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Isle of Mull, erste Woche

Zum Teil ist es die Erfahrung der mehrmonatigen Auszeit letztes Jahr, zum Teil vielleicht auch Ausdruck des Älterwerdens, jedenfalls war uns schnell klar, dass unser nächster Urlaub wieder mindestens drei Wochen an einen Ort gehen sollte. Also keine Rundreise mit ständigen Ortswechseln und Leben aus offenen Koffern. Einerseits sollte die Gegend ein bisschen vertraut sein, andererseits neu – so kamen wir auf Schottland (again) und die Insel Mull. Auf unseren Bootstouren 2017 und 2018 waren wir jeweils einige Stunden im Hauptort Tobermory, aber mehr kannten wir nicht.

Aufgrund von Flug- und Fährverbindungen war Edinborough statt Glasgow diesmal trotz größerer Entfernung der sinnvollere Flughafen, von dem aus es mit Mietwagen nach Oban und per Schiff auf die Insel gehen sollte. Wo wir irgendwann um Mitternacht, völlig erschöpft mit fünf Stunden Verspätung ankamen, weil ein Koffer in Amsterdam hängen geblieben war, wir stundenlang an einem Schalter anstehen mussten und dann aufgrund irreführender Infos auch noch länger dort warteten als ohnehin schon nötig. Immerhin hat uns der Hafen in Oban mit einem spektakulären und tröstlichen Sonnenuntergang empfangen, und im Cottage brannte auch überall Licht, um uns willkommen zu heißen.

In punkto Landschaft ist Mull ganz anders als die Orkneys, mit Bergen bis auf knapp 1000 Meter nicht nur viel gebirgiger, sondern auch ausgesprochen bewaldet. Während man auf Orkney oder Lewis quasi überall kilometerweit schauen kann, fährt man auf Mull schon mal wenige Meter entfernt von der Küste und sieht trotzdem nur Bäume. Zudem teilt sich die Insel in mehrere lange Arme, wodurch man vom einen zum anderen Ende bis zu zwei Stunden unterwegs sein kann. Das liegt allerdings auch am buchstäblich dünnen Straßennetz; bis auf zwei Teilstrecken zwischen Craignure und Tobermory sind die wenigen Straßen alle Single-Track, das heißt oft nur drei Meter breit mit gelegentlichen Ausweichbuchten. Und dadurch, dass es auf der ganzen Insel praktisch keinen zusammenhängend ebenen Hektar Fläche gibt, geht es mehr oder weniger ständig in Kurven auf und ab, mit nicht selten weniger Sicht als 40 Meter voraus. Da ist nichts mit fahren und entspannt in die Landschaft schauen; auch bei ständiger Aufmerksamkeit muss man nicht selten in die Eisen steigen, weil an der Kuppe plötzlich doch ein Lastwagen, Wohnmobil oder rasant fahrender Einheimischer auftaucht.

Das Autofahren war aber das einzige Anstrengende. Unser Cottage mit sensationellem Blick auf eine Burgruine und den Sound of Mull war gemütlich und schön, ganz besonders auch an den wenigen reinen Regentagen, und der Besuch von Rehen vorm Fenster jedesmal ein Highlight. Bis auf ganz wenige (stark verregnete) Tage, an denen wir höchstens zum nächsten Supermarkt ein paar Meilen entfernt fuhren, um uns zu versorgen, nutzten wir die Zeit, um die verschiedenen Ecken von Mull oder die umliegenden Inselchen zu erkunden, wobei wir uns wieder meist an den Wanderwegen von Walkhighlands orientierten, das überhaupt eine hervorragende Adresse für ganz Schottland ist.

Tobermory, der Hauptort Mulls mit etwa einem Drittel aller knapp 3.000 ganzjährigen Bewohner*innen (zum Vergleich: das flächenmäßig nur wenig größere Rügen hat mit 64.000 gut zwanzig mal so viele), ist ein Hafenstädtchen mit pittoresken, bunten Häusern und im Juli natürlich gut besucht, was vor allem mehr Autos als Parkplätze bedeutet. Aber mit seinen Shops, Cafés und Restaurants und der schönen Hafenkulisse auch sehr hübsch, weswegen wir einige Male dort waren, nicht zuletzt um auch einmal gut essen zu gehen. Am ersten Montag natürlich auch, um den dortigen Supermarkt auszuchecken. An gleichen Tag wurde erfreulicherweise auch mein Koffer in die Ferienwohnung nachgeliefert, das heißt ich konnte mich nach einer ausgiebigen Dusche freuen, in frische Klamotten zu steigen.

Aros Park ist ein Wald bei Tobermory mit einem schönen Rundweg durch den Küstenwald samt beeindruckenden Wasserfällen und einem kleinen See, das war am Dienstag der ersten Woche unser erster kleiner Wanderausflug.

Calgary Bay ist vermutlich der meistbesuchte Strand der Insel, wobei natürlich auch im Sommer nur wenige tatsächlich ins Wasser gehen. Er wird in Broschüren über Mull als einer der schönsten Strände der Hebriden angepriesen, allerdings kann er den Stränden von Harris und Lewis natürlich nicht das karibikgrüne Wasser reichen. Der naturnah-künstlerisch gestaltete Skulpturenpark in der Nähe ist auch sehenswert und seine zweieinhalb Pfund wert.

Am Donnerstag fanden die diesjährigen Highland Games der Insel statt, dazu hatte man auf einem Golfgelände oberhalb Tobermorys einen Parkour und Zelte für Verpflegung errichtet. Es regnete praktisch den ganzen Tag, aber das hielt weder die (zumeist einheimischen) Leute noch uns davon ab, stundenlang im nassen Gras zu stehen und die Athlet*innen beim Kraftsport wie dem Werfen von Hammern oder Felsbrocken, oder Hoch- und Weitsprung oder Laufen anzufeuern, unterbrochen von Darbietungen der Highschool-Dudelsackband von Oban und einem Burger vom Grill oder Kaffee und Kuchen aus einem der Zelte. Whisky wurde selbstverständlich auch ausgeschenkt, aber das ist ja nicht so unser Ding. Irgendwie machte das Spaß, vielleicht weil alles so heiter, unspektakulär und ganz untouristisch war.

Am nächsten Tag fuhren wir die Ostküste Richtung Süden, um in Fishnish nach Ottern und Seeadlern zu schauen, die Landspitze am Duart Castle zu besuchen, die man sonst nur prominent vom Schiff aus sieht, und ein wenig am Grass Point entlang zu laufen, einer weiteren Landspitze, die wir im Gegensatz zum Castle wieder ganz für uns hatten. Ein sehr schöner Tag mit 38 gesehenen Vogelarten (inklusive Adler!), so viele wie nur noch ein anderes Mal während des Urlaubs.

Den Samstag verbrachten wir schlumpfig in der Wohnung mit Lesen (Möwe) und Youtube (ich), wobei wir auch an solchen Tagen die Gelegenheit nutzten, abends noch eine Runde von 1-2 km um die Küste am Haus zu laufen.

Sonntag liefen wir am Loch Ba entlang. Ein sehr schönes, überraschend abgelegen wirkendes Tal mit See. Die heftigen Regenschauer waren nicht schön, doch erträglich. Ein größeres Problem war eher die Herde von Kühen mit ihren Kälbern, die verteilt auf den Hängen graste, bis ein Bauer mit seinem Quad vorbeifuhr, was offenbar ihr Signal war, innerhalb kürzester Zeit von überall her auf den Weg und auf uns zu zu rennen. Wir drückten uns ans Seeufer und warteten eine ganze Weile, bis sie vorbei waren, aber leider war der weitere Weg anschließend auch versperrt, so dass wir uns entschlossen, wieder zurück zum Auto zu laufen.

Eine schöne, erste Woche war vorbei und im Rückblick war wieder erstaunlich, wie viel wir trotz großer Endlich-Urlaub-Erschöpfung letztlich doch wieder unternommen hatten und gelaufen waren.

Auszeit, zwei Wochen Bretagne

Nach acht Wochen in Schottland waren wir erstmals wieder zuhause. In der Zwischenzeit hatte eine Freundin dann und wann nach der Post geschaut, ansonsten waren Haus und Garten sich selbst überlassen, und das zur Hauptwachstumszeit. Herrje, sah das fürchterlich aus. Alles vor und hinter dem Haus war mannshoch gewuchert und zum Teil schon wieder vertrocknet. Immerhin blühten noch die Kamille, ein paar Kornblumen und etwas Klatschmohn dazwischen. Zumindest den zuvor einmal sichtbaren Weg, die Grenzen zu den Nachbarn sowie den Vorgarten schnitt ich halbwegs frei, den Rest müssen wir nach unserem Urlaub angehen. Auch generell brauchen wir wohl mal eine Beratung zur Gestaltung.

Nach drei Tagen packten wir den frisch gewarteten Corsa und fuhren in die Bretagne mit einem mehrtägigen Zwischenstopp bei unseren Eltern in Duisburg. Früher hatten wir gemeinsam bei meinen oder ihren Eltern übernachtet und die andere Seite besucht. Heute leben nur noch die Mutter der Möwe und mein Vater; beide brauchen viel mehr Unterstützung und Gesellschaft, so dass wir die Zeit praktisch komplett getrennt verbringen und uns nebenher auch ein bisschen um den Haushalt kümmern. Seit wir vor ein paar Jahren begriffen haben, dass die Zeit mit ihnen nicht mehr ewig sein wird, versuchen wir ohnehin so einmal im Monat ein Wochenende in Duisburg zu sein. Aber auch für den Urlaub bot sich der Zwischenstopp an: Die restlichen 850 Kilometer in die Bretagne sind anstrengend, aber machbar. Die kompletten 1200 Kilometer an einem Tag zu fahren ist dagegen aus Erfahrung grauenhaft und unvernünftig.

Nach so langer Zeit an mehr oder weniger entlegenen Orten hatten wir in der Bretagne diesmal nicht Meerblick als erstes Kriterium für die Unterkunft gesetzt, sondern Fußläufigkeit und lebendige Umgebung. Unsere Wohnung im (Austern-)Fischerort Cancale war dafür perfekt, genau auf halbem Weg zwischen dem Hafen mit seinen dutzenden Restaurants und dem Ortskern mit kleinen Geschäften.

Für mich ist der Ort und seine Umgebung praktisch wie zuhause; seit meiner Kindheit waren wir immer wieder dort im Urlaub, inzwischen auch mit der Möwe schon ein paar Mal. So lag der Schwerpunkt auch eher auf dem Dortsein als auf Erkundungen unbekannter Gegend. Natürlich gehören Saint-Malo, Dinan, Dol und Cap Frehel zum Pflichtprogramm (der Mont-Saint-Michel eigentlich auch, aber der ist in der Hochsaison unerträglich). Darüber hinaus fanden wir aber auch ein paar hübsche Stellen zum Laufen an der Küste, die ich noch nicht kannte.

Ein großes Highlight war die Bootstour, die die Möwe ausfindig gemacht hatte. Ich wusste bis dahin nicht einmal, dass in der Bucht ganzjährig Delfine leben. Und wir hatten tatsächlich das Glück, auf einer mehrstündigen Tour eines Naturschutzvereins in eine mindestens siebenköpfige Schule Großer Tümmler zu geraten, die zwanzig Minuten lang immer wieder um unser Schlauchboot herum auftauchten und (leider nur ein-zwei mal) in die Luft sprangen. Wunderbar.

Ansonsten verbrachten wir die Tage entspannt, mehrmals auch am kleinen Lieblingsstrand, kauften auf Märkten und im Supermarkt ein, kochten selbst (die Bretagne ist ein Paradies für gute Lebensmittel) oder gingen Galettes und Crepes oder auch mal im Restaurant essen, kauften Stoffe z. B. für den Bezug eines alten, aber noch gut brauchbaren Ikea-Schlafsofas, liefen abends an der Hafenpromenade entlang, schauten den Seidenreihern auf den Muschelbänken zu oder bestaunten die unfassbaren Meeresfrüchte-Etageren auf den Tischen der Restaurants mit ihren riesigen Krebsen und anderem Getier. Die Fenster der Ferienwohnung zur Straße waren gottseidank sehr gut schallgedämmt, denn lebendig ist der Ort zur Hauptsaison auf jeden Fall, manchmal bis tief in die Nacht. Aber so hatten wir es ja gewollt.

Ein schöner Höhepunkt gegen Ende der Reise war das Feuerwerk am Vorabend des Nationalfeiertags. Tausende Menschen versammelten sich am Hafen und schauten sich das viertelstündige Feuerwerk über der Mole an. Das war großartig, im Sand sitzen und so eine Show in komplettem Breitwandformat sehen zu können.

Am Freitagabend gingen wir noch einmal essen und am Samstagmorgen schließlich verabschiedete uns die Bretagne mit Wind und Regen. An den Ständen am Hafen kauften wir noch drei Dutzend frisch geerntete Austern für unsere Eltern und fuhren die neuneinhalb Stunden zurück nach Duisburg. Morgen geht es von hier endgültig nach Hause. Dann bleiben noch zwei Wochen Sabbatical übrig, bevor der Arbeitsalltag wieder übernimmt – ich kann mir noch nicht vorstellen, wie das wieder geht.

Auszeit, die letzten zwei Wochen Lewis (und Harris)

In den letzten knapp zwei Wochen auf Lewis ließen wir es etwas ruhiger angehen, auch weil das ungewöhnliche Sommerwetter tatsächlich nicht immer Lust machte, in der kräftigen Mittagssonne unterwegs zu sein. Wir verbrachten noch einmal einen Morgen am Garry Beach, diesmal bei Ebbe, wodurch einige vorgelagerte Felshügel am Strand freigelegt waren und man auf dem Sand durch Höhlen und Bögen spazieren konnte.

Draußen vor der Küste schienen große Fischschwärme zu ziehen, was hunderte von Basstölpeln zu einer ihrer frenetischen Jagden animierte, bei denen sie ununterbrochen torpedoartig ins Wasser hinabstoßen (Zeitlupe, ohne Ton):

Nicht weit entfernt (via Luftlinie, aber sehr wohl über Straßen) erlebten wir den Butt of Lewis, offiziell stürmischster Ort des Vereinigten Königreichs, nahezu bei Windstille – zuerst bei klarer Sicht, dann innerhalb kürzester Zeit vernebelt, wie später auch das hübsche Port of Ness.

An mehreren Abenden fuhren wir zum Tiumpan Head, einem Kap nicht weit von unserer Unterkunft, wo man praktisch einen 270°-Blick aufs offene Meer hat. Mehrmals konnte man Delfine und Zwergwale sehen, wenn auch leider nur sehr weit draußen. Unsere Hoffnung auf Orcas (die dort tatsächlich an einem der Tage Stunden zuvor gesichtet wurden) oder zumindest ein paar Delfine in Ufernähe erfüllte sich leider nicht. Dennoch ein schöner Ort, wenn die See glatt ist und abends eine sanfte Brise die Tageshitze wegweht.

Ein größerer Tagesausflug führte in den entlegenen Südwesten von Lewis. Zunächst zum Reef Beach, einem idyllischen, kilometerlangen Strand, den wir vor Jahren schon auf einer unserer Bootstouren vom Wasser aus kennengelernt hatten. Beim ersten Halt hörte man innerhalb von Minuten Wachtelkönig, Goldregenpfeifer und Kuckuck rufen, wie wunderbar! Wie damals tauchten Sterntaucher direkt am Strand, so nah habe ich sie nirgends sonst gesehen. Weiter ging es zum Gallan Head, einem Kap, von dem aus die Royal Air Force und zuletzt die NATO jahrzehntelang den Atlantik abhörte. Nach dem Abzug des Militärs wurde das Gelände von einer lokalen Initiative aufgekauft und seitdem nach und nach begeh- und bewohnbar gemacht wird. Die verlassenen, auf dem ganzen Kap verteilten Armeebaracken geben dem Ort ein sehr morbides Lost-Place-Flair. Auch hier ist ein idealer Beobachtungspunkt für Meeressäuger, und ich sah neben Rundkopfdelfinen auch meine ersten Weißschnauzendelfine draußen springen. Schließlich fuhren wir noch etwas weiter bis Uig Sands, einer Bucht, die sich bei Ebbe in einen kilometerweite Sandebene verwandelt. Nahezu unwirklich.

Ein Ausflug Richtung Harris führte am Aline Woodland vorbei, einem kleinen Waldgebiet direkt an der Hauptverbindungsstraße, das wir aber nach einer kleinen Runde über Bohlenwege wieder fluchend verließen, denn bei Windstille warteten jede Menge Bremsen offenbar nur darauf, unser Blut anzuzapfen. Weiter ging es über eine der abenteuerlichsten Single-Track-Roads der Inseln nach Hushinish, einer Landzunge mit schönem Strand, von der aus man die unbewohnte Insel Scarp sehen kann, auf der wir auf den vergangenen Bootstouren schon jeweils einmal angelandet waren. Leider auch ein beliebter Ort für Camper, obwohl am Ende der Straße nur ganz wenige Wohnmobile Platz finden. Ihnen auf der nur 2,50 Meter breiten Straße durch die Felslandschaft zu begegnen, die oft nur 20-30 Meter Sicht zur nächsten steilen Kurve oder Kuppe lässt, macht wenig Spaß. Aber die Landschaft war den Weg wert, und dass man an einer Stelle nahezu durch ein Schloss hindurchfährt, eine schöne Überraschung.

In der letzten Woche ließ das Sommerwetter etwas nach, es wurde wieder etwas kühler und nach mehreren praktisch trockenen Wochen kamen endlich ein paar Schauer und Gewitter, was uns in der Unterkunft nicht nur den Ausblick auf dramatische Wolken, sondern auch auf einen doppelten Regenbogen bescherte. Bei mehr Wind und mit Mückenspray ausgerüstet holten wir unsere kleineren Woodland Walks nach, einmal in den Bergen von Harris, und einmal den schon begonnenen Trail hinuter zu einem Loch (der hier wie oft als See daherkommt, aber eigentlich ein Meeresarm ist). Sehr schön, und wie so oft fast ganz für uns.

Als letztes Highlight der Reise stand noch ein Konzert an. Wir lieben Peter Gabriel, der 20 Jahre nach seinem letzten Studioalbum seit einiger Zeit monatlich neues Material veröffentlicht und seit einigen Wochen auf Tour ist. Zu den Terminen in Deutschland hätten wir ihn nicht sehen können, und da der Mann mittlerweile 73 Jahre alt ist, möchte ich nicht wetten, ob es überhaupt noch einmal eine Tour geben wird. Glücklicherweise stand aber auch ein Auftritt in Glasgow an, der in unseren längst gebuchten Urlaub passte. So verließen wir Lewis für einen Tag und eine Nacht in Glasgow und hatten sogar eine günstige Unterkunft in Fußnähe der Arena. Bislang kannten wir die Stadt nur von Durchreisen, wo wir jeweils mit Rollkoffern und/oder bei Regen unterwegs waren und den vielbeschworenen Charme der Stadt nicht sonderlich nachvollziehen konnten. Schön, dass wir diesmal etwas mehr Zeit und auch gutes Wetter hatten. Ein Kulturschock war es dennoch, nach sieben Wochen einsamer Inseln plötzlich in einer unwahrscheinlich lauten und lebhaften Umgebung zu sein. Was für eine chaotische Stadt. Gebäude aller Baustile und -zeiten stehen dort beziehungslos nebeneinander, dazwischen Brachflächen, überall Baustellen und Presslufthämmer, Verkehr, sehr viele Menschen. Uff. Andererseits sind viele Gebäude und Ecken auch sehr schön: die Kathedrale mit ihren unteren Kirchen, die Nekropolis mit Blick über die Stadt, das Rathaus mit seinen prunkvollen Räumen und Treppenhäusern, die Universität, die mit ihren gotischen Bauten nicht nur aussieht wie ein Kloster, sondern am Graduiertentag voller Student*innen im akademischen Dress war, was dem Campus einen Hauch von Hogwarts gab. Und die Stadt scheint vor kulturellen Angeboten, Straßenmusik und Ausstellungen nur so zu sprühen. Ich kann ihr jetzt nach den anderthalb Tagen mehr abgewinnen, auch wenn sie sicher kein Lieblingsort werden wird. Die Idee, das Zentrum anhand des „Mural Trail“ mit den starken Wandgemälden abzulaufen kann ich jedenfalls sehr empfehlen. Das Konzert abends war toll (auch wenn solche Arenen wie z. B. auch die Mercedes-Arena in Berlin, vormals O2, fürchterliche Stimmungshemmer sind). Mehr als zweieinhalb Stunden Musik und Show mit alten und neuen Songs, es war großartig.

Nun sind wir nach einem langen Reisetag wieder zurück in Deutschland und versuchen, uns an vergleichsweise tropische Temperaturen zurückzugewöhnen. Die unterwegs irgendwo liegen gebliebenen Koffer haben heute auch noch hergefunden, und wir werden ein paar Tage Kleinkram erledigen, bevor wir zur letzten Reise der Auszeit aufbrechen. Bis hierher erst einmal herzlichen Dank für die freundliche Begleitung und eure vielen Likes und Kommentare hier und auf Mastodon.

Auszeit, die erste Woche Lewis (und Harris)

Um von North Ronaldsay auf Orkney nach Stornoway auf Lewis zu kommen brauchten wir gut acht Stunden, die im Wesentlichen aus dem Warten auf Anschlüsse bestanden. In den vier Stunden Aufenthalt in Kirkwall fuhren wir mit dem Bus in die Stadt um zu frühstücken, wobei uns noch einmal auffiel, wie vertraut sie uns inzwischen geworden war. Auf dem kleinen Flughafen von Kirkwall wurde man früher durchaus verpflegt, doch dem Flughafencafé hatte nach der Coronazeit wohl die Inflation den Rest gegeben, jetzt nur dürftig ersetzt durch Snack- und Kaffeeautomaten. Erste Wahrnehmung, als wir auf Lewis ankamen: Es ist hier deutlich wärmer als auf Orkney. Und unser Ferienhäuschen direkt am (Stein-)Strand so schön wie das in Stromness; direkt am ersten Abend schauten draußen vor dem Fenster Robbenköpfe aus dem Wasser und ein Eistaucher zog vorbei. Wunderbar.

Wie schon auf Orkney haben wir keinen Stress oder besonderen Plan und überlegen meist tags zuvor, was wir machen wollen oder ob überhaupt. Und doch kommt im Rückblick schon wieder eine erstaunlich unternehmungsreiche Woche zusammen.

Der erste Ausflug galt Callanish, mehreren steinzeitlichen Felsstelen, die anders als der Ring of Brodgar auf Orkney viel dichter beisammen stehen. Sehr schön. Glück gehabt: Wir waren noch mit nur wenigen anderen auf dem Hügel; als wir gingen, waren schon ganze Busse angekommen. Dann ging es durch die typische malerische Landschaft von flachen, grün bewachsenen Granithügeln mit kleinen Lochs und einzelnen Häuschen zu einem ehemaligen, bis in die 70er bewohnten Dorf von Black Houses an der Küste. Heute ist es quasi Freiluftmuseum und Ferienunterkunft, wo unter anderem ein älterer, sehr sympathischer Weber die Arbeit an einem Tweed auf einem altertümlichen Webstuhl erklärte. Auf der Runde zurück machten wir noch an einem RSPB-Naturreservat Station, wo eine Handvoll der nur 50 britischen Paare von Odinshühnchen brüten. Ganz weit weg waren sogar welche auf dem See zu sehen, für mich zum ersten Mal (leider ohne Foto).

Neben den höheren Temperaturen fällt an Lewis sofort die andere Atmosphäre auf, was zu einem Teil auch an der Vegetation liegt. Zumindest rund um Stornoway gibt es deutlich mehr Bäume, sogar richtigen Wald, Nadel- wie Laubbäume in normaler Wuchshöhe. Einen solchen, wenn auch von Menschenhand geschaffenen Wald mit vielen auch exotischen Bäumen gibt es zum Beispiel beim Lews Castle, einem Herrenhaus auf einem Hügel direkt gegenüber dem Hafen von Stornoway. Die Anlage erstreckt sich mit Wald und Parks über mehrere Kilometer entlang der Küste mit einem sehr schönen Rundwanderweg. Während es auf meiner Sabbatical-Vogelartenliste sonst nur noch langsam vorangeht, kamen hier gleich 10 Arten auf einmal zusammen; unsere verbreiteten Arten wie Erlenzeisig, Mönchsgrasmücke, Waldbaumläufer, Zilpzalp, Tannenmeise usw. sind hier auf den äußeren Hebriden ganz schön selten.

Eine der wenigen schon lange gesetzten Aktivitäten war eine Bootstour, um wilde Tiere wie Seevögel und hoffentlich auch Wale oder Delfine zu sehen. Ein Anruf am Donnerstag ergab die Möglichkeit, direkt am Freitag an einer Fahrt mit Schlauchboot zu den Shiant-Inseln teilzunehmen, wo wir vor fünf Jahren schon einmal vorbeikamen. Erst ging es entlang der Küste vorbei an einigen Seeadler-Plätzen, wir konnten auch entfernt ein oder zwei sehen, die meisten waren aber wohl ausgeflogen. Auch die malerische Robbenbucht war recht verlassen, aber das machte nichts, allein bei schönem Wetter auf dem Wasser im Fahrtwind unterwegs zu sein, war schon großartig. Und dann setzten wir übers offene Meer zu den Shiants über, wo mit jedem Kilometer die Gruppen im Wasser dümpelnder und fischender Tordalken, Lummen und Papageitaucher immer größer werden, bis man an den Felsen angekommen nur noch inmitten tausender um einen herum schwimmender und über einem kreisender Vögel sitzt. Atemberaubend und glücklichmachend. Nach einer sehr windigen und auch etwas, ähm, spritzigeren Rückfahrt, auf der wir dann auch noch mehrere Seeadler sehen konnten (meist von Krähen oder Möwen in der Luft gemobbt), wurden wir in Stornoway von einer der dortigen Hafenrobben begrüßt und bis zum Steg begleitet, vermutlich hoffte sie auf einen Snack. So nah war ich noch nie einer gekommen. Wale sahen wir allerdings an diesem Tag nicht, nur eine Delfinflosse unterwegs für wenige Sekunden.

Am Samstag feierte die Möwe Geburtstag. Abends vorher kamen wir spät spontan auf die Idee, um 23 Uhr darauf anzustoßen (in Deutschland wäre es ja schon Mitternacht), doch der Kurzbesuch im bis null Uhr geöffneten Supermarkt blieb ohne Erfolg, weil man in Schottland nach 22 Uhr keinen Alkohol mehr kaufen darf. Schräg. Das holten wir dann am nächsten Abend im Restaurant nach. Zuvor verbrachten wir ein paar Stunden am sehr schönen Garry Beach nördlich von Stornoway, wo es so warm war, dass ich erstmals in Schottland längere Zeit im T-Shirt verbrachte und man sich einen richtigen Strandtag samt Badengehen vorstellen konnte, wie man es so weit nördlich im Atlantik nie für möglich gehalten hätte. Das Essen, wir hatten uns beide für Fisch und Meeresfrüchte entschieden, war Bissen für Bissen köstlich („The Boatshed“, Stornoway, große Empfehlung) und ein echtes Highlight am Ende eines schönen Geburtstags. Den Sonntag verbrachten wir dann lesend, Fotos sortierend und schlafend und verließen nicht einmal das Haus, außer um auf die spiegelglatte Bucht im Nebel zu schauen.

Gestern folgte ein Ausflug zur (mit Lewis eine einzige Landmasse bildende) Insel Harris im Süden. Man durchquert eine recht hohe Bergkette und kommt schließlich auf der Westseite von Harris an einen etwa 20 Kilometer langen Abschnitt mit einigen laut jährlichen Rankings schönsten Stränden des Vereinigten Königreichs. Es war anfangs noch neblig, die Schwaden zogen über die Küste, von einer Minute zur nächsten konnten Berge und Strände in der Sonne leuchten und im nächsten verschwunden sein und wieder auftauchen (wie auf zwei Panoramafotos unten gut zu sehen ist, im Abstand von 5 Minuten entstanden). Schließlich setzte sich die Sonne durch, während sich über den vorgelagerten Inseln wie Taransay oder den Bergen von Harris teilweise die Wolken türmten. Das klare, ruhige Wasser leuchtete in allen Abstufungen zwischen dunkelgraublau bis hellgrüntürkis, es war ein einziger, stundenlanger Farbenflash. Bei Luskentyre gingen wir auch an den Strand, diesmal vorsorglich mit Handtuch und Badezeug bewaffnet und gingen sogar richtig im vermutlich 12 Grad warmen/kalten Meer baden (Beweisfotos vorhanden). In der Sonne war es sommerlich warm bis heiß und wieder verbrachte ich einen ganzen Tag im T-Shirt. Leider war meine Haut darauf noch nicht vorbereitet, zumal die Luft mit Anfang zwanzig Grad auch keine Gefahr signalisierte, so dass ich mir unvorsichtigerweise sehr rote Unterarme zuzog, das erste Mal seit Jahren.

An den Fotos kann man vielleicht den Farbenrausch erahnen (in Farben und Kontrasten nicht nachbearbeitet):

Am Strand probierte ich ICM aus, Intentional Camera Movement: Man stellt eine längere Belichtungszeit wie z. B. eine 20stel Sekunde ein und löst dann viele Male aus, während die Kamera bewegt wird, am Strand natürlich horizontal hin und her. Die Szene wird dadurch abstrakt verwischt und reduziert sich auf die Essenz der Landschaft und ihrer Farben, wird gemäldeartig. Auch wenn natürlich die übergroße Zahl der Fotos Ausschuss wird, bin ich vom Ergebnis begeistert. Mit Stativ statt händischem Gehampel (möchte nicht wissen, was die anderen Strandgäste dachten) und per Graufilter besser kontrollierbarer Verschlusszeit lässt sich in Zukunft vielleicht noch mehr herausholen.

Auf dem Rückweg kaufte die Möwe in Tarbert noch ein paar Meter schönen Harris Tweed für eine geplante Winterjacke, und zurück in Stornoway beendeten wir einen der bislang schönsten Tage mit leckeren Fish and Chips am Hafen.