Zum Teil ist es die Erfahrung der mehrmonatigen Auszeit letztes Jahr, zum Teil vielleicht auch Ausdruck des Älterwerdens, jedenfalls war uns schnell klar, dass unser nächster Urlaub wieder mindestens drei Wochen an einen Ort gehen sollte. Also keine Rundreise mit ständigen Ortswechseln und Leben aus offenen Koffern. Einerseits sollte die Gegend ein bisschen vertraut sein, andererseits neu – so kamen wir auf Schottland (again) und die Insel Mull. Auf unseren Bootstouren 2017 und 2018 waren wir jeweils einige Stunden im Hauptort Tobermory, aber mehr kannten wir nicht.
Aufgrund von Flug- und Fährverbindungen war Edinborough statt Glasgow diesmal trotz größerer Entfernung der sinnvollere Flughafen, von dem aus es mit Mietwagen nach Oban und per Schiff auf die Insel gehen sollte. Wo wir irgendwann um Mitternacht, völlig erschöpft mit fünf Stunden Verspätung ankamen, weil ein Koffer in Amsterdam hängen geblieben war, wir stundenlang an einem Schalter anstehen mussten und dann aufgrund irreführender Infos auch noch länger dort warteten als ohnehin schon nötig. Immerhin hat uns der Hafen in Oban mit einem spektakulären und tröstlichen Sonnenuntergang empfangen, und im Cottage brannte auch überall Licht, um uns willkommen zu heißen.
In punkto Landschaft ist Mull ganz anders als die Orkneys, mit Bergen bis auf knapp 1000 Meter nicht nur viel gebirgiger, sondern auch ausgesprochen bewaldet. Während man auf Orkney oder Lewis quasi überall kilometerweit schauen kann, fährt man auf Mull schon mal wenige Meter entfernt von der Küste und sieht trotzdem nur Bäume. Zudem teilt sich die Insel in mehrere lange Arme, wodurch man vom einen zum anderen Ende bis zu zwei Stunden unterwegs sein kann. Das liegt allerdings auch am buchstäblich dünnen Straßennetz; bis auf zwei Teilstrecken zwischen Craignure und Tobermory sind die wenigen Straßen alle Single-Track, das heißt oft nur drei Meter breit mit gelegentlichen Ausweichbuchten. Und dadurch, dass es auf der ganzen Insel praktisch keinen zusammenhängend ebenen Hektar Fläche gibt, geht es mehr oder weniger ständig in Kurven auf und ab, mit nicht selten weniger Sicht als 40 Meter voraus. Da ist nichts mit fahren und entspannt in die Landschaft schauen; auch bei ständiger Aufmerksamkeit muss man nicht selten in die Eisen steigen, weil an der Kuppe plötzlich doch ein Lastwagen, Wohnmobil oder rasant fahrender Einheimischer auftaucht.
Das Autofahren war aber das einzige Anstrengende. Unser Cottage mit sensationellem Blick auf eine Burgruine und den Sound of Mull war gemütlich und schön, ganz besonders auch an den wenigen reinen Regentagen, und der Besuch von Rehen vorm Fenster jedesmal ein Highlight. Bis auf ganz wenige (stark verregnete) Tage, an denen wir höchstens zum nächsten Supermarkt ein paar Meilen entfernt fuhren, um uns zu versorgen, nutzten wir die Zeit, um die verschiedenen Ecken von Mull oder die umliegenden Inselchen zu erkunden, wobei wir uns wieder meist an den Wanderwegen von Walkhighlands orientierten, das überhaupt eine hervorragende Adresse für ganz Schottland ist.
Tobermory, der Hauptort Mulls mit etwa einem Drittel aller knapp 3.000 ganzjährigen Bewohner*innen (zum Vergleich: das flächenmäßig nur wenig größere Rügen hat mit 64.000 gut zwanzig mal so viele), ist ein Hafenstädtchen mit pittoresken, bunten Häusern und im Juli natürlich gut besucht, was vor allem mehr Autos als Parkplätze bedeutet. Aber mit seinen Shops, Cafés und Restaurants und der schönen Hafenkulisse auch sehr hübsch, weswegen wir einige Male dort waren, nicht zuletzt um auch einmal gut essen zu gehen. Am ersten Montag natürlich auch, um den dortigen Supermarkt auszuchecken. An gleichen Tag wurde erfreulicherweise auch mein Koffer in die Ferienwohnung nachgeliefert, das heißt ich konnte mich nach einer ausgiebigen Dusche freuen, in frische Klamotten zu steigen.
Aros Park ist ein Wald bei Tobermory mit einem schönen Rundweg durch den Küstenwald samt beeindruckenden Wasserfällen und einem kleinen See, das war am Dienstag der ersten Woche unser erster kleiner Wanderausflug.
Calgary Bay ist vermutlich der meistbesuchte Strand der Insel, wobei natürlich auch im Sommer nur wenige tatsächlich ins Wasser gehen. Er wird in Broschüren über Mull als einer der schönsten Strände der Hebriden angepriesen, allerdings kann er den Stränden von Harris und Lewis natürlich nicht das karibikgrüne Wasser reichen. Der naturnah-künstlerisch gestaltete Skulpturenpark in der Nähe ist auch sehenswert und seine zweieinhalb Pfund wert.
Am Donnerstag fanden die diesjährigen Highland Games der Insel statt, dazu hatte man auf einem Golfgelände oberhalb Tobermorys einen Parkour und Zelte für Verpflegung errichtet. Es regnete praktisch den ganzen Tag, aber das hielt weder die (zumeist einheimischen) Leute noch uns davon ab, stundenlang im nassen Gras zu stehen und die Athlet*innen beim Kraftsport wie dem Werfen von Hammern oder Felsbrocken, oder Hoch- und Weitsprung oder Laufen anzufeuern, unterbrochen von Darbietungen der Highschool-Dudelsackband von Oban und einem Burger vom Grill oder Kaffee und Kuchen aus einem der Zelte. Whisky wurde selbstverständlich auch ausgeschenkt, aber das ist ja nicht so unser Ding. Irgendwie machte das Spaß, vielleicht weil alles so heiter, unspektakulär und ganz untouristisch war.
Am nächsten Tag fuhren wir die Ostküste Richtung Süden, um in Fishnish nach Ottern und Seeadlern zu schauen, die Landspitze am Duart Castle zu besuchen, die man sonst nur prominent vom Schiff aus sieht, und ein wenig am Grass Point entlang zu laufen, einer weiteren Landspitze, die wir im Gegensatz zum Castle wieder ganz für uns hatten. Ein sehr schöner Tag mit 38 gesehenen Vogelarten (inklusive Adler!), so viele wie nur noch ein anderes Mal während des Urlaubs.
Den Samstag verbrachten wir schlumpfig in der Wohnung mit Lesen (Möwe) und Youtube (ich), wobei wir auch an solchen Tagen die Gelegenheit nutzten, abends noch eine Runde von 1-2 km um die Küste am Haus zu laufen.
Sonntag liefen wir am Loch Ba entlang. Ein sehr schönes, überraschend abgelegen wirkendes Tal mit See. Die heftigen Regenschauer waren nicht schön, doch erträglich. Ein größeres Problem war eher die Herde von Kühen mit ihren Kälbern, die verteilt auf den Hängen graste, bis ein Bauer mit seinem Quad vorbeifuhr, was offenbar ihr Signal war, innerhalb kürzester Zeit von überall her auf den Weg und auf uns zu zu rennen. Wir drückten uns ans Seeufer und warteten eine ganze Weile, bis sie vorbei waren, aber leider war der weitere Weg anschließend auch versperrt, so dass wir uns entschlossen, wieder zurück zum Auto zu laufen.
Eine schöne, erste Woche war vorbei und im Rückblick war wieder erstaunlich, wie viel wir trotz großer Endlich-Urlaub-Erschöpfung letztlich doch wieder unternommen hatten und gelaufen waren.