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9.03. – Frühling, Bewerbung und Pfarrgemeinderat

Auf Anhieb in den Pfarrgemeinderat gewählt worden, als neunter von 12 Mitgliedern (bei 18 KandidatInnen). Ganz schön fürs Ego. Jetzt bin ich gespannt, was das bedeutet, wieviel Aufwand es sein wird, und was ich dort überhaupt beitragen kann. Ein Effekt ist schon jetzt, dass die Möwe und ich stärker Teil der Gemeinde sind und öfter dort. Nach Jahren des eher unverbindlichen Nur-Wohnens im Stadtteil ganz schön, ein paar kleine Wurzeln zu schlagen.

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Nachdem monatelang kein einziger zu sehen war, sitzt nun regelmäßig wieder der Hase aus dem letzten Eintrag auf der Wiese beim Haus. Mal in der Sonne bei minus 12 Grad, mal im Schnee… Ich stelle mir zumindest vor, dass es der/die gleiche ist. Angesichts der vielen Hasen, die mir inzwischen morgens beim Laufen begegnen, allerdings eher unwahrscheinlich.

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Mit das Schönste an den Morgenrunden – neben der Bewegung an sich – ist, die wöchentliche Veränderung der Jahreszeiten wahrnehmen zu können. Nicht mehr im Dunklen loslaufen, mit weniger Schichten Kleidung, die Gewächshäuser schon wieder voller Pflänzchen und Blumen (und Mitarbeiter), und von einer Woche auf die andere ist die Luft wieder voller Feldlerchentriller und Kiebitzrufe. Es geht aufwärts.

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Auch auf der Arbeit gibt es mindestens gute Aussichten. Die Stelle, auf die ich mich Anfang November schon beworben und mittlerweile abgeschrieben hatte (keine Reaktion) scheint vielleicht doch noch mal aktuell zu werden. Hinzu ist noch eine zweite, deutlich konkretere gekommen, für die ich mich Dienstag in mehreren Gesprächen (ich nenne es Casting) parallel mit noch 2-3 anderen vorstellen werde. Da ich inzwischen an allen Ecken und Enden nur noch die Defizite sehen kann, die mir die – theoretisch eigentlich beste Aufgabe der Welt – vermiesen, wird es wirklich Zeit für etwas Neues. Drückt mir die Daumen.

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Eine lesenswerte Liste, nicht nur anlässlich des Weltfrauentags: 100 Easy Ways to Make Women’s Lives More Bearable (an Männer gerichet)

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Heute den freien Tag genutzt, um mal wieder ein bisschen rauszugehen und Vögel zu beobachten und zu einem Naturschutzgebiet nahe Schweinfurt gefahren. Den Aussichtsturm nach 10 Minuten wieder verlassen, weil die bereits anwesenden Vogelfans älteren Semesters ununterbrochen laut quatschen mussten und ich zudem keinen Bock auf ihre eifernde Agressivität hatte, mit der sie sich über Störenfriede im Naturschutzgebiet ausließen. Ich wollte einzig den Sound der Weiher und der Vögel hören und lief daher lieber ein paar Stunden drumherum. Da die Ufer noch nicht wieder zugewachsen sind, konnte man sie mit Fernglas ganz schön beobachten: Haubentaucher, alle möglichen Entenarten, Schwäne, Reiher, Kormorane, dazu auf den Wiesen drumherum Wacholderdrosseln, Eichelhäher, Stare und ein Bussard… wunderbar. Selbst das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld nebenan konnte kein Wässerchen trüben.

13.02. – Heimat, Freundin, Licht

Die Futterspender an der Terrasse werden endlich zaghaft angenommen. Blaumeisen picken an den Erdnüssen, Kohlmeisen schnappen sich die Sonnenblumenkerne. Manchmal lässt sich ein Rotkehlchen blicken. Die Krawallspatzengang hat die Spender noch nicht entdeckt, aber das ist okay, sie würden doch nur in Teamarbeit alles binnen Stunden leeren und die schüchternen Meisen vertreiben.

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Ich hatte auf Twitter kurz etwas auf dem Thema herumgedacht, als bekannt wurde, dass das neue Bundesinnenministerium „um den Bereich ‚Heimat‘ aufgewertet“ werden sollte. Auch wenn ich ihm im Ton nicht zustimme, einige meiner Ansichten dazu habe ich im Artikel in der Zeit wiedergefunden. Ein wenig hin- und hergerissen bin ich allerdings schon, inwieweit man den Begriff den Rechtspopulisten überlassen sollte – weil er einen gedanklichen Rahmen vorgibt, innerhalb dessen vermutlich wenig Konstruktives entstehen kann – oder vielleicht doch mit einem Gegenentwurf füllen sollte, der Vielfalt und friedliches Miteinander verschiedenster Menschen und Herkünfte beinhaltet. Und im Kontrast dazu: Warum so manchen diese Diskussion um den Heimatbegriff eher nervt, hat Donnerbella gut geradegerückt (Thread).

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Der Jüngste, im Herbst 18 Jahre geworden, hat am Samstag erstmals seine Freundin mitgebracht. Ruhig, zurückhaltend, aber selbstbewusst und weiß, was sie will. Und herzlich. Und sehr jung, noch keine 17. Seit anderthalb Jahren sind sie jetzt schon zusammen (ich erfuhr davon durch ein geändertes Profilbild auf Whatsapp – modern times), und es war zu spüren, dass die beiden sich gut tun. Ein wenig erklärt sich mir jetzt, woher er die Kraft nimmt, so verantwortungsvoll und ausgleichend zuhause mit seiner Mutter, meinem Großen und dem kleinen Brüderchen (nicht mein Sohn) umzugehen und bei allem trotzdem sein Ding zu machen. Jetzt setzt er gerade sehr viel Ehrgeiz in die demnächst beginnenden Abiturprüfungen. Ich bin ganz schön stolz (und besorgt, dass er sich zuviel auflädt).

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Seit einigen Tagen huht wieder ein (das gleiche?) Waldohreulenmännchen in unmittelbarer Nähe des Hauses, Juchu! Bald beginnt wohl die Balz- und Nistzeit. Ob es wieder so bezaubernden Nachwuchs geben wird?

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Dazu werde ich irgendwann mal einen eigenen Blogeintrag schreiben. Weil ich das Gleiche denke, auf diese Weise so viel lerne und den Sinn dahinter für völlig offensichtlich halte, was aber offenbar alles andere als der Fall ist:

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Mitten am Tag erst Sonne, dann stockduster, Schneetreiben und kaum Sicht, dann wieder ungetrübter, blauer Himmel, im Halbstundentakt. Schön.

Büroaussichten

Die Abende später dunkel, auch die Morgenrunden werden wieder heller. Man muss wegen der Glätte etwas aufpassen, aber wenn kein Wind weht, läuft es sich auch bei Minusgraden schön über die bereiften oder leicht beschneiten Felder.

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In inzwischen schöner Tradition hat die Möwe Bullebäuskes gebacken. Kann man auch ohne anderweitigen Karneval / Fasching drumherum genießen. Ein Traum.

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Morgenhase bei Minusgraden und aufgehender Sonne

31.01. – Akzeptanz gegen Dankbarkeit

Im Guardian schreibt eine Amerikanerin, die als Kind aus dem Iran geflohen war, in einem langen Text eindrücklich über das, was in deutschen Debatten wohl meist mit Integration gemeint ist: Die Erwartung lebenslanger Dankbarkeit, im Aufnahmeland existieren zu dürfen, Herabstufungen klaglos zu ertragen und seine vorherige Identität abzulegen.

But there were unspoken conditions to our acceptance, and that was the secret we were meant to glean on our own: we had to be grateful. The hate wasn’t about being darker, or from elsewhere. It was about being those things and daring to be unaware of it. As refugees, we owed them our previous identity. We had to lay it at their door like an offering, and gleefully deny it to earn our place in this new country. […]

Month after month, my mother was asked to give her testimony in churches and women’s groups, at schools and even at dinners. […] The problem, of course, was that they wanted our salvation story as a talisman, no more. No one ever asked what our house in Iran looked like, what fruits we grew in our yard, what books we read, what music we loved and what it felt like now not to understand any of the songs on the radio. No one asked if we missed our cousins or grandparents or best friends. No one asked what we did in summers or if we had any photos of the Caspian Sea. “Men treat women horribly there, don’t they?” the women would ask. Somehow it didn’t feel OK to tell them about my funny dad with his pockets full of sour cherries, or my grandpa who removed his false teeth when he told ghost stories.

Such memories, of course, would imply the unthinkable: that Iran was as beautiful, as fun, as energising and romantic, as Oklahoma or Montana or New York.

(Dina Nayeri, „The ungrateful refugee”)

30.1.2018 – Büro, Morgenrunde, Symbolfotos und Rossi

Den allergrößten Stress der vergangenen Wochen im Büro erst einmal hinter mich gebracht, die Projektphase erfolgreich beendet samt Tests und Dokumentation, bei durch Krankheiten und neuer Aufgabenverteilung stark reduziertem Team. Gekrönt wurde das Ganze am Freitag von der mehrstündigen Abschlusspräsentation vor dem Management als verantwortlicher Produktmanager, dazu am selben Tag ein Update zu einem schwierigen anderen Projekt vorgestellt, wofür wir auch erst einmal wieder das Okay bekommen haben, weiterzumachen. Das war alles sehr anstrengend, aber von der Sorte Anstrengung, bei der einen weniger emotionaler Mist belastet, sondern einfach nur viel zu tun ist, was aber Hand in Hand mit den anderen Kolleg_Innen durchaus Spaß machen kann.

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Habe mich überreden lassen, für den Pfarrgemeinderat unserer Pfarrei zu kandidieren. Wahl ist Ende Februar, mal sehen, ob ich als immer noch relativer Neuling im Viertel gewählt werde. Und wenn ja, was ich dort bewegen kann. Mein Schwerpunkt wäre wie bisher am ehesten Liturgie und Gottesdienstgestaltung, nur dann in offiziellerer Funktion. Darüber hinaus wird das vermutlich der letzte Pfarrgemeinderat dieser Gemeinde sein – in den kommenden Jahren sollen alle katholischen Pfarreien der Stadt zu einer einzigen (mit verschiedenen Stadtteilkirchen) zusammengefasst werden. Für diesen Übergang in eine andere Gemeindeform gibt es sicher viel nachzudenken und zu gestalten.

Viel zu früh wach gewesen, daher schon um viertel nach sechs zur Morgenrunde aufgerafft. Über den Feldern Sternenhimmel, im Westen ein absurd großer, orangefarbener Vollmonduntergang, dazu große, abgegrenzte Wolkenbänder von Nordwest nach Südost, von unten weiß über orange bis rot von Stadt und Gewächshäusern angestrahlt vor dem blauschwarzen Himmel leuchtend, nach oben hin immer dunkelgrauer werdend, was für ein unglaublich kitschiger, atemberaubend schöner Himmel.

https://twitter.com/giardino/status/958222359244296192

Den Rest des Tages in jeder Minute das Sonnenlicht aufgesaugt, wer weiß, wie lange die nächste Wolkendecke hängen bleibt.

Bilder über seelische Krankheiten – ein Aspekt einer Entwicklung, die ich schon seit langem kritisiere: Symbolbilder zu sensiblen oder kritischen Themen sind häufig schlicht daneben und schaffen eine gefährlich unbewusste Einordnung von Nachrichten und Artikeln. Nicht nur bei psychischen Krankheiten. Mit zusammengekauerten Frauen im Halbdunkel werden z. B. auch gerne Beiträge über häusliche Gewalt illustriert. Klar, so stellt man sich (zumal weibliche) Opfer von Gewalt gemeinhin vor: sprachlos, passiv, gebrochen. Wehe, sie treten dann ganz anders auf, z. B. selbstbewusst und stark wie Natascha Kampusch, schon sprechen ihnen viele ihre Glaubwürdigkeit ab. Das ist nicht primär die Schuld von Symbolbildern dieser Art, aber sie zementieren durchaus die Stereotype von Opfer- und Täterschaft.

Oder ein aggressiv dem Betrachter entgegengestrecktes Messer als Bild zu einer Messerstecherei, und dann liest man in der dazugehörigen Polizeimeldung, dass jemand einen Bekannten verprügelt hat, der sich irgendwann mit einem Messer verteidigte, was so gar nicht mehr zum dargestellten „fremden Gangster mit Messer“ passt.

Ich befürchte, die Klickstatistiken sind eindeutig: Nur-Text-Teaser werden sicher viel weniger aufgerufen als solche, die von einem emotional aufgeladenen Symbolbild begleitet werden. Immerhin scheint man inzwischen in manchen Redaktionen zumindest bei Verbrechensnachrichten zu einem inhaltlich neutralen „Polizei“-Symbolbild zu greifen. Ich möchte gerne glauben, dass das aus inhaltlicher Einsicht geschieht.

Bei manchen Themen ist die teilweise offene Lächerlichkeit von Symbolbildern schon legendär, ob lachende Frauen mit Salat, oder der böse Hacker im Kapuzenpulli mit Maske und Handschuhen am Laptop, oder einfach alles, was der extrem unterhaltsame Twitteraccount @darkstockphotos ausgräbt. Aber man sollte meines Erachtens auch jenseits von Verbrechen bewusster wahrnehmen, wie Symbolbilder unsere Perspektive auf Vorkommnisse und Menschen beeinflussen. (Und seitens Redaktionen auf stereotype Darstellungen hoffentlich ganz verzichten.)

Dass Realnamenzwang im Internet problematisch ist, ist ja nichts neues. Aber in der Wissenschaft setzt sich auch die Erkenntnis durch, dass er nicht nur wenig bringt, sondern sogar gegensätzlich wirkt – zumindest, wenn man tatsächlich meint, Hassrede und Trollerei dadurch eindämmen zu können. (Darüber hinaus mögen Organisationen oder Internetkonzerne natürlich noch weitere Motive für Realnamen haben, über die sie nicht immer gerne sprechen, z. B. eine plattformübergreifende Zuordnung von Accounts zu Menschen aus Gründen des Targetings für Werbekunden.)

Im Vokalensemble erarbeiten wir uns gerade Michelangelo Rossi. Mit welchem Spaß der Komponist die Stimmen in ständige Tonartwechsel und Dissonanzen wirft! Herrlich zu singen. Und schwer vorstellbar, dass diese Musik praktisch 400 Jahre alt ist. Hier ein Madrigal, das wir derzeit proben, gefunden auf Youtube: