Bis auf die eine Woche zuhause Anfang Mai arbeite ich jetzt seit Anfang Januar durch, und so fühle ich mich. Entsprechend habe ich nicht viel zu erzählen. Daher nur ein paar Fotos, die ich in der Zwischenzeit machen konnte. Highlight an der Fensterfront waren der Pirol samt Jungvogel, die fast auf den Tag genau vor zwei Jahren schon einmal hier vorbeikamen. Damit sind alle 59 Arten, die ich je zuhause zählen konnte, auch seit Beginn der Pandemie hier gewesen. Schön.
Gestern hielt die Möwe ein Seminar in der Nähe Bamberg, so ergab sich die Gelegenheit, sie mit dem Auto dorthin zu bringen und dann selbst ein paar Stunden an dem schönen kleinen See zu verbringen, an dem ich zuletzt Anfang Mai war. Der Hochsommer ist nicht die beste Jahreszeit zum Birden; es war warm und drückend, das Ufer mittlerweile fast komplett mit Schilf zugewachsen und nur eine Handvoll Vögel zu sehen oder zu hören, auch keine einzige Nachtigall mehr. (So in zwei Wochen sind sie auch schon wieder unterwegs Richtung Afrika südlich der Sahara.) Aber es war herrlich einsam, kein einziger Mensch ist mir in drei Stunden begegnet. Nachdem ich einmal drum herum gelaufen war, wo ich unverhofft wenige Sekunden Auge in Auge mit einem Reh stand und über die vielen Schmetterlinge und Libellen freute, die über die Wiesen flatterten beziehungsweise schwebten, fand ich einen schmalen, schattigen Zugang zum Wasser, wo ich mich hinsetzen konnte, einfach anderthalb Stunden blieb und schaute, sonst nichts.
Dort begegnete mir auch meine erste Ringelnatter, wie sie durchs Wasser glitt, den leckeren Frosch links liegen ließ und im Uferdickicht verschwand. Wow.
Vor ungefähr einem Jahr stand ich nachmittags auf der Terrasse und bemerkte, dass ein Trupp Rauchschwalben direkt ums Haus flatterte. Normalerweise sind sie eher einzeln und lose unterwegs, irgendwo über den Wiesen. Bei genauem Hinsehen entdeckte ich, dass es einer der ersten Familienausflüge war und zwei Jungschwalben auf dem Dach saßen, die von ihren Eltern im Minutentakt aus der Luft mit Insekten betankt wurden.
So war es auch gestern wieder. Noch ohne die Kleinen gesehen zu haben, sofort die Kamera geschnappt und vorsichtig aus dem Dachfenster gelugt. Da saß schon die erste in der Abendsonne, putzte sich, guckte aufmerksam in die Runde und schrie mit weit aufgesperrtem Schnabel jede Schwalbe an, die vorbeikam. Wenig später gesellte sich noch ein Geschwisterchen dazu.
Der Füttervorgang geht rasend schnell; die Elternvögel bleiben komplett in der Luft, stopfen die Beute praktisch schon im Anflug in den aufgesperrten Schlund der Kleinen und drehen schon nach wenigen Flügelschlägen wieder ab, um die nächste Fuhre zu besorgen. Insgesamt waren die Kleinen vielleicht 10 Minuten auf dem Dach, bevor sie weiterzogen. Wenig wahrscheinlich, dass sie bis sie sich selbst verpflegen können ausgerechnet hier wieder Rast machen. Ich hatte also wieder richtiges Glück.
Ich weiß nicht mehr ihren Namen, aber eine Instagrammerin mit sehr schönen Natur- und Vogelfotografien hatte diesen Hashtag #Fenstersafari glaube ich als erste geprägt, und er gefiel mir sofort. Immer schon, seit wir hier wohnen, aber ganz besonders seitdem ich nur noch zuhause arbeite, schaue ich bei jeder Gelegenheit aus einem der Fenster, was sich draußen so tut. Ob im Garten oder – noch ergiebiger – auf Wiesen und Bäume auf der anderen Hausseite. Natürlich ist oft nichts besonderes zu sehen, ein paar Sperlinge versteckt im Strauch, eine Krähe auf dem Lieblingsast ein bisschen weit weg, oder die Mehl- und Rauchschwalben, wie sie unfotografierbar über den Wiesen kreisen.
Aber oft genug, wenn man ein paar Minuten schaut, sieht man die Hasen, die vor allem morgens gerne auf der Wiese chillen, den Fasan, den ich schon länger nicht mehr vor die Linse bekommen habe, manchmal Eichhörnchen, Nachbarskatzen, Spechte und jede Menge anderer Vogelarten, von denen die Hausrotschwänze mit ihrer besonderen Vorliebe für den Zaun als Warte sich natürlich besonders aufdrängen. Aber auch Seltenheiten wie vergangenes Jahr der Baumfalke, den Silberreiher in der Tanne oder vor kurzem den Storch auf der Wiese gegenüber habe ich so entdeckt. Meine Kamera liegt jedenfalls immer schuss- und griffbereit.
Die Liste für zuhause zählt inzwischen 59 Vogelarten. Und ich kann sagen, die Aussicht und diese Tiere haben mich bislang mit durch diese Pandemie getragen.
Wenn ich alt werde, ersetze ich dann noch das Dachfenster mit einer extra Aussichtskanzel samt bodentiefem Fenster, das man ganz öffnen kann – wie auch immer das gehen soll. Da sitze ich dann morgens in einem bequemen Stuhl mit Fernglas, Kamera und Tasse Kaffee und schaue raus. Dann müsste ich auch nicht mehr wie jetzt oft zum Fotografieren mit den Füßen in der Badewanne stehen.
Unsere Espressomaschine hatte wieder rumgezickt; so wie vor vier Jahren schon flog wenige Minuten nach dem Einschalten der FI-Schutzschalter raus. (Licht aus im ganzen Haus ist jetzt im Sommer nicht das Problem – aber das WLAN!) Damals musste der Dampfboiler getauscht werden, das wird vermutlich auch jetzt wieder der Fall sein, was aber für die seit zehn Jahren heißgeliebte und täglich vielgenutzte Maschine auch ein zweites mal okay wäre. Das Problem ist, dass nur wenige Werkstätten sie überhaupt reparieren können. Den liebenswerten, aber vollkommen chaotischen Italiener aus Nürnberg wollten wir nicht mehr engagieren, um nicht wieder drei Monate auf die Reparatur warten zu müssen. Gekauft hatten wir sie in einem spezialisierten Laden mit Werkstatt in der Pfalz, aber dahin hätten wir sie verschicken müssen, was bei 28 Kilogramm heißt: per Spedition, und erst einmal eine geeignete Transportverpackung finde. Zum Glück hatte die Möwe diese Woche übers Internet einen Kaffeeladen samt Werkstatt in der Oberpfalz aufgetan. Eine gute Autostunde ist noch machbar. Und wenn man schon mal dabei ist, kann man auch gleich einen Abstecher zu einem der ältesten Naturschutzgebiete Bayerns einplanen, wo ich bislang erst einmal war.
Gegen sechs Uhr von alleine wach geworden, decke ich mich in der Bäckerei mit Kaffee und einem Küchle zum Frühstück ein und fahre los. Gegen halb acht bin ich dort und bis auf wenige Jogger*innen praktisch für mich alleine. Der See empfängt mich mit leichten Nebelschwaden und dem ununterbrochenen Lärmen der großen Lachmöwenkolonie. Entenfamilien verschiedener Arten ziehen am Ufer entlang, Haubentaucher und Kormorane tauchen nach Fischen und ich sitze erst einmal lange Zeit am Wasser und genieße die Stimmung.
Rund um die Seen geht es durch den Wald und ich freue mich bei jedem Schritt über den gemulchten Weg. Im Murnauer Moos neulich war alles geschottert, dass man vor lauter Lärm der eigenen Schritte praktisch keine Natur mehr hörte. Grauenhaft. Auf einem Damm zwischen zwei Weihern setze ich mich auf eine Bank in die Sonne, die den Nebel inzwischen beiseite gewischt hat, und esse eine Kleinigkeit. Um mich herum rufen mal wieder zwei Kuckucke, und ich blicke direkt auf einen Baum, dessen obere Zweige eigentlich ideal für einen ihrer beständigen Standortwechsel sein müssten. Wie schön wäre das! Mit schussbereiter Kamera warte ich 20 Minuten, aber natürlich funktioniert das so nicht. Schließlich gehe ich weiter, komme an Seerosentümpeln vorbei, an Fingerhüten im Wald, an Pilzen und feinen Spinnweben, die in den Sonnenstrahlen aufleuchten. Von den im Vogelführer versprochenen Fischadlern und Blaukehlchen mal wieder keine Spur, aber das ist mir heute egal – ich bin nicht zum Artenfinden hier, sondern für diese Ruhe.
Da ich eine 8 um die Weiher laufe, komme ich ein zweites Mal an der Stelle mit der Bank vorbei und kann es kaum glauben: Der Kuckuck sitzt exakt auf dem Zweig, den ich zuvor in Gedanken für ihn ausgesucht hatte! Zwar bin ich jetzt weiter weg, als schön wäre, aber doch nah genug, dass er nicht nur als graugelber Fleck auf dem Foto landet. Jah-re-lang habe ich darauf gewartet! Nach einer Minute flattert er weiter, und glücklich laufe ich zum Wagen zurück.
In Weiden schleppe ich die Maschine in den Laden, wo sie die Angestellte mit der gleichen Freundlichkeit und Unkompliziertheit entgegennimmt, die sie schon zuvor in den Telefonaten gezeigt hatte. Zum ersten Mal in der Stadt, spaziere ich noch ein bisschen durch die hübsche Altstadt, wo zwischen Marktständen und außenbestuhlten Cafés jede Menge Leute versuchen, das Gefühl eines irgendwie normalen Sommers in der Stadt zurückzuerobern. Ich selbst auch, mit einem Spaghettieis zum Mitnehmen (erfolgreich).
Schließlich fahre ich in der Mittagshitze zurück, zufrieden über den schönen Sommermorgen und das Ende meiner Fehde mit dem Kuckuck. Ich muss nur zwischendurch auf einem Autobahnparkplatz halten und ein Viertelstündchen die Augen zumachen, weil die letzte Woche in der Arbeit wohl doch anstrengender war, als ich dachte.