… wie ich mit der Pandemie umgehen soll, gehört nach wie vor zu den Dingen, die mich kirre machen. Ich spreche nicht von den praktischen Aspekten wie: Kontaktvermeidung, Abstand und Masken, Wochen-Essenspläne, Homeoffice tagein, tagaus. Ja, mir fehlt die Möglichkeit, Freunde zu treffen, mit der ganzen Familie zu kochen, mich zieht die Aussicht runter, dass unser schon deutlich reduzierter und um ein Jahr verschobener Urlaub im Mai schon wieder flachfallen könnte, ich hasse meine „Frisur“, und ich würde so liebend gerne auf ein Konzert gehen, oder einfach mal Abends durch die Altstadt schlendern und irgendwo lecker essen. So weit, so normal. Was aber tiefer geht, ist mein Fremdeln mit der Welt.
Wenn es eine zentrale Erkenntnis gibt, die eine globale Seuche vermitteln könnte, dann: Ich kann nur so gesund sein wie die Menschen um mich herum. Das gilt im unmittelbaren Lebensumfeld von Familie, Nachbarn, Kolleg_innen und Freund_innen, aber auch auf jeder anderen Ebene, vom Stadtviertel bis zu ganzen Kontinenten. Das Virus besiege ich nicht, indem ich die einen schütze und die anderen nicht. Es hat sich nicht darum gekümmert, dass man Arbeiter_innen aus Osteuropa, die in hiesigen Fabriken unter fragwürdigen Bedingungen schuften, nicht als Teil der Bevölkerung sieht. Die Inzidenzzahlen werden nicht runtergehen, wenn nur die mit den entsprechenden Ressourcen in ihren Eigenheimen abgesichert im Homeoffice sitzen während viele andere unter Körpereinsatz und Präsenz direkt oder indirekt die Wirtschaft am laufen halten sollen. Covid19 wird nur verschwinden, auch in Deutschland, wenn alle Länder den gleichen Zugang zu Impfstoffen erhalten, und so weiter. Es geht nur mit Solidarität.
Stattdessen? Kurzsichtiger Egoismus auf allen Ebenen. Ich will das nicht alles aufzählen. Aber die permanente Denunziation von Verantwortung als „Panik“ und Angriffe auf Pflegepersonal in Krankenhäusern oder Anschläge auf Impfzentren gehören sicher zu den allerunerträglichsten Auswüchsen.
Wie schön wäre es, in meiner Kirche Diskurse und Antworten auf die existenzielle Krise unserer Welt zu finden! Eigentlich hätte sie alles, was man dazu bräuchte. Stattdessen auch dort Klammern an alten Verhältnissen und weitgehende Sprachlosigkeit. In meiner Gemeinde versuchen alle brav, die Regeln einzuhalten (immerhin), aber Corona als Thema der Auseinandersetzung mit dem Glauben und der Welt findet nicht einmal in dem momentan verbliebenen Rest an Gemeindeleben statt, dem sonntäglichen Gottesdienst unter strengen Auflagen. Ein Blick auf die Weltkirche? Hier dürfen wir ohnmächtig zuschauen, wie die Institution Katholische Kirche die Gewaltopfer ihres eigenen Klerus nach wie vor verachtet und auch sonst hauptsächlich damit beschäftigt ist, sich in panischer Angst vor Bedeutungsverlust und eigenständig glaubenden Menschen an den selbst geschaffenen Türsteherjob vor Gottes Reich zu klammern.
Nein, ich weiß nicht, wie ich mit der Welt gerade umgehen soll. Klar, ich könnte und sollte selbst etwas tun, aber fühle mich die meiste Zeit wie gelähmt. Hinzu kommt der neue Job seit letzten Mai (immer noch eine der besten Entscheidungen des Jahres!), der mir mehr Konzentration und Energie abverlangt, als ich übrig habe, wenn mir die Weltlage wie so eine Handy-App im Hintergrund schon permanent die Batterie leerzieht. Wenigstens sind die bürgerkriegsartigen Entwicklungen in den USA wieder etwas in den Hintergrund gerückt.
Was spendet Trost? Ich binge fast jeden Abend Youtubevideos z. B. von einem sympathischen Landschaftsfotografen, wie er im Lake District, Schottland oder irgendwo sonst auf der Welt wandert und fotografiert und träume davon, auch irgendwann wieder in solcher Landschaft unterwegs zu sein. Gutes Essen – wobei die Möwe noch deutlich mehr als ich kocht, backt und neue Rezepte probiert (und wir nach weit über 300 Tagen Essensplan und Homeofficekantine schon auch davon träumen, irgendwann einen Urlaub zu machen, in dem wir uns nur bekochen lassen). Ich nutze jede Gelegenheit am Wochenende, mit meiner tollen neuen Kamera auf die Pirsch zu gehen, sei es auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz in der Nähe, im Stadtpark oder wie gestern im nahen Aischgrund auf der (leider vergeblichen) Suche nach Sumpfohreulen. Überhaupt die Vögel rund ums Haus natürlich, von denen ich hoffe, dass sie bald das von der Möwe zu Weihnachten geschenkte Bruthäuschen mit Webcam entdecken. Das neue Album von The Notwist, das wie immer melancholisch, warm und tröstlich ist. Und letztlich ist wohl auch die Wiederbelebung des Blogs ein Versuch, meinem Leben wieder etwas mehr Selbstbestimmungsgefühl zu geben. Wir werden sehen.