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Tag 8: Mein negatives Mantra

Schon um fünf aufgewacht, aber ausgeschlafen gewesen. Als sich der Nebel in die Täler und schließlich ganz zurückgezogen hatte, begann ein wunderbarer, wolkenloser Tag. Statt gemeinsamem Frühsport bin ich alleine los und wollte schauen, ob ich eigentlich noch joggen kann. Doch mein Fußgelenk war anderer Meinung. Auch das ganze Laufgefühl war fürchterlich verglichen mit früher, so als wäre mein Körper eine starre Konstruktion, die ungedämpft jede Bodenberührung bis in den Kopf weiterleitet. So bin ich letztlich nur zügig einmal um den Hügel gelaufen.

Mein Ärger über die Wirbelsäulengymnastik-Einheit gestern hat mich noch etwas beschäftigt. Wieso hat mich das so angestachelt? Bis ich drauf kam: Sport ist Quälerei. Das steht zumindest genau so fettgedruckt in meinen Grundüberzeugungen, seit meiner Kindheit, nur dass ich das nie in dieser Klarheit formulieren konnte. Insgeheim habe ich mir wohl gewünscht, dass der Aufenthalt diese Überzeugung durchbricht. Ich will, dass Sport endlich mal Spaß macht. Dass mein Körper gefordert wird, aber nicht tagelang schmerzt und alles bleischwer ist. Dass ich Fortschritte in Kraft, Beweglichkeit und Ausdauer spüre. Und während ich gerade hoffnungsvolle Schritte in diese Richtung mache, kommt dieser Trainer und macht das erst einmal wieder kaputt, damit ich auch ja nicht vergisse, dass Sport Quälerei ist. (Rief mir mein Ärger zumindest zu.)

Ich war als Kind ziemlich moppelig und unsportlich. Bei Mannschaftssportarten wurde ich gerne zuletzt gewählt, oder zuweilen auch gönnerhaft der gegnerischen Mannschaft überlassen. Sport war immer Frust; gefühlt alle anderen waren schneller, warfen weiter, verbrachten ihre Freizeit gemeinsam im Fußball- oder Handballverein und so weiter. Sportlehrer taten das ihrige dazu. In der Unterstufe hatten wir einen alten Alkoholiker, der gerne mal über Leberwurstarme von Schülern lästerte und ansonsten unbeweglich am Rand stand und die Klasse mit der Trillerpfeife über einen Turn-Parkour scheuchte. Später kamen Lehrer*innen von dem Typ, die mit ihren Trainingsanzügen verwachsen sind und die sich viel lieber mit den Sportskanonen der Klasse abgaben – die zumindest bis zur Mittelstufe ohnehin deckungsgleich mit den Stars der Klasse waren. Besonders im Gedächtnis geblieben ist mir ein Schwimmtest, wo ich eine knappe halbe Stunde gekrault habe wie ein Verrückter, danach völlig am Ende war (und das für 1-2 Tage) und für meine Leistung eine kleine 6 angeschrieben bekam. Die gleiche Note, als hätte ich mich auf die Bank gesetzt und die Teilnahme verweigert. Ähnlich motivierende Erlebnisse, die mein Mantra bestärkten und meine Abneigung gegen Sportlertypen bestärkten, gab es oft.
Ein positives Erlebnis war mal, wie wir nach Jahren ohne Leichtathletik in der Mittelstufe mal wieder 75-Meter-Lauf machten und ich völlig überraschend unter den ersten dreien im Ziel war. Erst später wurde mir klar, dass mein tägliches auf-den-letzten-Drücker-mit-schwerem-Tornister-zum-Zug-rennen irgendwie auch Sport war. Und mir wurde klar, wenn immer ich sportlich halbwegs fit sein wollte, müsste es etwas sein, was jeden Tag quasi beiläufig funktioniert.
Im Großen und Ganzen aber war Sport immer Quälerei, meine Arme und Beine sind seit ich denken kann nach kürzester Zeit schwer wie Blei, und wenn ich tatsächlich mal über Wochen zum Beispiel täglich Fahrrad gefahren bin und zumindest kreislaufmäßig ganz gut zurechtkam, kam eine Erkältung und ich durfte wieder von vorne anfangen. Über meine Scham, mit Kollegen oder anderen zusammen Sport zu machen und womöglich der Depp zu sein, dem man dann etwas mitleidig tolle Ratschläge gibt, mag ich gar nicht reden. Ach ja, mein Vater hasst übrigens Sport seit jeher, und meine Mutter hat auch nie welchen gemacht (fährt allerdings in den letzten Jahren regelmäßig mit dem Rad), das heißt auch von der Seite habe ich nie etwas anderes kennengelernt.

Und von dieser Grundüberzeugung will ich endlich wegkommen, denn ich weiß, dass Anstrengungen ohne fühlbaren Fortschritt und ohne das Gefühl, auch während des Sports Spaß zu haben, sonst früher oder später wieder dazu führen, dass ich keine Energie dafür habe.
Ich hoffe wirklich sehr, dass sich das hier noch ändert. Dass wir morgen beim besagten Sportlehrer ein weiteres Wirbelsäulentraining haben werden, stimmt mich diesbezüglich etwas düster. Mir tut jetzt noch alles weh.

Der morgendliche Vortrag ging ziemlich passend zu meinen Gedanken um das Thema, wie man die Erkenntnisse aus dem Gesundheitstraining erfolgreich in den Alltag integrieren kann. Der Psychologe zitierte Forschung, wonach man an die 250 Wiederholungen braucht, um neue Gewohnheiten dauerhaft in seinem „Autopiloten“ zu etablieren und sich nicht mehr jedesmal bewusst dafür entscheiden zu müssen. Das heißt, wenn es um Änderungen im Tagesablauf geht, muss man mindestens ein Dreivierteljahr durchhalten. Dazu gab es natürlich noch praktische Tipps: schriftlichen Plan machen, maximal 2 oder 3 Ziele setzen (aber besser nur eins nach dem anderen), sofort damit anfangen usw. Mein lieber Schwan. Ich habe ja jetzt schon drei Ziele, also abgesehen von dem oben beschriebenen mentalen:

  1. Mehrmals die Woche Wirbelsäulengymnastik
  2. Mehrmals die Woche Ausdauersport
  3. Aufhören zu essen, wenn ich satt bin (und Mahlzeiten entsprechend planen)

Nach dem Vortrag anderthalb Stunden Nordic Walking, was bei diesem Wetter erstmals so richtig schön war.
Nach dem Mittagessen (Fisch, Muscheln und Krabben auf Bandnudeln mit Safransauce, köstlich!) zunächst sensomotorisches Training, bei dem wir vor allem mit nackten Füßen verschiedene Wahrnehmungs- und Gymnastikübungen gemacht haben, und dann nochmal eine Stunde Wirbelsäulengymnastik, diesmal bei einer der Sportpraktikantinnen, die es echt gut gemacht hat. Am Ende des Nachmittags sind wir auf einen hohen Aussichtsturm im Ort gestiegen und haben das leicht im Dunst angedeutete Alpenpanorama bewundert.

Am Abend noch telefonisch geholfen, einen neuen DSL-Anschluss ans Laufen zu kriegen. Jetzt werde ich noch etwas Musik hören und morgen früh hoffentlich den meisten Muskelkater weggeschlafen haben.

Tag 7: eine Woche

Nach dem Aufstehen aus dem Fenster geschaut: alles weiß. So haben wir auch den Frühsport draußen auf einer Wiese im (dünnen) Schnee absolviert. Mittags war allerdings schon wieder alles weggetaut. Schade, denn die Gegend sah richtig schön aus.

Nach einem Vortrag über die beiden häufigsten Krebsarten für Männer (Prostata- und Darmkrebs) und Krebsvorsorge allgemein dann noch eine Einheit Wirbelsäulengymnastik. Diesmal bei dem Sportlehrer, der eher so der Drill-Typ ist und immer noch eins draufsetzt, wenn man schon nicht mehr kann. Und dann noch eins. 75 Minuten Dauertriezen, ich bin jetzt noch fix und fertig (und diesmal alle anderen auch), mir schmerzen die Fußgelenke von den vielen und langen Übungen auf jeweils nur einem Bein stehend, und mein ganzer Brust- und Hals-/Nackenbereich kündigt schon einen lustigen Muskelkater an.

Der Mittwochnachmittag ist frei, und nach einer kleinen Besorgung im Supermarkt und einem Nickerchen bin ich nochmal 40 Minuten auf dem Ergometer gefahren (diesmal mit etwas niedrigerem Trainingspuls) und in die Sauna, um mich mal richtig durchzuwärmen, was mir sehr gut getan hat. Die erste Woche von dreien ist nun um, und ich fühle mich gerade wieder kaputt wie am Anfang.

Tag 6: erste Normalität

Gut durchgeschlafen und erst vom Wecker wach geworden. Statt Draußen-Frühsport eine Aufwärmrunde Herumhüpfen mit Tennisbällen, die zum Schluss tatsächlich in Jonglieren endete. Habe dabei ständig gekichert – wie können so simple Koordinationsaufgaben (Beispiel: linker Arm kreist, rechter wirft den Ball immer wieder hoch und fängt ihn) so viel Konzentration erfordern? Dazu 15 Minuten nach dem Aufwachen, wo ich normalerweise froh bin, die Kaffeetasse nicht fallen zu lassen. Auf jeden Fall spaßig.

Nach dem Frühstück ein Vortrag des Sportlehrers über Muskelarbeit, Training und Energie. Danach für unsere Gruppe Laktatmessung. Im Minutenabstand radeln alle auf ihrem Ergometer los, um nach zehn Minuten auf ihren Trainingspuls zu sein, und nach weiteren zehn Minuten mit diesem Puls wird ein Tropfen Blut aus dem Ohrläppchen abgenommen und ein Gerät bestimmt den Laktatwert. Ist er bei 3 (Einheit weiß ich gerade nicht), ist das gut: Die Muskeln erzeugen so viel Milchsäure beim Abbau von Kohlehydraten wie der Körper noch gleichzeitig gut abbauen kann, also kann man bei diesem Puls Ausdauersport betreiben. Ist der Laktatwert niedriger, ist der Trainingseffekt auf Herz & Kreislauf noch nicht optimal. Ist er höher, kommt man zu früh in die Erschöpfung. Meiner war 5, also wird mein Trainingspuls sicher nochmal nach unten korrigiert. Das erklärt für mich auch einen Teil meiner Unfitness: So lange noch mein Puls so schnell so hoch über den optimalen Bereich schnellt, ist es kein Wunder, dass ich leicht schlapp mache.

Nach dem Mittagessen eine Entspannungsübung mit progressiver Muskelentspannung nach Jacobson. Natürlich inklusive einiger Leute, die wegnickten (wurden geweckt). Ich war insgesamt etwas underwhelmed. Ja gut, die entsprechenden Körperbereiche fühlen sich kurz warm an, aber die Gesamtentspannung war jetzt nichts, was ich nicht selbst durch bewusstes Entspannen bislang teilweise besser hinbekommen habe.

Ungünstig war auf jeden Fall, dass wir direkt anschließend knapp zwei Stunden Nordic Walking hatten, wieder durch den Wald rund um den Ort, und mit einigen Steigungen, während ich ganz gerne nur irgendwo gesessen und einen guten Cappuccino geschlürft hätte (den ich sowieso etwas vermisse). Aber es war dann auch schön, habe mich gut mit einem Kollegen unterhalten, zwischendurch kam auch mal die Sonne raus, und letztlich wird dieses dauernde Trainieren auch langsam normal.

Abends gab es Spaghetti, ich habe die vegetarische Sauce statt Bolognese genommen. So ein ganzer Teller Nudeln, das tat gut. Überhaupt ist die Küche hier prima, sowohl Auswahl als auch Geschmack und Optik sind einwandfrei.

Hier ein typischer Zettel, was man sich – von Tag zu Tag – selbst aussuchen kann. Auch eine gute Sache: Ich finde, die Leute sind erwachsen und es hilft ihnen für den anschließenden Alltag mehr, ihre eigene Entscheidung zu treffen, was sie essen wollen, als drei Wochen irgendeine Reduktionskost zu verordnen, wie es wohl an einem anderen Standort dieses Trainings üblich ist.

Tag 5: Es wird besser

Vor 23 Uhr eingeschlafen, um 2 Uhr aufgewacht und seitdem wach. Und das komischste, es hat mir nichts ausgemacht. Irgendwie fühlt es sich so an, als ob mein Körper gerade einfach auf einer anderen Drehzahl läuft.

Vor dem Frühstück die inzwischen übliche Runde durchs Dorf mit Gymnastik. Ich bilde mir ein, schon etwas beweglicher und fitter zu sein.

Nach dem Frühstück der erste einer Reihe von Vorträgen eines Psychologen. Es geht um Burnout, Stress, seine Bewältigung und Ressourcen. Er macht seine Sache gut und wird offenbar auch von den Kollegen angenommen. Abends wird es diese Woche Gruppengespräche geben, und wenn man will, kann man auch ein Einzelgespräch mit ihm oder seiner Kollegin führen; es kann um alles mögliche gehen und muss nichts mit Firma und Beruf zu tun haben. Ich habe mich entschlossen, das nicht in Anspruch zu nehmen. Ja, ich bin sicher in einer beruflichen Kurz-vor-Umbruch-Phase, aber diesmal weiß ich ganz gut, wie ich damit umgehen kann und was meine nächsten Schritte sind. Und über die Arbeit hinaus gibt es gerade kein Thema.

Danach etwa eine Stunde Nordic Walking. Das war anstrengend und mein Puls ging zwischenzeitlich selbst auf fast gerader Strecke schon wieder in die 150er, aber irgendwie kam ich gut klar. Wenn man hinzunimmt, dass ich gestern auf dem Ergometer bei gleichem Trainingspuls und Umdrehungen mit der anderthalbfachen Wattzahl von Donnerstag gefahren bin, scheint mein Kreislauf einfach schon in den wenigen Tagen Fortschritte gemacht zu haben. Ist das nicht großartig, was man seinem Körper alles zumuten darf?

Am Nachmittag endlich mal eine Vorstellungsrunde in unserer Gruppe – wir sind immerhin 22 Leute. Ihre Namen habe ich mir nach dem Namenslernspielchen als Einziger sofort und komplett gemerkt. Was mich einigermaßen verblüfft hat, denn im Namen- und Gesichtermerken bin ich sonst grottenschlecht.

Das Beste war heute die ganze Stunde Wirbelsäulengymnastik mit großem Ball und Isomatte. Fordernd, aber bei jeder Übung merkte ich, wie sehr ich genau diesen Gleichgewichtsausgleich und die Kraft in Bauch, Beinen, Rücken und Armen brauche. Danach eine neue Stunde Wassergymnastik, auch schon wieder weniger anstrengend. Dieses Gefühl tut mir so gut.

Heute abend war noch ein Gruppengespräch unter Moderation des Psychologen zum Thema Stressbewältigung, was auch hilfreich war. Und jetzt lege ich mich hin und hoffe, dass ich trotz allem wieder normal durchschlafe. Die Biorhythmus-Stolperer durch die Zeitumstellung kommen nächstes Wochenende noch früh genug.