Kochkurs

Ich weiß nicht, wann ich zuletzt so viel Sekt und Wein getrunken habe. Es begann damit, dass ich am Freitag Mittag überraschend zusammen mit ein paar KollegInnen befördert wurde, inklusive Dreigänge-Menü zusammen mit unserem Management im obersten Stock mit Blick über die Stadt und bekocht vom Küchenteam, das sich sonst um unseren Vorstand und wichtige Gäste kümmert. Dann fuhren die Möwe und ich am Abend nach Escherndorf, einem kleinen Ort bei Volkach inmitten des fränkischen Weinanbaugebiets, um zusammen mit meinen Geschwistern gewissermaßen unser Weihnachtsgeschenk für meine Eltern einzulösen, ein gemeinsames Wochenende in Franken. Das natürlich mit einem Abendessen in einem fränkischen Gasthof begann mit hauseigenem Fisch und Wein.

Am Samstag folgte das eigentliche Highlight, ein gemeinsamer Kochkurs mit dem Thema Pasta & Meeresfrüchte im Gasthaus zur Krone, wo sonst gehobene regionale Küche serviert wird. War das großartig! Insgesamt sechs Stunden verbrachten wir und ein paar andere Teilnehmer damit, verschiedenste Teige herzustellen, Tintenfische auszunehmen, Fische zu filetieren, (bereits am Vortag getötete) Hummer zu zerlegen und so weiter, vieles davon zum ersten Mal — ich hatte beispielsweise noch nie Hummer gegessen, geschweige denn zubereitet. Aus dem selben Grundteig wurden süße Ravioli, herzhafte Spaghetti und Lasagne, mit der Tinte des im ersten Gang gebratenen Tintenfischs wurden die Spaghetti für den zweiten Gang gefärbt, es wurde Focaccia gebacken, eine Unmenge Kartoffelteig zu Gnocchi geformt und so weiter, alles unter Anleitung des total sympathischen jungen Eigentümers und seines Küchenchefs. Dazu gab es immer wieder einen Schluck Wein, und gekrönt wurde die Arbeit von den letzten zwei Stunden, in denen wir die vier Gänge anrichten und verzehren durften.

Mein absoluter Favorit war der zweite Gang, schwarze Spaghetti mit Muscheln. Der Muschelsud zusammen mit den feinen Nudeln war fantastisch. Dahinter kam für mich der erste Gang, die Gnocchi mit Tintenfisch und Pesto, ganz zart und geschmacksmäßig einfach so, dass ich Unmengen davon hätte essen wollen. Der eigentliche Hauptgang, Hummer und Loup de mer mit Spinatlasagne war auch in jeder Hinsicht fein, hatte aber nicht ganz diesen den Woah-Effekt (was auch für meinen ersten Hummer galt, den ich zwar als super zart aber auch nicht sehr aufregend fand). Der letzte Gang mit Bananen-Quark-Crème gefüllten süßen Ravioli und selbstgemachtem Eis (mit Tahiti-Vanille, einem ganz anderen, sehr blumigen Vanillearoma) machte alles rund. Jeder Gang wurde dabei von einem anderen Weißwein ergänzt.

Ein toller Tag. Und natürlich doppelt so schön, wenn man mit der Familie zusammen sein kann und alle gleichermaßen Spaß haben. Dass wir heute früh in der Unterkunft beim Frühstück auch noch auf meinen Geburtstag anstoßen konnten, war ein weiterer i-Tupfen. Aber dann habe ich auch erst einmal wieder genug Alkohol für die nächste Zeit.

NAS für Arme

Seit längerem haben wir eine externe Festplatte, zuerst nur als Backup für Fotos, dann um auch zentral alle unsere MP3s, Ebooks und Dokumente drauf zu speichern. Das Ding hing jetzt über ein Jahr am Desktoprechner im Arbeitszimmer. Über diese Funktion hinaus als Arbeitscomputer genutzt wird der aber nicht täglich, da sind wir eher mit Tablet und Netbook im Internet – würden aber natürlich gerne ständig auf Dokumente und Musik zugreifen können. Als jetzt die Stromrechnung kam mit einem Mehrverbrauch, der sich ziemlich genau auf einen 24/7 laufenden Komplettrechner zurückführen ließ, war klar, dass es so nicht weitergehen konnte.

Die Fritzbox wirbt zwar mit der Fähigkeit, dem Heimnetz eine Festplatte zur Verfügung stellen zu können, aber das hatte ich schon abgehakt. Nicht nur hat man die Daten vermutlich schneller abgetippt als über diesen Service übertragen, der Router fing auch irgendwann an, verschiedene Instanzen der Festplatte gleichzeitig zu mounten und damit völliges Chaos zu verursachen. Auf der anderen Seite gibt es richtige Datei- und Medienserver fürs Heimnetz, aber die kosten ein paar hundert Euro aufwärts und ziehen meist auch wieder nennenswert Strom.

Raspberry als kleiner Heimnetz-Dateiserver

Jetzt bin ich stattdessen auf den Raspberry Pi gestoßen. Die zigarettenschachtelgroße Platine, mit der Schüler und Enthusiasten die ausgefallensten Dinge bauen, ist ein vollwertiger Rechner, hat Netzwerk- und USB-Anschlüsse, und speist sich aus einem 1200-mA-Steckernetzteil, wie man es für kleine, mobile Geräte benutzt. Dann braucht man nur noch eine Speicherkarte als „Festplatte“ (hier: 4 GB micro SD), ein Betriebssystem (Raspbian, eine spezielle Linuxversion), ein Programm, das das Betriebssystem als fertiges Image auf die Karte schreibt sowie einen SSH-Client, um über Netz auf den Pi zuzugreifen. Und eine Anleitung:

Alles funktionierte auf Anhieb wie in den Videos beschrieben. Der Desktoprechner darf endlich aus bleiben, der Raspberry zieht stattdessen nur noch 2-3 Watt Strom, und das Verrückteste ist, dass der Zugriff auf Dateisystem und Files jetzt deutlich schneller geht als vorher, als die Platte noch am Windowsrechner hing. Das Ganze hat jetzt weniger als 50 Euro gekostet (32 Euro Raspberry, 6 Euro Micro-SD-Karte 4 GB, 7 Euro Steckernetzteil, 3 Euro kleines Patchkabel zum Anschluss an die Fritzbox, sowie ein paar Legosteine fürs Gehäuse – gäbe es aber auch für 4-7 Euro zu kaufen). Das werden wir im nächsten Jahr an Stromkosten wieder reingeholt haben. So macht das Spaß.

Jetzt müsste man nur noch den alten Tintenstrahler auf gleiche Weise zum Netzdrucker machen… aber ich schätze, das würde ein größeres Unterfangen.

Hirn entknoten

Ich nehme schon ein bisschen von dem wahr, wie ungleich und schlechter Frauen im Vergleich zu Männern in nahezu allen Gesellschaften behandelt werden, was an Stereotypen über Frauen wie Männern schief oder falsch bis gefährlich ist, und wie sich Privilegien als weißer, nicht behinderter, wirtschaftlich gut situierter, heterosexueller Mann wohl gestalten und überlagern. Aber die schiere, offenbar allgegenwärtige Übermacht dieser Verhältnisse und nicht zuletzt die unbestreitbare eigene Verwicklung darin machen es schwer, darüber überhaupt gezielt nachzudenken und nicht schnell überwältigt und kleinmütig zu werden. (Oder sich bei den tausend überall herumliegenden Gründen zu bedienen, dass diese Verhältnisse gar nicht existierten, oder von der Natur vorgegeben seien, oder halb so schlimm, oder ganz auf den Kopf gestellt und andersherum, oder die Schuld anderer, oder man sowieso nichts daran ändern könnte usw. usf.)

Hier hilft es, wenn jemand diesen dicken Knoten einmal aufdröseln kann, die ganzen realen Auswirkungen unserer Gesellschaftsordnung aufführt, worin sie wurzeln, was sie mit denen tun, die zur dominierten wie auch der dominierenden Gruppe gehören, welche Strategien der Verneinung existieren, was das mit einem selbst zu tun hat und was man tun kann, um etwas zu Positiveren zu verändern. Eine solche Hilfe ist das Buch The Gender Knot. Unraveling Our Patriarchal Legacy von Allan G. Johnson, einem amerikanischen Soziologen. Ich hatte in den vergangenen Tagen beim Lesen das fortwährende Gefühl, dass da jemand Ordnung in meine Gedanken und vieles auf den Punkt bringt, was ich bislang nur diffus gedacht oder wahrgenommen hatte. Ich könnte jetzt seitenweise für mich augenöffnende Abschnitte zitieren, aber versuche lieber, ein paar der wichtigsten Punkte wiederzugeben.

Das Patriarchat mit seiner Männerzentrierung, -identifikation und -dominanz ist eine Gesellschaftsform, in der wir leben und die wir uns nicht ausgesucht haben. Damit ist es mehr als nur eine Summe von Individuen und ihren Verhaltensweisen. Das heißt, alle noch so lobenswerten Anstrengungen, durch Schulung und Bewusstseinsförderung einzelne Menschen dazu zu bewegen, etwas gegen die negativen Konsequenzen zu tun oder sich besser zu verhalten, werden an ihre Grenzen stoßen, wenn nicht das gesellschaftliche System dahinter thematisiert und verändert wird. Das gilt auch für uns selbst.

Unsere Tendenz, alle Probleme immer auf Fragen individueller Eigenschaften und Haltungen zu reduzieren, wird letztlich nicht nur wenig verbessern, sondern vermutlich das verursachende System dahinter unsichtbar und unangetastet lassen. Auf einem anderen Gebiet von gesellschaftlicher Unterdrückung lässt sich das z. B. mit den derzeit kursierenden Tweets vergleichen, die die Pegida-Sympathisanten persönlich lächerlich machen und angreifen sollen – sie dienen allerhöchstens dazu, sich in seiner Gruppe überlegen zu fühlen und werden am Ende mehr verschleiern als offenlegen, dass wir in einer grundsätzlich rassistischen Gesellschaft leben, die quer durch alle Gesellschaftsschichten und Institutionen voll von ganz selbstverständlichen, täglichen Signalen und Regeln ist, mit denen „deutsche“ Deutsche bevorzugt und Migranten herabgewürdigt und entmenschlicht werden. (Auch eine Stärke des Buchs, solche Parallelen zwischen verschiedenen Systemen gesellschaftlicher Macht und Unterdrückung sichtbar werden zu lassen.)

Mit am Praktischsten als Erklärungshilfe für die Wirkung eines Systems von Macht, Privilegien und Unterdrückung erweist sich Johnsons wiederholter Begriff des Wegs des geringsten Widerstands. Gesellschaftssysteme, die Macht ungleich verteilen und bestimmte Gruppen von Menschen unterdrücken, versuchen diese Tatsache unsichtbar zu machen. Es ist gewissermaßen eine Schlüsseleigenschaft von Privilegien, dass sie unsichtbar und unfühlbar daherkommen. So wie man als heterosexueller, weißer Mann zunächst einmal meinen kann, dass ein alleiniger, nächtlicher Spaziergang durch die Großstadt von nichts anderem als der eigenen Lust darauf abhängt. Und das Patriarchat baut uns tausend Pfade des geringsten Widerstands, uns unserer männlichen Privilegien nicht einmal bewusst sein zu müssen, Ungerechtigkeit wegzuschweigen oder -definieren, Kritik mit unseren guten Absichten wegzuwischen und jedes Nachdenken darüber zu erschweren, so wie am Ende des ersten Absatzes oben.

Ohne den Diskurs von den tatsächlich Unterdrückten, den Frauen, künstlich wegzulenken, beschreibt Johnson auch sehr eindringlich die Auswirkungen des Patriarchats auf Männer. Gewalt und das Vermögen, andere zu kontrollieren werden als männliche Ideale auf alle mögliche Weisen propagiert; damit müssen Männer zuallererst Angst vor anderen Männern haben, die ihre gesellschaftliche Stellung oder sogar ihr Leben gefährden können – und greifen ihrerseits zu Gewalt und Kontrolle als vermeintlich angstmindernden Gegenmaßnahmen. Das offenbar erst in der aktuellen 3. Auflage hinzugekommene Kapitel über Männlichkeit und Gewalt beschreibt die Konsequenzen in buchstäblich erschlagender Eindringlichkeit und zeigt am Beispiel, wie in einer öffentlichen Diskussion tatsächlich die allerstärkste Gemeinsamkeit aller Amokläufer der vergangenen Jahre nicht einmal wahrgenommen wurde (nämlich Männer zu sein), wie stark unsere Wahrnehmung der Realität vom Patriarchat und seiner vorgegebenen Deutung der Wirklichkeit verzerrt wird.

Johnson endet mit einem optimistischen Ausblick und einer Liste von Ideen und Aktionen, um auf dem Weg weiterzugehen, vom Lesen feministischer Literatur (die er im Anhang zuhauf aufführt) und dem Zuhören lernen über das Verlassen des Wegs der geringsten Widerstände und ändern des eigenen Verhaltens bis zu gemeinsamen Organisationen und Aktionen etwas gegen das Patriarchat zu tun und so mit hoffentlich vielen anderen dem reibungslosen und vermeintlich alternativlosen Lauf der Dinge etwas entgegenzusetzen, dass sich unsere Gesellschaft am Ende doch in Richtung eines gleichwertigen Miteinanders der Geschlechter bewegen kann.

Das Buch werde ich jedenfalls erst einmal nicht so schnell im Regal verschwinden lassen. Große Empfehlung. (Nur leider offenbar nicht auf Deutsch erhältlich.)

Allan G. Johnson, The Gender Knot, 3rd Ed., Temple University Press, 2014 (Verlagsseite mit Lesekapitel und Rezensionsstimmen)