Zu meinem Geburtstag im Frühjahr hatte sich die Möwe überlegt, mir – beziehungsweise uns – für den Herbst eine Vogelbeobachtungstour zu schenken. Eine 5tägige Reise in Ungarn eines auf Birding spezialisierten deutschen Anbieters bot sich an: etwas südlicher, also vermutlich noch mit recht angenehmen Temperaturen und in einem Land, dass wir beide noch nicht kannten (meine zwei kurzen Aufenthalte in der Hauptstadt vor Jahrzehnten zählen eher nicht). Die Tour begann und endete in Budapest, was man von uns aus vergleichsweise direkt in 8 Stunden mit dem Zug erreicht, ein weiterer Pluspunkt. Von dort ging es zunächst in die hügelige Landschaft rund um das Weingebiet von Tokaj im Nordosten und dann weiter südlich für mehrere Tage in die Puszta und den Nationalpark Hortobagy.
Zusammen mit zehn anderen Teilnehmer*innen waren wir praktisch jeden Tag von acht bis sechs mit dem Bus unterwegs, wanderten, beobachteten, fotografierten, kehrten zwischendurch irgendwo zum Mittagessen ein, und dann weiter mit geschulterten Spektiven als weithin sichtbare Gruppe von Freaks zum nächsten Feldrand, Wald oder Teichgebiet. Es klingt schwierig, aber tatsächlich hatten wir nie irgendeinen Zeitdruck und verbrachten die meiste Zeit in der Natur. Das Wetter war frühherbstlich schön und die Gruppe blieb sowohl im Bus als auch auf den Wegen oft schweigend, was gut tat, genauso wie die Abwesenheit vom Zwang, selbst herumfahren und Tagesabläufe, Orte oder Essen planen zu müssen. Ein Nachteil solcher vorgefertigten Reisen ist natürlich, dass die Verpflegung nicht immer das sein kann, was man sich selbst bestellt oder gar gekocht hätte, aber das Essen war dennoch stets anständig, halt nur immer zuviel und sehr deftig. Jedenfalls waren wir angenehm überrascht, wie problemlos eine so fremdbestimmte und mit fremden Leuten verbrachte Reise, und wie verbindend ein gemeinsames Spezialinteresse für unterschiedliche Charaktere unter dem Strich sein kann.
Nicht zuletzt hatten wir auch einen sympathischen, sehr erfahrenen Guide, der uns auf Deutsch seine Heimat und deren Vögel näher brachte (bzw. uns den Vögeln) und genau wusste, wo welche Arten zu finden waren, auch wenn sich zu seiner und unserer Enttäuschung weder Uhu noch Habichtskauz blicken ließen. Aber es kamen am Ende dennoch 11 neue Einträge auf meine Lebens-Artenliste und es blieben viele erinnerungswürdige Momente: Braunkehlchen, Grauammern und Raubwürger in den herbstlichen Weinbergen, ein schläfriger Waldkauz in einem Schornstein, zwei Dutzend Waldohreulen in ihren Schlafbäumen auf einem dörflichen Schulhof, See- und Kaiseradler, die morgens in Gruppen auf kahlen Bäumen sitzen und später mit einem einfachen Überflug mal eben tausend Gänse und Kiebitze am See in Aufruhr bringen, der Sound und Anblick abertausender Kraniche in der Abenddämmerung, der prächtige, rötliche Adlerbussard, die vollkommen unwirkliche, laut- und endlose Steppe der Puszta, ein Schwarzstorch, der soeben einem Adlerangriff entkommen direkt über uns hinwegfliegt, der Steinkauz, der mich aus einer verfallenen Hütte skeptisch beäugt… Wunderbar.
Nach unserer Rückkehr nach Budapest nutzten wir die 2-3 Stunden bis zum Sonnenuntergang noch für eine Mikro-Sightseeing-Runde zur Fischerbastei, eine Straßenbahnfahrt am Donauufer und ein kleines Abendessen in einem Wok-Imbiss (nach der Woche hatten wir unerklärlicherweise Lust auf Fleischloses mit viel Gemüse), und den anschließenden Samstag verbrachten wir wieder im Zug, dessen Verbindung natürlich auch weit entfernt von Norddeutschland nicht von den Folgen der sabotagebedingten Verspätungen verschont blieb.
Das war es für dieses Jahr mit Wegfahren. Die nächste Reise wird schon unser Sabbatical im kommenden Mai sein. Ich freu mich drauf.