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Tag 2: Too much

Mit etwas Muskelkater aufgewacht. Vor dem Frühstück wieder gemeinsam eine Runde durch den Ort gelaufen, diesmal mit Gymnastikeinlage, bei Sonnenschein und wunderbarer Aussicht in die Täler rundherum. Schon gemerkt, dass meine Muskelkraft ganz schön begrenzt ist, vor allem im linken Bein und Arm.

Nach Frühstück und Vortrag wurden wir dann in die drei Gruppen eingeteilt, und obwohl mein Ergebnis vom Walking-Test so schlecht war, hat man mich offenbar eher in der mittleren Gruppe gesehen. (Ich habe mich selbstverständlich eher als „Genießer“ denn „Normalo“ gesehen – allein schon der Name!) Erste Einheit war eine Stunde Aqua-Gymnastik im kleinen Schwimmbad. Die Sonne schien durch die Glasfront herein und aus den Boxen dröhnte „Smoke on the water“ und anderer Hardrock aus den 70ern und 80ern – das nenne ich eine gute Anpassung an die Zielgruppe. Aber in der folgenden Stunde bin ich wirklich an meine Grenzen gekommen: ununterbrochen mit Wasserhanteln alle möglichen Übungen, teilweise Beweglichkeit, viele auf Kraft und Ausdauer, so wie z. B. eine halbe Minute lang mit den Händen am Beckenrand mit beiden Beinen so oft wie möglich an die Brust hoch springen. Ich hing ziemlich in den Seilen. Und es war nicht das letzte Mal an diesem Tag, dass vor vor meinen Augen plötzlich ein besorgtes Kollegengesicht erscheinen sollte mit der Frage: „Hey, alles gut bei dir?“.

Der Zustand meines Kreislaufs und der Muskeln ist offenbar desaströs, denn ähnlich sollte es mir am Nachmittag mit dem gemeinsamen ersten Nordic Walking gehen, über ca. 6 Kilometer, wo ich selbst bei halbwegs ebener Strecke über 150 Puls hatte, kaum mehr Kraft in den Armen und japste, während andere noch deutlich unter ihrem Trainingspuls umherstöckelten. Die Sportlehrerin meinte dann auch, ich solle auf jeden Fall langsam machen und insgesamt schauen, ob ich nicht doch in die dritte Gruppe wechsle. Morgen ist nur ein „normales“ Wandern (vermutlich in kaltem, stürmischem Regen), der Rest des Wochenendes ist ohne Programm. Ich werde also Anfang nächster Woche mal sehen, ob ich dem Rat nicht besser folge.

Was ich übrigens toll finde, ist die ganze, neue Funktionskleidung. Ich weiß nicht, warum viele Polyester so verteufeln – diese Shirts, der Trainingsanzug, die Hosen und Laufschuhe, alles ist federleicht, angenehm auf der Haut bis teilweise richtig flauschig, und gibt bei längerer Bewegung nie das Gefühl, dass sie irgendwann nur noch nass und schwer an einem kleben so wie Baumwolle. Ich fürchte, ich werde nach meiner Rückkehr nur noch im Trainingsanzug herumlaufen wollen.

Trotz der Strapazen am Abend nochmal 40 Minuten Ergometer gefahren, vermutlich die einzige Dauerbewegung, die mir im Moment keine schmerzenden Muskeln macht und wo ich mit Pulsuhr und genügsamer Wattzahl gut klar komme. Mit dem neuen Album von Judith Holofernes auf den Ohren war es doppelt so gut. (Meine Empfehlung! Wieder eine große Dosis Wortschmiedekunst, und auch die Musik ist durchgehend besser als auf ihrem ersten Soloalbum, finde ich.)

Tag 1: Orientierung

Sagte ich gestern 30-40? Tatsächlich sind wir an die 70 Männer so zwischen 45 und 60, die wir das Hotel derzeit für uns haben; ich hatte nur noch nicht alle auf einmal gesehen. Als ich letzte Nacht kurz aufwachte, entstand da aus unerfindlichen Gründen das folgende Bild vor meinem inneren Auge. (Für das Hinzufügen einer genervten Eule reicht mein Talent leider nicht.)

Der Tagesablauf beginnt um halb Acht mit einer halben Stunde Aktivität vor dem Frühstück. Heute sind wir stramm durch den kleinen Ort gewandert, wo noch hier und da im Schatten ein paar Schneereste liegen, bekamen ein paar Schnipsel zur Geschichte erzählt und wissen jetzt, wo der Supermarkt ist und was man sonst noch ggf. in den Wochen brauchen könnte. Außerdem konnte man Eiger, Mönch und Jungfrau am Horizont sehen – das sind immerhin an die 150 km entfernte Alpengipfel! So ein klares Sonnenwetter war das heute.

Das 2000-Seelen-Dorf ist Luftkurort seit den Dreißigern und konnte zur besten Zeit weit über 400.000 Übernachtungen zählen. Heute sind es nur noch gut die Hälfte, und das sieht man dem Ort an. Nicht nur unser Hotel, auch die meisten anderen der ehemals sechs (!) Reha-Kliniken werden inzwischen nicht mehr für den Kurbetrieb genutzt. Für mich sind solche Kurorte immer noch „peak Westdeutschland“, man kann an allen Ecken die Nachkriegswirtschaftswunderkultur schmecken, in der man als Arbeitnehmer Anspruch auf seine krankenkassenbezahlte Kur hatte, bis dann die Gesundheitsreformen in den 90ern den ganzen Wirtschaftszweig, der davon lebte, radikal zurückstutzten. Und auch wenn es inzwischen um Ausdauersport und Ernährungsphysiologie statt Wellness und Kirschtorte geht und mein Aufenthalt nicht von Sozialkassen bezahlt wird, ist er doch vermutlich nur mehr der letzte Ausläufer einer Epoche. Es wird nicht mehr lange dauern und sie werden geldwerte Vorteile versteuern wollen, oder die Anteilseigner werden Einsparungen fordern, mit denen solche Programme endgültig über Bord gehen.

Zum Frühstück gab es ein bis auf die Wetterdaten informationsfreies Morgenblättchen des Hotels, inklusive sexistischem Witz für Technik-Männer. Vermutlich stellt man sich das unter zielgruppengerechter Kommunikation vor. *augenverdreh*

Der Rest des Tages besteht normalerweise aus ein- bis zwei Vorträgen sowie vor allem: Sport. Zu Beginn der drei Wochen stand heute ein Fitness-Test mit Pulsuhr (2 km Walking), in den im Wesentlichen Zeit, Schlusspuls und Alter einfließen. Das wird einerseits am Ende wiederholt, um den Erfolg der Maßnahme zu dokumentieren. Andererseits diente er der Einteilung in drei verschiedene Gruppen je nach Leistungsfähigkeit, die sie „Expressler“, „Normalos“ und „Genießer“ genannt haben. Ihr dürft raten!

Am Nachmittag mein initiales Arztgespräch gehabt, daher konnte ich nicht mit auf die einstündige Gruppenwanderung. Stattdessen im Fitnessraum eine halbe Stunde auf dem Ergometer beim vorgegebenen Trainingspuls gestrampelt. Tat gar nicht weh, und vor allem hatte ich ganz vergessen, wie wohlig und leicht man sich eine Stunde nach dem Sport in seiner Haut fühlen kann. Ich glaube, das wird gut hier.

 

 

Tag 0: Ankunft

Gestern alles fertig gepackt, heute morgen dann in Ruhe mit der Möwe gefrühstückt und dann zum Bahnhof. Bis zum zweiten Mal Umsteigen waren die Anschlüsse knapp genäht, aber kein Problem. Erst beim letzten Zug kamen zehn Minuten Verspätung drauf, aber die musste dann halt der Abholer vom Hotel warten. In Waldshut bei der Ankunft waren es 19 Grad, unglaublich. Hier, 600 Meter höher, ist es aber auch noch warm, erst heute Abend wurde es frisch. Bis vergangene Woche soll hier dagegen noch Schnee gelegen haben.

Das Hotel ist äußerlich ein wenig in die Jahre gekommen, so ein typischer Ende-60er-Bau, aber innen ist alles ansehnlich und freundlich. Mein Einzelzimmer ist nicht groß, aber hat alles, was man braucht, das Personal ist nett und das Abendessen war schon mal okay. Nur ein anständiger Espresso wird mir vermutlich fehlen.

Mit mir sind heute ca. 50 andere Männer meiner Firma von allen möglichen Standorten angekommen, alle geschätzt zwischen Ende 40 und Ende 50. Ich dürfte tatsächlich einer der Jüngsten sein. Während andere sich schon in Grüppchen in der Hotellobby zum Bier zusammenfinden, ist meine Lust auf Konversation derzeit allerdings noch nahe Null. Wir werden sehen. Zeit für mich werde ich hier vermutlich recht viel haben, und das ist auch eine der Hauptsachen, auf die ich mich freue.

Mit der Möwe am Telefon mit einem Glas Prosecco angestoßen. Dieser Geburtstag ist irgendwie merkwürdig, aber dann auch wieder okay. Muss aber nicht jedes Jahr sein, dass man den Abend unter lauter Fremden verbringt.

Was übrigens ganz gut klappt: Statt Rechner oder Tablet diesmal nur das Handy als Internetgerät dabei, dazu die Bluetooth-Tastatur, die ich mir irgendwann mal angeschafft hatte, weil das Tippen auf dem Tablet so nervt und langsam ist. Auch die schwere Kamera musste diesmal zuhause bleiben, stattdessen habe ich die leicht defekte Canon-Knipse wiederbelebt, von der ich die Bilder mit SD-Karten-Adapter aufs Handy ziehen kann. Nachbearbeitung, d.h. vor allem Zurechtschneiden macht PhotoEditor (für mich die beste Android-Fotobearbeitung, die Pro-Version kostet n Appel und n Ei und verschluckt sich sogar nicht mal an 18-Megapixel-Bildern von der Spiegelreflex). Doof ist nur die gegenüber der Desktopversion reduzierte Funktionalität der mobilen WordPress-Administration; für die Einstellung eines schönen Fotokachelmosaiks muss man im Browser auf die Desktopansicht gehen.

Ich weiß jetzt schon, spätestens beim Anblick toller Vögel werde ich die Entscheidung mit der Kamera bereuen. Aber vielleicht auch eine Art, mal zu fasten: Tolle Eindrücke nicht immer gleich fotografisch festzuhalten. Und später vielleicht einfach „nur“ als Text-Fotos wiederzugeben.

Lebenszeichen

Die unproduktive und letztlich nicht erklärbare Hektik in der Firma, jedes Jahr von Mitte September bis Weihnachten. Schon wieder so gut wie nichts von meiner Lieblingsjahreszeit mitbekommen. Und am Ende auch noch ein zum Teil selbst mitverursachter Misserfolg. Lehrgeld.

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Spannende Dienstreisen. Am gewaltigen Jangtse gestanden und das 360°-Hochhauspanorama von Wuhan bestaunt, aber auch bei 27 Grad Celsius Außentemperatur durch eine weihnachtlich geschmückte Mall in Houston gelaufen, vorbei an Schlittschuh fahrenden Kindern. Dabei erste Male ganz alleine getan: 1. Taxi in China fahren, ohne auch nur ein Wort der Sprache zu beherrschen. 2. Mit dem Mietwagen in den USA.

Mit am Eindrücklichsten wie oft die Kundenbesuche; das Provinzkrankenhaus in China mit dem landestypischen und für hiesige Verhältnisse… gewöhnungsbedürftigen Verhältnis zu Patientenpflege und Strahlenschutz. Plus anschließendem Mittagessen, bei dem der Abteilungsleiter des Krankenhauses versuchte, alle Beteiligten mit Reisschnaps betrunken zu machen (inklusive Toasts auf Frau Merkel und die deutsch-chinesische Freundschaft). Oder eine Frühschicht ab 3 Uhr morgens in einem hochmodernen US-Krankenhaus durch lauter große Intensivstationen zu begleiten. Krankenhäuser mit Lobbies wie Luxushotels, samt Springbrunnen und Live-Geklimper am Piano.

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Ein Wochenende in Rostock verbracht, anlässlich eines Geburtstags. Eine schöne Stadt.

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Seit Ewigkeiten nicht mehr gebloggt, seit Monaten herumliegende Mails, die auf Antwort warten. Nichts zu sagen gehabt, zu wenig Konzentration, zu wenig Energie zu schreiben. Selbst auf der Speicherkarte der großen Kamera waren nur eine Handvoll Fotos des letzten halben Jahres, alle aus dem Haus heraus aufgenommen: Mondfinsternis, Fasane, ein Regenbogen. Die letzten Wochen dann zunehmend genervt. Das erste bisschen Advents- oder Weihnachtsstimmung irgendwann am Heiligabend verspürt. Beim gemeinsamen Nudelteigmachen noch unnötig mit der Möwe gestritten. Danach wurde es besser.

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Ballett am 1. Feiertag abends („Latent“ von Goyo Montero am Staatstheater Nürnberg, düster und wie immer großartig – Eindrücke siehe hier), ein ruhiger, schöner 2. Tag mit meinem „Kleinen“. (Der Große mochte nicht kommen, was sehr schade ist. Aber wir sprechen seit einer Weile wieder miteinander). Gemütliche und entspannte Tage bei unseren Familien in Duisburg.

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Was bin ich schon an Klippen herumgeklettert oder habe auf Ausflugsbooten versucht, entfernt sitzende oder fliegende Kormorane einigermaßen unverwackelt aufs Bild zu bekommen. Und dann geht man am Duisburger Innenhafen spazieren, wo sie im Dutzend in unmittelbarer Nähe auf Pfeilern posieren.

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Über den Jahreswechsel wieder im Kloster gewesen. Mit Spaziergängen in der Sonne ebenso wie im Eifeler Nieselnebel, mit Lesen, gemeinsamen Meditationen, schönen Gesprächen mit den anderen und einem Gottesdienst am Silvesterabend, der hinüber ins neue Jahr reichte und die so oft nur frustrierenden Silvesterfeiern mit TV, Countdown und Geböller vergessen machte.

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Mehr denn je dankbar für all das Gute und Positive in meinem Leben, für die Möwe, für unsere Familien und Freunde, für einen erfüllenden Beruf und finanzielle Sorglosigkeit. Manches werde ich im Laufe der nächsten Zeit vielleicht ändern; vor allem was den Tagesablauf und die Nutzung von sozialen Medien angeht spüre ich, dass ich etwas ändern muss. Nicht, weil ein „Jahresanfang“ mit seinem künstlichen Bruch irgendwelche Vorsätze erfordern würde, sondern weil im Innern gerade seit längerem endlich etwas Ruhe zurückkehrt und Gespür für das, was gut tut.

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Zur Rückkehr der erste Schnee des Winters im Garten.