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Tag 5: Es wird besser

Vor 23 Uhr eingeschlafen, um 2 Uhr aufgewacht und seitdem wach. Und das komischste, es hat mir nichts ausgemacht. Irgendwie fühlt es sich so an, als ob mein Körper gerade einfach auf einer anderen Drehzahl läuft.

Vor dem Frühstück die inzwischen übliche Runde durchs Dorf mit Gymnastik. Ich bilde mir ein, schon etwas beweglicher und fitter zu sein.

Nach dem Frühstück der erste einer Reihe von Vorträgen eines Psychologen. Es geht um Burnout, Stress, seine Bewältigung und Ressourcen. Er macht seine Sache gut und wird offenbar auch von den Kollegen angenommen. Abends wird es diese Woche Gruppengespräche geben, und wenn man will, kann man auch ein Einzelgespräch mit ihm oder seiner Kollegin führen; es kann um alles mögliche gehen und muss nichts mit Firma und Beruf zu tun haben. Ich habe mich entschlossen, das nicht in Anspruch zu nehmen. Ja, ich bin sicher in einer beruflichen Kurz-vor-Umbruch-Phase, aber diesmal weiß ich ganz gut, wie ich damit umgehen kann und was meine nächsten Schritte sind. Und über die Arbeit hinaus gibt es gerade kein Thema.

Danach etwa eine Stunde Nordic Walking. Das war anstrengend und mein Puls ging zwischenzeitlich selbst auf fast gerader Strecke schon wieder in die 150er, aber irgendwie kam ich gut klar. Wenn man hinzunimmt, dass ich gestern auf dem Ergometer bei gleichem Trainingspuls und Umdrehungen mit der anderthalbfachen Wattzahl von Donnerstag gefahren bin, scheint mein Kreislauf einfach schon in den wenigen Tagen Fortschritte gemacht zu haben. Ist das nicht großartig, was man seinem Körper alles zumuten darf?

Am Nachmittag endlich mal eine Vorstellungsrunde in unserer Gruppe – wir sind immerhin 22 Leute. Ihre Namen habe ich mir nach dem Namenslernspielchen als Einziger sofort und komplett gemerkt. Was mich einigermaßen verblüfft hat, denn im Namen- und Gesichtermerken bin ich sonst grottenschlecht.

Das Beste war heute die ganze Stunde Wirbelsäulengymnastik mit großem Ball und Isomatte. Fordernd, aber bei jeder Übung merkte ich, wie sehr ich genau diesen Gleichgewichtsausgleich und die Kraft in Bauch, Beinen, Rücken und Armen brauche. Danach eine neue Stunde Wassergymnastik, auch schon wieder weniger anstrengend. Dieses Gefühl tut mir so gut.

Heute abend war noch ein Gruppengespräch unter Moderation des Psychologen zum Thema Stressbewältigung, was auch hilfreich war. Und jetzt lege ich mich hin und hoffe, dass ich trotz allem wieder normal durchschlafe. Die Biorhythmus-Stolperer durch die Zeitumstellung kommen nächstes Wochenende noch früh genug.

Tag 4: frei

Der Sonntag ist hier komplett zur freien Verfügung, ohne Programm. Sankt Blasien samt Dom wollte ich ohnehin sehen, warum also nicht gleich zur Sonntagsmesse. Nach dem Frühstück ca. 5 km hingelaufen, mutterseelenallein im Nebel, vorbei an kleinen stillgelegten Skiliften. An einer Dorfkirche zehn Minuten lang dem vierstimmigen Geläut gelauscht (geschätzt h-c#-d#-f#) oder vielmehr dem Oberton-Cluster, das sie erzeugten. Also diesem schwebenden, atmenden, sphärischen Klangteppich aus Obertönen, bei dem die einzelnen Schläge in den Hintergrund treten. Dieser Klang flasht mich immer wieder, wie ein Fenster in eine andere Welt. Und das Gleiche dann noch einmal eine Stunde später unten im Dom von Sankt Blasien, natürlich mit viel tieferen Glocken.
Mein Lieblingsarchitekturstil ist das ja nicht, dieser klassische Protz mit dicken Säulen und überall Marmor. Aber die Kuppel ist schon beeindruckend – auch wenn die 62 Meter Höhe des Doms im engen, steilen Tal komplett verlorengehen.

Noch einen Cappuccino im Café getrunken, dann mit dem Bus rechtzeitig zum Mittagessen wieder zurück im Hotel. Den Rest des Tages gelesen, Musik gehört, eine Runde Ergometer gefahren, jetzt noch ein Tatort, dann ist das Wochenende schon zuende. Sehe der nächsten Woche gespannt entgegen.

Tag 3: Wandern und Ausruhen

Vor dem Frühstück wie immer durch den Ort, diesmal mit Stöcken. Die Gymnastikeinheit wegen des Regens in einer kleinen, schummrigen Tiefgarage absolviert. Schräg.

Wer zum Teufel ist Ermine?

Nach dem Frühstück wieder raus in den Regen und Temperaturen knapp über Null, um zwei Stunden lang zu wandern, wohlweislich in der langsameren Gruppe. Wobei auch die mit ganz schön strammem Tempo und anstrengenden Aufstiegen lief, nur dass ich diesmal ganz gut im Mittelfeld war und nicht hinterherhecheln musste.

Der Großteil des Wegs verlief durch den Wald, das war schön. So wie die Möwe und mich ja überhaupt seit unserem ersten Island-Urlaub das Wandern und Umherlaufen in Wind und Regen nicht mehr abschreckt und wir uns mit „herrlichstes Islandwetter!“ auch zuhause gegenseitig motivieren können, trotzdem rauszugehen. Nur die letzten 2-3 Kilometer über die Felder waren heute doch ganz schön heftig, als einem die Sturmböen samt waagerechtem Regen den Atem verschlugen. Entsprechend kalt durchnässt und erschöpft angekommen und den programmfreien Rest des Tags daher konsequent nur noch mit Lesen und Sauna verbracht. Jetzt nach dem Abendessen ist mir warm und wohlig, und selbst der Muskelkater liegt schnurrend auf dem Sessel neben mir.

Tag 2: Too much

Mit etwas Muskelkater aufgewacht. Vor dem Frühstück wieder gemeinsam eine Runde durch den Ort gelaufen, diesmal mit Gymnastikeinlage, bei Sonnenschein und wunderbarer Aussicht in die Täler rundherum. Schon gemerkt, dass meine Muskelkraft ganz schön begrenzt ist, vor allem im linken Bein und Arm.

Nach Frühstück und Vortrag wurden wir dann in die drei Gruppen eingeteilt, und obwohl mein Ergebnis vom Walking-Test so schlecht war, hat man mich offenbar eher in der mittleren Gruppe gesehen. (Ich habe mich selbstverständlich eher als „Genießer“ denn „Normalo“ gesehen – allein schon der Name!) Erste Einheit war eine Stunde Aqua-Gymnastik im kleinen Schwimmbad. Die Sonne schien durch die Glasfront herein und aus den Boxen dröhnte „Smoke on the water“ und anderer Hardrock aus den 70ern und 80ern – das nenne ich eine gute Anpassung an die Zielgruppe. Aber in der folgenden Stunde bin ich wirklich an meine Grenzen gekommen: ununterbrochen mit Wasserhanteln alle möglichen Übungen, teilweise Beweglichkeit, viele auf Kraft und Ausdauer, so wie z. B. eine halbe Minute lang mit den Händen am Beckenrand mit beiden Beinen so oft wie möglich an die Brust hoch springen. Ich hing ziemlich in den Seilen. Und es war nicht das letzte Mal an diesem Tag, dass vor vor meinen Augen plötzlich ein besorgtes Kollegengesicht erscheinen sollte mit der Frage: „Hey, alles gut bei dir?“.

Der Zustand meines Kreislaufs und der Muskeln ist offenbar desaströs, denn ähnlich sollte es mir am Nachmittag mit dem gemeinsamen ersten Nordic Walking gehen, über ca. 6 Kilometer, wo ich selbst bei halbwegs ebener Strecke über 150 Puls hatte, kaum mehr Kraft in den Armen und japste, während andere noch deutlich unter ihrem Trainingspuls umherstöckelten. Die Sportlehrerin meinte dann auch, ich solle auf jeden Fall langsam machen und insgesamt schauen, ob ich nicht doch in die dritte Gruppe wechsle. Morgen ist nur ein „normales“ Wandern (vermutlich in kaltem, stürmischem Regen), der Rest des Wochenendes ist ohne Programm. Ich werde also Anfang nächster Woche mal sehen, ob ich dem Rat nicht besser folge.

Was ich übrigens toll finde, ist die ganze, neue Funktionskleidung. Ich weiß nicht, warum viele Polyester so verteufeln – diese Shirts, der Trainingsanzug, die Hosen und Laufschuhe, alles ist federleicht, angenehm auf der Haut bis teilweise richtig flauschig, und gibt bei längerer Bewegung nie das Gefühl, dass sie irgendwann nur noch nass und schwer an einem kleben so wie Baumwolle. Ich fürchte, ich werde nach meiner Rückkehr nur noch im Trainingsanzug herumlaufen wollen.

Trotz der Strapazen am Abend nochmal 40 Minuten Ergometer gefahren, vermutlich die einzige Dauerbewegung, die mir im Moment keine schmerzenden Muskeln macht und wo ich mit Pulsuhr und genügsamer Wattzahl gut klar komme. Mit dem neuen Album von Judith Holofernes auf den Ohren war es doppelt so gut. (Meine Empfehlung! Wieder eine große Dosis Wortschmiedekunst, und auch die Musik ist durchgehend besser als auf ihrem ersten Soloalbum, finde ich.)