Archiv der Kategorie: Gesellschaft

27.1. – Emojis, Twitterdiplomatie, Urfaschismus

Ich: *hustet sich nen Wolf*
Wolf: *steht auf, schaut vorwurfsvoll und trottet kopfschüttelnd davon*

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mopsfidel, aber als Hundevioline

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Emojis. Zwei Quadratmillimeter Bedeutungsträger. In einer unzoombaren Handy-App, zumal wo ich unterwegs meist keine Lesebrille auf habe, oft unentzifferbar. Ich bin froh, dass man zumindest im Browser am Desktop die Webseiten bis auf Molekülgröße aufzoomen kann, so entdeckt man zum Beispiel, dass der Smiley mit… laufender Nase? in WIrklichkeit Wut schnaubt. Aber zur Sicherheit lieber nochmal per Mouseover das Tooltip befragen:

Nicht entzifferbares Emoji, soll "triumphierendes Gesicht" darstellen.

„Triumphierendes Gesicht“! Ernsthaft? Ach Kinder, seht mir einfach nach, wenn ich vielleicht mal merkwürdig oder sicherheitshalber gar nicht auf Emojis in euren Nachrichten reagiere. (Gibt es eigentlich ein Seufz-Emoji?)

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Twitter als der Volksempfänger, über den der Führer Staatsoberhäupter die Massen ganz direkt, ähm, informieren, das war natürlich pointierter Quatsch. Andererseits vielleicht auch nicht ganz. Schon als Trump stolz von Taiwans Wahlglückwünschen twitterte und damit China brüskierte, kam ernsthafte Besorgnis auf, dass sein unmittelbarer Zugriff auf dieses Medium noch Kriege auslösen wird. (Ganz abgesehen davon, dass es möglich ist, dass sein offenbar weitgehend ungesichertes Handy längst von fremden Geheimdiensten gehackt wurde.)

Jetzt erweitert sich diese neue Bühne internationaler Konflikte. Vicente Fox, früherer mexikanischer Präsident, versucht Trump in seiner eigenen Arena zu schlagen, und er ist gewieft. Er liefert sich Wortgefechte mit Trump zum Thema Mauerbau an der gemeinsamen Grenze, erfindet mit #FuckingWall einen Hashtag, den PR-Texter nicht griffiger hätten formulieren können, und befragt einfach selbst das amerikanische Volk:

Der frühere mexikanische Präsident Fox macht Twitterumfragen beim amerikanischen VolkDieser Tweet ist eine Lehrstunde in politischer Rhetorik und hat Unterhaltungswert, wie der ganze Schlagabtausch (wenn man kurz die realen Folgen ausblendet, die diese Mauer oder auch nur ein Handelskrieg zwischen den Ländern haben würden). Nur: Wie geht das weiter? Nicht genug, dass aller Voraussicht nach Social Bots und gefakte Profile in diesem Jahr mit Propaganda und Lügen versuchen werden, die Stimmung vor den Wahlen in Frankreich und Deutschland zugunsten von Demokratiefeinden zu beeinflussen, müssen jetzt auch noch hochrangige Politiker ohne mediale Pufferzone die Öffentlichkeiten ihrer Länder in Echtzeit aufwiegeln? Auch wenn es kurzzeitig Freude macht, wenn ein verhasster Politiker in einem Social Network zurechtgestutzt wird, die Entwicklung macht mir allergrößte Sorgen.

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Ja doch, ich lese schon wieder zu viel auf Twitter.

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Umberto Eco hielt 1995 anlässlich des 50. Jahrestags der Befreiung Europas eine Vorlesung, in der er zunächst seine ganz persönliche Erfahrung mit dem italienischen Faschismus erzählt, um schließlich in 14 Punkten Eigenschaften, Propagandaziele und Methoden zu beschreiben, die sich in der einen oder anderen Form in den meisten totalitären Regimen und Ideologien der Geschichte wiederfinden. Erschreckend zeitlos angesichts der momentanen politischen Entwicklungen, und daher ganz besonders am heutigen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus gut, es zu lesen:

„Urfaschismus“.

„Welcome to the club“

And then there’s the unrest. In the lead up to the inauguration, we started to hear about youth protests against the new regime. Come on! This is bordering on plagiarism now. Please write your own plots and stop borrowing ours. Although, we usually wait for leaders to take power before we start protesting; we like your preemptive revolution approach.

Der Satiriker Karl Sharro heißt die Vereinigten Staaten im Kreis arabischer Regime willkommen. Was er noch nicht erwähnt: die geplante Rückkehr zur Folter. Aber die Glosse ist ja auch schon vier Tage alt.

 

22.1. Amtseinführung USA, Bullies, Lammnudeln

Ich hatte mir vorgenommen, die Amtseinführung Trumps (Symbolbild) in Washington so weit wie möglich zu ignorieren.  Das wenige, was man davon mitbekam, reichte aber schon, mich in düstere, bleierne Stimmung zu versetzen. Um so hoffnungsvoller stimmen die Millionen von (vor allem) Frauen*, die gestern mit Protestmärschen in amerikanischen Städten und weltweit ein Gegengewicht setzten und klar machten, dass der Frauenhass, der Rassismus und allgemein die Menschenverachtung, wofür die neue amerikanische Regierung steht, nicht einfach hingenommen werden. Auch in der Presse scheint der Kampfgeist zu wachsen.

(Was es heißt, wenn eine Regierung offen lügt so wie der amerikanische Pressesprecher nach den Protesten gestern, dröselt dieser kurze Text auf. Leider nur als Screenshot.)

Ansonsten kann ich die von Fr. Kaltmamsell verlinkte Reportage über die Briefstelle des Weißen Hauses empfehlen. Ein tröstlicher und eigentlich sehr demokratischer Gedanke, dass es einen solchen direkten Kommunikationskanal von ganz unten nach ganz oben gibt und wenn auch nur die Wenigsten eine persönliche Antwort erhalten können, die Geschichten und Anliegen der Bürger nicht ungehört bleiben.

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Ein englischer Hobbyfotograf hat in den 80ern jede Menge Menschen in seiner kleinen Stadt fotografiert. Jetzt, Jahrzehnte später, hat er die Leute auf den Bildern gesucht, viele von ihnen wiedergefunden und an den gleichen Orten noch einmal abgelichtet. Ich mag solche Projekte.

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Jens und Christian mit zwei unabhängigen Beiträgen zum Thema Filterblasen, Bullies:

Wie konnte das, was das Internet zur Vielfalt beigetragen hat, verloren gehen und zu seinem Gegenteil gedreht werden? Wie konnte es passieren, dass Menschen in den Diensten, die mal für Empowerment und Pluralismus standen, heute so massiv Hass und Häme entgegenschlägt, sobald sie wagen, etwas zu sagen?

Eine Erklärung meinerseits dafür ist: Weil das der Mainstream ist. Er war so und ist so. Egal, wie sehr wir dachten, ihn überwunden zu haben. Haben wir nicht, wir waren nur lange an einer Stelle, in dem der Mainstream nicht die Deutungshoheit hatte. Jetzt gewinnt er ihn gerade zurück, auch im Internet. Das ist auch nicht neu, es gibt Stellen, da hat er sie schon seit Jahren: Zum Beispiel in den Kommentarspalten der Massenmedien.

und der Dynamik, die ihre Opfer zuweilen erfassen kann:

Spricht man sie aber z.B. darauf an, wenn man von ihnen mal schlecht behandelt wird oder aber übt man an dem was und wie sie es tun Kritik, dann rufen sie: Aber wir sind doch die Nerds, die Alternativen, die Unterbezahlten, die Alleinerziehenden, kurz: die Anderen, wir sind doch die Opfer! Wir sind doch die, die immer leiden mussten! Wir können doch gar nicht unfreundlich sein, wir können per Definition kein Hatespeech sprechen, unsere Tweets sind immer gut und richtig, unsere Taten immer strahlend gut. Und dabei ist es egal, ob man sie auf ihre neue Brille oder ihr StartUp, ihre Haarfarbe oder ihre Partei anspricht: Sie fühlen nicht die Frage oder Kritik von heute sondern den Angriff von damals und schießen entsprechend heftig zurück.

Sehr lesenswert.

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Angestachelt von Claudio / Anonyme Köche und seinem Lobgesang auf ein Gericht mit selbst gemachten Nudeln und ewig geschmortem Lamm haben wir es ihm nachgetan. Gestern durfte die kleine Lammkeule (1,2 kg) sieben Stunden lang im Bräter schmoren, zusammen mit etwas Gemüse, Kräutern, Wein und Olivenöl, und schon der Duft in der Wohnung war atemberaubend. Das Fleisch fiel anschließend buchstäblich vom Knochen, saftig und vollmundig, göttlich. Dazu hat die Möwe heute aus Hartweizenmehl Malloreddus gemacht (sardische Gnocchi), und zusammen mit Kichererbsen  als Ersatz für Platterbsen aus dem Rezept, die wir nicht auftreiben konnten wurde ein herzerwärmendes Sonntagsgericht daraus.