Die zweite Woche begann mit einer von zwei schon vorab gebuchten Bootstouren, und zwar um Delfine und Wale zu sehen. (Die andere wäre schon am Montag der ersten Woche gewesen, aber wir konnten sie glücklicherweise einfach verschieben, nachdem nicht nur meine Wanderschuhe, sondern auch das Ladegerät für die Kamera-Batterien im zurückgebliebenen Koffer lagen.) Die Fahrt ging von Tobermory aus aufs offene Meer Richtung Westen und das Boot war ziemlich voll, leider auch mit Touristen der nervigen Sorte, die weitgehend rücksichtslos Plätze und Aussichten beanspruchten. Aber wir sahen auch Seeadler am Ufer, Robben, Gemeine Delfine und meinen allerersten Sturmwellenläufer. Das Highlight waren aber die Orcas, die wohl einzigen zwei, die dauerhaft in den Gewässern der Hebriden leben. Unser Bootsführer sagte, es sei erst das dritte Mal, dass sie sie in der zuende gehenden Saison gesehen hätten, wir hatten also sehr viel Glück. Ein beeindruckender, majestätischer Anblick, wie die beiden Wale nebeneinander durch die Bucht zogen, immer drei-vier Mal zum Luftholen erschienen, um dann wieder ein paar Minuten unter Wasser zu verschwinden und ganz woanders aufzutauchen.
Tags drauf wollten wir ein wenig von der westlichen Küste der oberen Halbinsel sehen. Zunächst ging es zum Loch Na Keal, der sie von den unteren Inselarmen trennt. Man hatte uns empfohlen, an einem Campingplatz Ausschau nach Seeadlern zu halten, und tatsächlich saßen zwei oben auf den Kiefern an den Hängen beim Ufer, leider zu weit weg für ein gutes Foto. Auf der kleinen Küstenstraße wurde der Ausblick auf die Bucht mit ihren umliegenden Bergen immer großartiger. Unterwegs kamen wir an einem hübschen Wasserfall vorbei und machten Picknick mit unserer Standardverpflegung, die wie immer aus Brot mit Käse oder Salami, ein bisschen Rohkost und Äpfel, ein Tütchen Chips und ein Schokoriegel bestand. Weiter ging es an einen kleinen, hübschen Strand, auf dem Hochlandkühe chillten, und schließlich wanderten wir noch ein paar Kilometer bei sommerlichen Temperaturen die Küste bei Treshnish entlang. Ein rundum schöner Tag.
Am Mittwoch stand die zweite Bootstour an, diesmal mit einem Ausflug zu den unbewohnten Inseln Staffa und Lunga.
Während wir an Staffa nur entlangschipperten, um die phänomenalen Basaltfelsen zu bestaunen, ging es auf Lunga zu einem langen Aufenthalt von vier Stunden an Land, bis uns das Boot wieder abholen würde. Die Insel ist im Wesentlichen ein bewachsener Felsen im Meer, auf dem im Sommer tausende Seevögel brüten. Man klettert einen Pfad zu einem Plateau hinauf und ist sofort von Papageitauchern umgeben, die in den weichen, grasbewachsenen Boden gegrabenen Höhlen ihre Jungen erbrüten und nach dem Schlüpfen beständig mit frisch gefangenen Sandaalen (kein Tippfehler) versorgen. Es ist ein ununterbrochenes Knorren, Herumwatscheln, Flattern, Abfliegen und Landen; wenn man sich am Wegrand hinsetzt, hockt man mitten drin und kann aus wenigen Metern zuschauen, wie sie von völlig ungerührt bis leicht an einem interessiert ihrem Brutgeschäft nachgehen. Wie schon auf den Flannan Isles (wo wir allerdings gerade einmal eine Stunde Zeit an Land hatten) ein unfassbar glücklich machendes Erlebnis. Ich hätte den ganzen Tag dort sitzen mögen.
Nach einem weiteren Aufstieg und einem Pfad rund um den Hügel gelangt man zum Harp Rock, einem unmittelbar vorgelagerten Felsen, an dem Lummen, Tordalken und Dreizehenmöwen brüten. Lärm und Geruch sind ohrenbetäubend bzw. atemberaubend schon bevor man um die letzte Ecke biegt und sie sieht. Und dann der Anblick der tausenden Vögel. Was für ein Privileg, dieses Naturspektakel aus nächster Nähe erleben zu dürfen.
Während das Wetter auf der Tour bedeckt, aber okay war, regnete es tags drauf von morgens bis abends von der Art, wo man auch in passender Kleidung nicht mehr vor die Tür gehen mochte, deswegen blieben wir im Cottage und verschlumpften die Zeit. Nur abends kam noch einmal die Sonne raus, ebenso wie das Reh mit seinem Jungen draußen vorm Cottage. Apropos Kleidung: Wir brauchten beide noch ein Paar wanderfähige Socken, außerdem hätten wir noch gerne Lebensmittel besorgt, die es in den kleinen Supermärkten auf der Insel nicht gab, so nutzten wir am Donnerstag die preiswerte Fähre (9€ pro Person hin- und zurück) für einen Tagesausflug „zurück“ nach Oban, wo wir lecker zu Mittag aßen, ein paar Stunden spazieren gingen und unsere Einkäufe machten. Natürlich waren die zwei einstündigen Schiffsfahrten vorbei am Lismore Lighthouse ein sehr willkommener Teil des Ausflugs.
Die südwestliche Inselspitze war von uns aus mit 75 km und anderthalb Stunden Fahrt am weitesten entfernt; daher war klar, dass wir diesen Teil von Mull sicher nur einmal besuchen würden. Nachdem uns verschiedene andere Inselgäste von der dort vorgelagerten kleinen Insel Iona vorgeschwärmt hatten, verknüpften wir die Fahrt mit einer Überfahrt (dann als Fußgänger) nach Iona, wo wir den Morgen damit verbrachten, bei herrlichstem Sonnenschein durch den pittoresken Ort vorbei an einer beeindruckenden alten Abtei Richtung Nordstrand zu wandern, nicht ohne einen Umweg über den Inselberg zu machen, von dem aus man einen großartigen Blick auf die Berge Mulls und die ganze Küste samt Inseln bis hin zu Staffa und Lunga hatte. Zurück hielten wir hier und dort an, wo es schön war und machten auch einen straßenmäßig sehr abenteuerlichen Abstecher zu einer berühmten Telefonzelle mitten am Berghang an einer beängstigend engen, kurvigen Single-Track-Straße und neben einem lauten Wasserfall. Gottlob waren wir alleine dort unterwegs; einen Kilometer rückwärts bis zur nächsten Ausweichbucht hätte ich diese Straße nicht fahren wollen. Zurück fuhren wir die „Scenic Route“, und die Bezeichnung war nicht gelogen; die Aussicht auf Loch Na Keal und die Berge rundherum war spektakulär. Leider war die Straße relativ belebt und zu eng, als dass es eine Möglichkeit gegeben hätte, mit dem Auto stehenzubleiben und zu fotografieren.
Der Sonntag war wieder dem gemütlichen Abwohnen des Cottages gewidmet; abends gingen wir noch eine größere Runde in den benachbarten Hügeln spazieren.