Mittlerweile ist es ein Running Gag, dass wir nach jedem Schottlandurlaub meinten, jetzt aber wirklich mal wieder anderswo hin zu fahren – so eine Bucket List von Reisezielen wird ja nicht von alleine kürzer –, um dann im folgenden Jahr wieder dort zu landen. So jetzt zum vierten Mal in Folge, jedoch auch mal anders. Nach dem ersten Jahr mit Rundfahrt durch die Highlands und zwei Jahren mit Bootsreise (+ jeweils einer Woche an einem Ort) hatten wir uns diesmal eine Unterkunft auf Orkney ausgesucht, um zwei Wochen am Stück dort zu bleiben.
Die Reise begann einen Tag früher als geplant, nachdem die Fluggesellschaft ein paar Monate vorher ihre Pläne so geändert hatte, dass wir einen Anschluss nicht mehr bekommen hätten. So flogen wir an einem Freitagabend zunächst nach Amsterdam, übernachteten in einem sehr hipsterigen Hotel (Zimmermodell „Schuhschachtel“ mit Klo und Dusche in Glaszylindern) und starteten am nächsten Morgen von dort aus Richtung Aberdeen und anschließend Kirkwall, dem Hauptort der Hauptinsel Orkneys, wo wir nachmittags mit einer Propellermaschine ankamen. Mit dem Mietwagen ging es erst einmal einkaufen und dann zu unserem Cottage. Wir hatten es ja anhand der Fotos und Beschreibung so ausgesucht und unseren Urlaub wegen Nicht-Verfügbarkeit sogar um eine Woche nach hinten verschoben. Aber erst vor Ort zeigte sich, wie großartig das Cottage wirklich war, sowohl innen als auch vor allem seine Lage. Eine nicht einsehbare kleine Terrasse mit einem unverstellten 270°-Panorama auf Felder, Wiesen, See und Hügel, mehrere Meilen vom nächsten Örtchen entfernt, außer Wind und Vogelrufen nichts zu hören. Ein Traum! Abends gab es einfache Nudeln mit Pesto.
Der Sonntag begann mit kräftigem Wind, der einen im Nu auskühlte, so schürten wir gleich den kleinen Kamin, tranken Tee, ich beobachtete vom Fenster aus die ersten Austernfischer, Brachvögel, Raben und andere Vögel, und anstatt draußen gleich rumzulaufen ließen wir erst einmal unsere Seelen ankommen. Da Sonntag war, hatte ich vorher die Messezeiten recherchiert, und siehe da: Die (im protestantischen Orkney natürlich sehr kleine) katholische Gemeinde feierte nicht nur in ihrer Kirche in Kirkwall Gottesdienst, sondern auch am ersten Sonntag im Monat nachmittags in der Italian Chapel, und das war heute. Am Nachmittag fuhren wir zur Kapelle und konnten auf diese Weise nicht nur einen schottisch-katholischen Gottesdienst mitfeiern, sondern kamen auch ohne Eintritt in die bemerkenswerte Kapelle.
Italienische Kriegsgefangene im zweiten Weltkrieg wurden hier dazu eingesetzt, die Wasserpassagen zwischen einigen der östlich um die Bucht Scapa Flow angeordneten kleinen Inseln (siehe Karte) mit Dämmen und Straßen zu schließen, vor allem mit dem Zweck, eine Einfahrt deutscher Schiffe und U-Boote in die Bucht zu verhindern. Da aber der Einsatz von Gefangenen für militärische Ziele nicht erlaubt war, wurden die Arbeiten kurzerhand als Infrastrukturmaßnahme deklariert (die sie ja nicht weniger waren), so dass schließlich mehrere der östlichen Inseln durch diese Churchill Barriers praktisch Teil von Mainland wurden. Die Italiener aber suchten nach einer Möglichkeit, ihren zutiefst katholischen Glauben auszuüben, und nachdem ihnen zwei schlichte Nissenhütten zur Verfügung gestellt wurden, bauten sie sie zu einer richtigen süditalienischen Kapelle aus, samt kitschigem Marienbild (abgemalt von einem Heiligenbildchen, das einer der Gefangenen mit sich trug) und täuschend echt gemaltem Mauerwerk. Faszinierend. (Innen habe ich nicht fotografiert wg. Gottesdienst – Fotos siehe Link.)
Nach der Messe und ein paar Worten mit dem freundlichen Pfarrer fuhren wir zurück und machten noch Halt an der Inganess Bay, in der auch eines von vielen Schiffswracks Orkneys fragwürdig pittoresk vor sich hin rostet. Aber der Wind war so heftig, dass ich nach zwei-drei Austernfischerfotos nach wenigen Minuten wieder einstieg und wir zurück nach Hause fuhren. (Interessant, wie schnell man eine Unterkunft, in der man sich geborgen fühlt, mit Zuhause bezeichnen kann.) Zum Abend machten wir unglaublich zarte, wohlschmeckende Steaks vom Orkney-Rind, dazu Kartoffeln und Salat, und schauten Sinn und Sinnlichkeit im britischen Fernsehen.