincoln’s letter reminds us, this has always been America. We have always vacillated between lofty precepts on paper and the refusal of white men to apply them in practice. This refusal has resulted in slavery of African Americans, genocide against Native Americans, internment camps for ethnic minorities. It has also systematically denied most of the population the right to vote over most of our history, rationalized discrimination against and banning of immigrants on racial and ethnic lines, and shored up segregation and Jim Crow. Today, this same white male authoritarian outlook fuels a prison and police system that disproportionately targets non-white citizens.
Ein ruhiger Artikel im Atlantic listet ebenfalls auf, wie auch schon vergangene U.S.-Regierungen die Öffentlichkeit belogen, das Parlament umgangen oder das Justizsystem missachtet hatten und fährt fort:
Authoritarianism lies not in any individual presidential action but in the patterns of action that emerge over the course of a presidency. Lincoln and Eisenhower and all the others I’ve just named were committed small-d democrats. Their excesses were exceptional or occasional. Unlike Nixon, they did not engage in concerted efforts to undermine the integrity of the Constitution or the government. Moreover, and more important, when excesses did happen, the rest of the system usually pushed back, usually successfully. Whether any particular presidential action, or pattern of action, is authoritarian thus depends not just on the action itself but on how everyone else responds to it.
So betrachtet der Autor bei allem Ernst der Lage mit verhaltenem Optimismus, wie sich spätestens seit Nixon jede Menge zivile Strukturen gebildet haben, um amerikanischen Regierungen auf die Finger zu schauen und zuweilen auch in die Schranken zu weisen:
Nixon’s gift to American democracy was to inadvertently establish the infrastructure that will contain Trump. The harder he pushes to stretch or violate the law, the more he’ll be swarmed. As a result, where Nixon-style illegality or naked power grabs are concerned, I’m optimistic that the constitutional framework will hold.
Wo wir bei Trump sind, diese beiden Karikaturen zur vermuteten Abhängigkeit Trumps von seinem Berater Bannon sind einfach zu großartig: eins / zwei.
(Leider konnte ich die jeweiligen Urheber nicht finden.)
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Etwas ganz anderes: Kriminalistik. Da haben wir zunächst den Bericht über einen Mann, der unentdeckten Serienverbrechen mit Hilfe von Statistik-Software auf den Pelz rückt. Was die verantwortlichen Polizeidirektionen offenbar nicht immer so toll finden.
In 2004, Hargrove’s editors asked him to look into statistics surrounding prostitution. The only way to study that was to get a copy of the nation’s most comprehensive repository of criminal statistics: the FBI’s Uniform Crime Report, or UCR. When Hargrove called up a copy of the report from the database library at the University of Missouri, attached to it was something he didn’t expect: the Supplementary Homicide Report. “I opened it up, and it was a record I’d never seen before,” he says. “Line by line, every murder that was reported to the FBI.”
This report, covering the year 2002, contained about 16,000 murders, broken down by the victims’ age, race, and sex, as well as the method of killing, the police department that made the report, the circumstances known about the case, and information about the offender, if the offender was known. “I don’t know where these thoughts come from,” Hargrove says, “but the second I saw that thing, I asked myself, ‘Do you suppose it’s possible to teach a computer how to spot serial killers?’ ”
Und dann der Fall russischer Banden, die das „pseudo-“ in „pseudo-Zufallszahl“ für sich zu nutzen wussten und mit einer raffinierten Kombination aus Labor-Dauertests, unauffälligen Spielern und einer eigens programmierten App erfolgreich in die Lage kamen, die Ergebnisse bestimmter Glücksspielautomaten vorherzusagen. Sehr spannend.
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Wie man mit einer kleinen, nichts kostenden Entschuldigung eine Streitsituation entschärft: Deeskalation.
Zum Abschluss ein Video fürs Herz. Könnte man sich vor Augen halten, wenn man gerade wieder dabei ist, Menschen in getrennte Schubladen zu sortieren, ob nun Land- vs. Stadtbevölkerung, soziale Schicht oder was auch immer:
Nachdem ich über Monate hinweg alle CDs digitalisiert hatte und unser Platz für Bücher spätestens seit Weihnachten endgültig nicht mehr reicht, habe ich jetzt über 700 CDs in Plastikboxen verstaut, die CD-Regale entfernt, und an Stelle der 4 Bennos ein passgenaues Billy-Regal gestellt, das bislang im Keller vor sich hin staubte. Gestern Abend sortierte ich die Bücher aus insgesamt 2,80 m Regal neu, weil ohnehin alles Kraut und Rüben war, und verteilte sie auf den neu gewonnenen Platz.
Tja. Goodbye CDs! Ich glaube, ich werde sie nicht vermissen. Genauso wenig wie: Hallo Rückenschmerzen, ihr alten Saftsäcke! (Ich fürchte, der alte Saftsack bin ich inzwischen selbst, rein fitnessmäßig.)
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Heute abwechselnd Schnee und Sonne, und im Garten feierten plötzlich alle möglichen Vögel Party, die sich vergangenen Sonntag zur Zählung komplett verdrückt hatten. Ganz besonders schön waren die Besuche von Eichelhäher und Grünspecht, wobei der Specht überhaupt kein Problem damit hatte, nur 3 Meter von uns entfernt im Wiesenboden nach Insekten zu wühlen. Was für ein schönes Viech. Und der Bussard war auch mal zu sehen, wenn auch immer noch zu weit weg für mein Tele. (Bitte das Fotobombing des Hähers beachten.)
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Zum Abend zwei Forellen gebraten (zuvor mit einer Mischung aus Olivenöl, Thymian und Zitronenschale eingepinselt), dazu gab’s einen Spinat-Kartoffel-Auflauf, angelehnt an das Rezept von Paprika Meets Kardamom, d.h. mit Knoblauch und getrockneten Tomaten, mit denen wir auch sonst gerne frischen Blattspinat verfeinern.
Kennt ihr eigentlich die Rezeptsuche in deutschsprachigen Foodblogs? Seit Jahren unsere erste Anlaufstelle um herauszufinden, was wir mit den eingekauften Zutaten so kochen werden, so wie heute. Auch wenn leider noch ein paar gern gelesene Blogs fehlen.