16.10. – Wahlhelfer, Arbeit, Dota

Durch Fr. Kaltmamsell und später Fr. Gröner auf die Idee gebracht, meldete ich mich bei der Stadt im Sommer 2017 ebenfalls als Wahlhelfer für die damals anstehende Bundestagswahl, bekam aber auf meine Bewerbung nie eine Antwort. Bis vor knapp drei Monaten, als mich die Stadt anschrieb, ob ich für die bayerische Landtags- und Bezirkstagswahl am 14. Oktober zur Verfügung stünde. Ich sagte zu, als Beisitzer für die Nachmittagsschicht in einem Wahllokal in meinem Stadtviertel. Auf normale Angestellte schien man im Wahlamt eher nicht eingestellt zu sein, jedenfalls war die Einführungsveranstaltung in der Stadthalle neulich an einem Donnerstag um halb drei zeitlich eher schwierig. Aber gut, immerhin hatte die große Nachbarstadt einen Foliensatz im Netz, der Abläufe und Auszählungsregeln sehr gut erklärte. (So gut, dass ich am Sonntagabend neben dem Wahlvorstand der Einzige von den neun Helfern war, der z. B. wusste, dass mehrfache Zweitstimmen unter Umständen gültig waren und wie sie gezählt würden.)

Der Morgen begann mit Lektorendienst um halb elf in der Kirche, danach frühstückten die Möwe und ich ausgiebig im Bäckereicafé eine Ecke weiter, schließlich würde ich für den Rest des Tages nurmehr mitgebrachtes Studentenfutter bekommen. Gegen zwanzig vor Eins stand ich im Wahllokal der ebenfalls benachbarten Grundschule. Als Neuling bekam ich einen der beiden einfachen Jobs: am Eingang zum Klassenzimmer die mitgebrachte Wahlbenachrichtigung checken („Ah ja, hier sind Sie richtig. Nein danke, Personalausweis brauche ich nicht.“) und die vier Wahlzettel aushändigen. Beziehungsweise wenn jemand ohne Benachrichtigung kam, ihn/sie an den Tisch mit dem Wählerverzeichnis zu verweisen. Der andere einfache Job ist übrigens, die Urnen zu überwachen und nur nach erfolgreichem Wählerverzeichnis-Check am Nachbartisch zuzulassen, dass die zwei blauen (Bezirkstag) und weißen (Landtag) Zettel eingeworfen werden.

Der Sonntagnachmittag war schön, draußen auf dem Schulhof leuchteten die Bäume in allen Farben, die Fürther Kirchweih einen Kilometer entfernt hatte ihren letzten Tag, und so wurde es nach einem größeren Andrang zwischen ein und zwei Uhr, wo tatsächlich Leute Schlange standen, am Nachmittag sehr gemächlich. Der Rest des Teams schien sich seit langem als solches zu kennen, also immer wieder zusammen eingesetzt zu werden. Ich war vermutlich der Jüngste, ein Ehepaar knapp drüber, der Rest der Leute eher Ende 50 und in den 60ern, und man duzte sich. Interessant fand ich, dass zwei der Wahlhelfer mit deutlichem Akzent sprachen (einmal italienisch, einmal osteuropäisch), der sie als eingebürgert verriet. So wie überhaupt auch viele der Wählenden türkische oder osteuropäische Namen hatten – einfach ein schön buntes Viertel. Besonders in Erinnerung ist mir eine Frau, schätzungsweise Ende 20 mit arabischem Namen, begleitet von ihrem nicht wählenden Vater, die so frisch eingebürgert war, dass man ihren Eintrag im Wählerverzeichnis erst nach einer Weile fand. Wie aufgeregt und stolz sie war, ihre Stimme abzugeben!

Nach Wahlende um 18 Uhr begann dann eine vierstündige Papierorgie ohne Pause, in der die zusammen anderthalb Tausend kleinen und großen Zettel entfaltet, gecheckt, sortiert, gestapelt, gezählt und wieder gestapelt wurden, ein nicht enden wollender Lärm aus Papierknistern und -flattern, vor sich hin gemurmelten Zahlen und vereinzelten Rufen („Hat schon jemand die V³-Partei?“, „Wo sind denn die Freien Wähler, die lagen doch eben noch hier?“). Es war anstrengend, aber auch schön, als schließlich alle Zählungen passten, also die Zahl der abgehakten Wähler im Verzeichnis übereinstimmte mit der Strichliste neben der Urne mit der Zahl der Stimmzettel mit der Zahl der ermittelten Kandidatenstimmen. Wobei es durchaus einen Moment gab, in dem ich mich ganz undemokratisch darüber freute, dass die Wahlbeteiligung in unserem Wahllokal nur bei 40% lag. Inzwischen weiß ich, dass unser „Dienstschluss“ um kurz vor zehn Uhr auch durchaus nicht spät war, wenn man so hört, wie es in München lief. Wobei ich allerdings auch nicht nachvollziehen kann, warum man das enorm aufwändige Zweitstimmenverfahren unbedingt auch beim Bezirkstag braucht, einem offiziell nur 24 Abgeordnete starken Gremium (diesmal wurden es wegen Überhangmandaten 33) mit sehr klar umrissenen Aufgaben hauptsächlich im Bereich Bildung, Kultur und Soziales.

Aber insgesamt war es spannend und hat Spaß gemacht. Ich mag diese langweilige, deutsche Demokratie mit ihren unspektakulären Wahlen, in Klassenzimmern unserer Schulen, die ja auch gleich schon mal einen wichtigen Ort unseres Gemeinwesens darstellen, für den wir Steuern zahlen und auf den unsere Entscheidungen Auswirkungen haben. Und mitzuerleben, mit welchen einfachen Mitteln sichergestellt wird, dass Wahlmanipulationen größeren Stils praktisch nicht möglich sind, finde ich ausgesprochen beruhigend. Weswegen ich auch entschieden gegen zentralisierte, rein elektronische Systeme bin.

Ich hoffe, zu den Europawahlen nächsten Mai werde ich wieder rekrutiert.

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Auf dem Heimweg mit dem Fahrrad begann zufällig gerade, als ich die große Wiese mit der freien Sicht aufs Zentrum passierte, das Abschlussfeuerwerk der Fürther Kärwa. So konnte ich zum ersten Mal quasi auf einem fernen Logenplatz und in voller Länge alles anschauen, wovon ich in den vergangenen Jahren immer nur das Geknatter mitbekommen hatte. Wusstet ihr, dass es inzwischen Raketen gibt, die Smilies und Herzen an den Himmel werfen?

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Das Projekt, für das ich im Büro jetzt zwei Monate lang verstärkt reingekloppt habe, hat gestern Abend mit einer Präsentation vorm unlängst ausgewechselten Management seinen wichtigsten Meilenstein passiert. Die neuen Chefs waren ausgesprochen angenehm, ihre kritischen Nachfragen absolut in Ordnung, wir bekamen unsere Unterschriften, und schließlich gab es große Gratulation von allen Seiten. Und nicht zu vergessen, wir haben ein klasse Produkt gemacht, das jetzt Zug um Zug intern und extern gelauncht wird. Darin steckt noch jede Menge weitere Arbeit, aber das wichtigste Etappenziel ist genommen. Allerdings war ich nach dem Vortrag so vollkommen groggy und hinüber, dass ich mir für heute einen freien Tag genommen habe, was mir sehr gut getan hat. Abgesehen davon wäre mein Hirn im Büro heute ohnehin nicht produktiv gewesen.

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Irgendwann vor Jahren hatte ich im Netz schon mal Dota Kehr entdeckt, vermutlich auf tvnoir oder in den Küchensessions, dann aber wieder aus den Augen verloren. Nun hat sie vergangenen Monat ein neues Album („Die Freiheit“) rausgebracht, und es ist großartig. Gute Texte zwischen Liebesliedern und Gesellschaftskritik, von unbeschwert bis hintergründig-böse, von Milliardären, die den Planeten verlassen, unverbindlichen Liebschaften, Sexismus, Zuversicht vermittelnden Schwangeren im Baumarkt, Überwachungsstaat, … Klare Stimme, ungewohnt schöne, ohrwurmige Melodien und knackige Arrangements – so viel Freude an einer neuen Entdeckung hatte ich schon lange nicht mehr. Große Empfehlung!

Anspieltipps: