Archiv der Kategorie: Reisen

Unser Haus und die Inseln

Wenn man einmal angefangen hat, Ferienwohnungen nach Sichtweite von Wasserflächen auszusuchen, mag man nicht mehr zurück. Das macht die Reiserecherchen nicht einfacher, aber ich kenne nur wenig Entspannenderes als bei jedem Blick nach draußen aufs Wasser zu sehen, womöglich die dort schwimmenden Vögel, sich wiegendes Schilf oder leichte Wellen. Rausgehen zu können, sich bei diesem Anblick hinsetzen, einen Kaffee trinken oder sogar essen zu können. Und in dieser Hinsicht war unsere Unterkunft ein Traum; ein winziges, klassisch rotes Schwedenhäuschen mit erstaunlich vollständig ausgestatteter Küche und gemütlicher Wohn-Ess-Stube auf kleinstem Raum. Und die Vermieterin, eine ältere Dame, war auch ausgesprochen nett und gastfreundlich.

Baden mochte man zwar wegen des algigen Uferbereichs eher nicht, aber schon im Liegestuhl auf der Wiese dösen oder am Wasser auf dem Steg sitzen zu können war wunderbar. Nicht zu vergessen das Ruderboot mit dem schwachbrüstigen, aber fast lautlosen Elektromotor, was wir ganz zu unserer Verfügung hatten, um damit durch die Bucht zu gleiten, die angenehme Luft über dem Wasser zu genießen und manchmal an einer der vielen kleinen unbewohnten Schären anlanden und sich wie Robinson fühlen zu können. Ein absolutes Highlight der Reise.

Manche Tage haben wir auf diese Weise komplett zuhause verbracht, an anderen waren wir unterwegs: Ein Ausflug zum Autofriedhof im Wald, ein Besuch des Ikea-Museums am Ursprungsort (lohnenswert, eine Reise in die eigene Vergangenheit, wenn man wie ich praktisch sein Leben in Ikea-Möbeln verbracht hat), die Besichtigung einer Glasfabrik oder aber Fahrten mit der Fähre zu ausgewachsenen Inseln, um dort zu wandern.

Und diese Inseln, Tjärö und Hanö, waren jede auf ihre Weise landschaftlich eigen und wunderbar. Die erstere lieblich und fast mediterran, die zweite vor allem geprägt von unzähligen, runden, bemoosten Felsblöcken, zwischen denen ganze verwunschene Wälder wuchsen. Und auch wenn die Fähren ganz gut gefüllt waren, auf den Inseln hatten sich die Leute schnell verlaufen, so dass wir viel für uns allein spazieren konnten. So wie man überhaupt, vom Stadtfest in Karlshamn vielleicht abgesehen, die ganzen zwei Wochen trotz Hauptsaison und Ferienzeit nirgends besonders große Ansammlungen von Menschen traf.

Tjärö

Hanö

Autofriedhof

Mittlerweile bin ich wieder eine Woche zurück aus dem Urlaub in Schweden. Die zwei Wochen, unser erstes Mal dort, taten unglaublich gut und waren sowas von nötig – mit über einer Woche hat es noch nie so lange gebraucht, bis meine innere Dauerunruhe und Erschöpfung halbwegs abgelegt waren.

Der neue Job fängt auch sehr gut an, viele spannende Themen zu lernen, demnächst vermutlich auch endlich mal Kundenbesuche, und vor allem sorgt die extrem reduzierte Zahl an Meetings jeden Tag dafür, dass ich abends seit langem mal wieder das Gefühl habe, konzentriert etwas geschafft zu haben.

Für ein Reisetagebuch/-blog war diesmal kein Platz in meinem Kopf, aber mit dem fortschreitenden Sichten der Fotos werden vielleicht ein paar unchronologisch sortierte Blogeinträge draus, beginnend mit einem Autofriedhof im Moorwald. Ein Autoteilehändler hatte jahrzehntelang die ausgeschlachteten Karossen einfach auf seinem Grundstück im Wald rund um die Hütte abgestellt, in der er lebte. So sammelten sich im Laufe der Zeit dutzende Autos aus den 50er-70er Jahren an, vor allem PKW, aber auch ein Bus oder Traktoren. Nach dem Tod des Händlers gab es etwas Hin-und-Her, weil Metall, Kunststoff und Öl natürlich nichts im Wald zu suchen gehabt hätten, doch schließlich stimmten die Behörden zu, den wilden Schrottplatz aus kulturellen Gründen nicht zu beseitigen, so dass die Autos nun bis 2050 weiter vor sich hin rosten dürfen.

Leider haben sich auf dem frei zugänglichen Gelände inzwischen auch Vandalen ausgetobt, so dass über den natürlichen Verfall hinaus von den meisten schönen Karosserien nicht mehr allzuviel übrig ist. Beeindruckend und atmosphärisch ist der Ort natürlich dennoch, und es hat viel Spaß gemacht, dort bei wunderbarem Licht mit meinem neuen Objektiv* herumzupirschen. Und nicht zuletzt fanden wir in dem Waldstück auch noch kleine, unglaublich aromatische Blaubeeren, von denen wir eine Handvoll für Frühstückskornflakes mitnehmen konnten.

*: ein 35mm Objektiv mit Offenblende 1.4. Ich habe zwar ein technisch gutes Zoom von 24-105 mm mit Blende 4, aber das hat sich in der Vergangenheit als genauso praktisch wie komplett uninspirierend herausgestellt. Mit Festbrennweite verlagert sich das Zoomen zwar in die eigenen Beine, aber nicht nur zwingt sie dadurch, sich wieder bewusster mit Bildaufbau zu beschäftigen, das Objektiv kann durch seine große Offenblende auch traumhaft die Vorder- und Hintergründe verwischen, was ich gerade bei dieser Brennweite und solchen Reportage-artigen Motiven wunderschön finde.

Sardinien

In unserem Wahn, alles mögliche zu versuchen, damit dieses Jahr wenigstens ein Urlaub funktioniert, hatten wir für Anfang Oktober gleich noch eine Woche Sardinien gebucht. Konnte ja niemand ahnen, dass letztlich alles stattfinden würde. Leider reicht inzwischen eine Woche am Stück nicht annähernd, um meinen dauerrotierenden Kopf anzuhalten, weswegen ich jetzt nach zwei Wochen Arbeit abends schon wieder keine Energie und Konzentration mehr habe, viel zu schreiben. Ich hoffe, ihr wisst auch ein paar spärlich kommentierte Fotos zu schätzen.

Die am schönsten gelegene Ferienwohnung ever.

Der Strand war klein und auch an schönen Tagen nur noch spärlich besucht. Und das Wasser immer noch mild. Wenn man ihn weiter entlang lief, kam man an eine kleine Landspitze mit kurios aussehenden, ausgewaschenen Felsen.

Einen Tag lang kamen Möwenschwester und -Schwager zu Besuch, die den Monat im Südwesten der Insel in ihrer Art kleinem Cottage verbringen. Andere Verwandte der Möwe haben wir diesmal nicht getroffen.

Nur wenige Kilometer entfernt liegt Capo Mannu, das wir bei traumhaftem Abendlicht besuchten.

Zwischendurch gab es anderthalb Tage, an denen an baden nicht zu denken war, weil ein Sturm am Haus rüttelte und pfiff und die Wellen nachts bis zum Gartentor drückte.

Einen Tag fuhren wir in die nahe gelegenen Berge, durch kurvige kleine Dörfer, in denen ein überraschend kalter Wind wehte. Und wo mich Google Maps mit dem Mietwagen durch stellenweise zwei Meter breite, steile Kopfsteinpflastergassen schickte – das war heftig. Heftig auch die großen Flächen verbrannter Berge, auch wenn schon wieder hier und da grüne Farbtupfer zwischen den rotbraunen Bäumen leuchteten. In Benarcardo machten wir ein Picknick in einem kleinen Park und sahen riesige Erdbeerbaumfalter, wie sie an den runtergefallenen Kaki saugten.

Schließlich besuchten wir den Archeologie-Naturpark Santa Cristina, wo auf einem großen Olivenhain dreieinhalbtausend Jahre alte Nuraghe (steinerne Türme, wie sie auf ganz Sardinien zu finden sind), noch viele Grundmauern und ein kultischer Brunnen stehen. Ein warmer Frühherbsttag, fast keine anderen Touristen und eine friedliche, träge Atmosphäre unter den knorrigen Bäumen. Trotz des Rauschens der nahen Autobahn sehr erholsam.

Am Tag vor unserer Abreise sollte es morgens sonnig und klar sein. Auf der Halbinsel Sinis sind mehrere, teilweise sehr große Flachwasserseen, an denen tausende Vögel leben oder Rast machen, deswegen war der Morgen dem Birding gewidmet. Wir sahen Flamingos, Seidenreiher und verschiedene Watvögel aus allernächster Nähe, außerdem Enten, Möwen, Löffler und sogar zwei Fischadler (die leider nicht auf Fotodistanz näherkamen). Großartig.

Auf dem Rückweg hielten wir bei Is Arutas an, einem der vielgepriesenen Reiskornstrände der Sinis-Halbinsel. (Die Mitnahme auch nur kleiner Mengen Sand oder Muscheln von den Stränden Sardiniens wird übrigens seit einigen Jahren scharf verfolgt und empfindlich bestraft, was ich sehr gut finde.) Abends gingen wir noch in einem nahen Restaurant essen, nachdem wir uns eine Woche lang „zuhause“ verpflegt hatten, und am nächsten Morgen kehrten wir vom letzten Sommerzipfel wieder zurück in den Herbst.

Lauwersmeer

Nach einem ruhigen Zwischentag zuhause ging es direkt weiter. Noch einmal 700 km mit dem Auto, nur in die genau entgegengesetzte Richtung. (Sagte ich schon, dass unsere Planung etwas kopflos war?) Ziel war eine Feriensiedlung am Lauwersmeer, einem Ende der 60er Jahre durch einen Damm vom Meer abgetrennten Binnengewässer und Feuchtgebiet, das wegen seiner ökologischen Bedeutung inzwischen ein Nationalpark ist. Immerhin war die Fahrt erstaunlich reibungslos, wenn man mal nicht über die A3 fahren muss wie sonst, wenn wir unsere Familien in Duisburg besuchen, sondern über Kassel, Osnabrück und verschiedene 30er-Autobahnen im Nordwesten rollt.

Die Unterkunft war hier ausschlaggebend für das Reiseziel: Wir hatten nach einem gemütlichen Ferienhäuschen mit kleiner Terrasse direkt am Wasser gesucht. Und die Wahl zahlte sich direkt aus; die ersten Tage waren sehr windig, meist dunkel und der See schlug laute Wellen ans Ufer, so dass man drinnen um so gemütlicher sitzen und rausschauen konnte, wie die Schmetterlinge den Wasserdost heimsuchten oder zu jeder Tageszeit Möwen, Kormorane und Seeschwalben vor dem Fenster entlang zogen. (Merkwürdigerweise immer nur in eine Richtung. Vielleicht flogen sich ja nachts wieder zurück? Oder einmal um die Erde?)

Erst am Dienstag wurde das Wetter besser und wir machten einen Ausflug nach Groningen, eine sehr freundliche, lebendige Stadt, wo wir über den appetitmachenden Wochenmarkt liefen oder einen Kaffee tranken und dem ununterbrochenen Strom von vorbeifahrenden Fahrrädern zuschauten. Abends klarte es ganz auf, so dass ich zum ersten Mal versucht habe, die Milchstraße zu fotografieren; der Nationalpark ist nämlich auch ein Dark Sky Park, d.h. ein Ort mit wenig Lichtverschmutzung und großartigem Sternenhimmel.

Am nächsten Tag setzten wir mit der Fähre nach Schiermonnikoog über, der nächstgelegenen Insel im Wattenmeer. Was für eine toller Ort. Ein bis zu 1,5 km breiter Strand (vom Wasser zu den Dünen!), kleine Wäldchen, Watt, Moore, Heidelandschaft, ein bisschen Landwirtschaft mit Rindern und Schafen, ein schmuckes Dörfchen und kein Autoverkehr bis auf ein paar Einheimische. Wir blieben viele Stunden bis zur letzten Fähre auf der Insel, radelten schwitzend mit geliehenen Fahrrädern einmal herum (die Dünenlandschaft ist hügeliger als man denkt) und machten immer wieder Pause an schönen Stellen.

Auch für Vogelbegeisterte ist die Insel ein Traum. Das Wattenmeer plus die vielen verschiedenen Habitate auf kleinstem Raum ziehen jede Menge Arten an, ob als Brutvögel oder auf dem Zug vor oder nach der Überquerung der Nordsee. Löffler brüten hier, und je nach Gezeiten kann man unzählige Watvögel wie Steinwälzer, Pfuhlschnepfen und Rotschenkel teilweise nur 15-20 Meter entfernt sehen. Hierher wollen wir definitiv wieder zurück, am besten zur Zugzeit im Frühling oder Herbst. Sicher schöner als das zu dieser Zeit von Birdern überlaufene, kleinere Helgoland.

Den folgenden Tag verschlumpften wir „zuhause“, wo der See durch Windstille wunderbar glatt geworden war. Dazu versorgten wir uns vom nahe gelegenen (12km) Restaurant wieder mit Kibbeling und Pommes. Sehr lecker übrigens.

Der Ausflug nach Schiermonnikoog tat so gut, dass wir gleich noch so einen Inseltag einlegten, diesmal zum ebenfalls nahe gelegenen Ameland. Wieder mit geliehenem Fahrrad (diesmal allerdings E-Bike) und auch sehr schön, wenn auch durch massig mehr Tourist*innen und richtigem Autoverkehr nicht mit Schiermonnikoog vergleichbar. Wir aßen Poffertjes zum Cappuccino, machten eine Bootstour zu einer „Muschelbank“ zum Aussteigen (naja, das war dann mehr eine Sandbank voller hässlicher, grauer Austern- und Muschelschalen) und zu den Robben (natürlich ohne Aussteigen, aber: hach!) und saßen danach noch lange am kühlen Strand, bevor wir eine der letzten Fähren zurück nahmen.

Am folgenden Samstagmorgen packten wir zusammen und fuhren – erneut ohne jeden Stau – in aller Ruhe wieder heim. Ein schöner, wenn auch wettermäßig eher schlechter und zeitlich zu kurzer Urlaub. Aber ich will mich nicht beschweren, trotz Corona hatte mal alles geklappt, und es tat meinem Kopf sehr gut, rauszukommen.